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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Eine neue Shakespeare-Bühne.

(Zu dem Bilde S. 441.)

Unsere Zeit sieht manchen Gegenstoß in menschlichen und künstlerischen Dingen, den man sich vor zwei Jahrzehnten nicht hätte träumen lassen. Was damals herrlichste Errungenschaft schien, findet heute scharfe Kritiker und das ist nur natürlich. Denn die Opposition beginnt stets bei Uebertreibung einer ursprünglich berechtigten Neuerung und ist deshalb ihrerseits wieder berechtigt. Sicherlich gilt dies nirgends mehr als bei dem modernen Ausstattungsfieber der Bühnen, welches, vom Spektakelstück ausgehend, sich bereits auch des klassischen Dramas bemächtigt, zum großen Schaden der hohen und reinen Kunst. Denn zu einem Publikum, welches den raschen Wechsel und die „ungeheure Echtheit“ von Kostüm, Scenerie und Geräth als Maßstab für den Werth eines „Julius Cäsar“ oder „Wallenstein“ nimmt, zu ihm reden Shakespeare und Schiller vergebens, es hat das Gefühl für die innere Schönheit der Dichtung verloren und steht an Begeisterungsfähigkeit weit unter den Zuschauern, die einst im Black Friars- oder Globe-Theater voll Entzücken die gänzlich fehlende Ausstattung durch ihre eigene Phantasie ergänzten und im übrigen Shakespeare und seine Genossen sahen und hörten. In dieses „echte“ Shakespeare-Theater sollte man die Fanatiker der Echtheit einmal zurückversetzen können und sich an den Gesichtern ergötzen, mit welchen sie den kleinen, halbdunklen Zuschauerraum, „diese Hahnengrube“, wie Shakespeare selbst sagt, sowie die schmale Bühne ohne alle Coulissen betrachten würden. Nicht die kleinste Landstadt möchte sich heute mit einem solchen Lokal begnügen. Die Bühne war ein auf drei Seiten von Zuschauerlogen umgebener, nur mit Teppichen behängter, kleiner Raum, vor welchem sich die Holzbänke des Parterres ausbreiteten. In der Mitte des Hintergrundes befand sich ein durch einen Vorhang zu schließender abgesonderter Raum, welcher für einen raschen Scenenwechsel gute Dienste that. Hinter dem Vorhang bereiteten sich alle Ueberraschungen, Belauschungen, Mordanfälle u. dgl. vor. Ueber dieser vermuthlich durch ein paar Säulen flankirten Nische erhob sich eine zweite, ebenfalls mit Vorhang versehene, als oberes Stockwerk, davor ein Balkon, von welchem herab die Ansprache der Könige, das Herunterrufen von der Stadtmauer etc. stattfand. Eine bescheidene Abwechslung war also durch das Oeffnen und Schließen der Vorhänge, das Ersteigen der Treppen, die zum Balkon führten, ermöglicht, auch wurden, um der Phantasie der Zuschauer zu Hilfe zu kommen, kleine Versatzstücke, Bäume, Büsche, ein Stückchen Mauer, Tische und Stühle auf die Scene geschoben, dazu durch eine herabhängende Tafel der Name des Landes oder der Stadt, worin augenblicklich die Handlung spielte, angezeigt. Das war der scenische Apparat, und er genügte völlig, nicht nur den Matrosen, Soldaten, Handwerkern und verlarvten Schönen, welche in solcher Gesellschaft das Theater aufsuchten (anständige Frauen besuchten es nie), sondern auch den jungen Lords, die das Schauspiel zu ihren Lebensbedürfnissen zählten und mit den Schauspielern auf dem Fuße einer herablassenden Vertraulichkeit standen. Selbst Shakespeare fand an ihnen seine besten Gönner und Förderer. Natürlich erlaubten sich die jungen Herren für solche Protektion eine Menge von Freiheiten; sie verschmähten den Aufenthalt in dem unsäuberlichen, gedrängt vollen Parterre und nahmen ihre Plätze auf der Bühne selbst, in den Logen oder an den Teppichdekorationen der Seitenwände. Dort saßen sie auf Stühlen oder lagen auf Binsenmatten, ihre Pfeifen rauchend, während sich das übrige Publikum die Zeit mit Bier und Tabak, mit Aepfelessen und Nüsseknacken, in den Zwischenakten auch mit Liebeshändeln und Kartenspiel vertrieb.

Minder anspruchslos als diese vornehmen und geringen Londoner Zuschauer waren freilich die gereisten Leute, die etwa in Frankreich oder Italien schon die dortige viel reichere Bühnenkunst mit allerhand Maschinen und gemalten Coulissen gesehen hatten. Einer davon, Philipp Sidney, spottet bereits 1583 folgendermaßen über die Armseligkeit der englischen Bühne:

„– – Auf der einen Seite haben wir Asien, auf der andern Afrika oder irgend ein Königreich, so daß der Schauspieler, wenn er auftritt, erst damit beginnen muß, uns zu erzählen, wo er ist . . . Jetzt sehen wir drei Damen erscheinen, welche Blumen sammeln, und wir müssen deshalb die Bühne für einen Garten halten. Gleich darauf hören wir von einem Schiffbruch und wir würden uns schämen müssen, wollten wir die Bühne nicht für einen Felsen erkennen. Aus dem Hintergrund desselben kommt ein scheußliches Ungeheuer mit Feuer und Rauch, natürlich nöthigt uns dies, uns in eine Höhle zu versetzen. Gleich darauf aber sehen wir zwei Armeen vorüberziehen, dargestellt durch vier Schwerter und Schilde – und welches Herz wäre dann so hart, das Theater nicht für ein Schlachtfeld anzusehen?“

Waren solche Spöttereien der Scene gegenüber wohl begründet, so gab dafür das Kostüm keinen Anlaß dazu, denn dieses war, wie erhaltene Theaterrechnungen bezeugen, ganz besonders reich und prachtvoll. Schwere Sammt- und Brokatstoffe, kostbare Schmuckstücke und Waffen befriedigten die Schaulust des Publikums und gaben der Truppe das höfische Ansehen, welches nothwendig war, wenn sie auf den Schlössern des hohen Adels in der rasch hergerichteten Halle vor der Königin Elisabeth spielte. Denn diese war eine große Theaterfreundin, hielt auch ihre eigene Kapelle und Schaubühne und bezahlte für Personal und Ausstattung einschließlich der „Livereydiener und Bärenwärter“ die für jene Zeit bedeutende Summe von 25 000 Mark jährlich. Aber sie vermochte nicht, ihren Geschmack dem eigentlichen guten Bürgerthum, den puritanischen Beamten mitzutheilen, sie konnte nicht verhindern, daß der Lord Mayor von London die Schauspielhäuser planmäßig aus der inneren Stadt hinausdrängte und das Spiel am Sonntag verbot. „Denn,“ hieß es in einer bezüglichen strengen Auslassung, „zweihundert in Seide gekleidete Komödianten, während so viel Arme mit Mühe ihr Leben fristen, müssen durchaus den Zorn Gottes auf England herabziehen.“

Diese starre Opposition wichtiger Volksschichten verhinderte indeß das englische Theater keineswegs, den festländischen Mustern nachzustreben; bald nach Shakespeares Tod gab es auch hier bewegliche Coulissen und gemalte Prospekte.

Im übrigen war die so hoch gerühmte französische Bühnenverfassung für unsere heutigen Begriffe auch nur ein bescheidener Anfang. Auch dort saßen die Stutzer reihenweise zu beiden Seiten der Bühne oder standen aufwartend hinter den Stühlen ihrer Damen, noch zu Corneilles und Molières Zeiten, als die sittsamer gewordene Bühnensprache weibliche Ohren im Theater möglich machte. Es muß sich wohl sehr komisch ausgenommen haben, wenn Phädra, umgeben von Pariser Stutzern, ihrem Liebeskummer einsam nachhing, oder Tartuffe umherspähte, ob niemand sein Zusammensein mit Elmire belausche, während er sich in acht nehmen mußte, nicht mit den Ellbogen an die doppelte Reihe Menschen anzustoßen, die ihn einschloß. Auch war das Publikum durchaus gewohnt, während der feierlichsten und rührendsten Scenen durch die Mittelthür rückwärts einen verspäteten Kavalier hereinkommen zu sehen, und hundertmal geschah es, daß die Zuschauer die Worte: „Da kommt er! Ich sehe ihn!“ auf einen solchen zufällig gerade Eintretenden bezogen. Wenn die Handlung drohte, langweilig zu werden, ließ sich wohl einer der Kavaliere herbei, seinen mitgebrachten Hund Kunststücke machen zu lassen, und diejenigen im Parterre, welche hieran etwas auszusetzen fanden, blieben in der Minderheit. Das Endurtheil über das Stück aber ging doch schließlich von diesem Parterre aus, wie uns viele Stellen französischer Komödien bezeugen, die sich über die vornehmen Ignoranten oben lustig machen.

Am genügsamsten war sowohl das französische als das englische Publikum hinsichtlich der Beleuchtung. Auf Shakespeares Bühne brannten armselige Unschlittkerzen im Hintergrund, was zur Folge hatte, daß die Schauspieler nur von rückwärts beleuchtet waren und von vorn ganz schwarz erschienen.

Auf der französischen Bühne fügte man noch ein paar Leuchter rechts und links der Scene hinzu, die aber völlig frei und offen an sichtbaren Schnüren dahingen und von Zeit zu Zeit herabgelassen und geputzt werden mußten. Die Glanzzeit Ludwigs XIV. brachte hierin wie in den Dekorationen viele Verbesserungen; sagt doch ein begeisterter Autor im Jahr 1682: „Das Theater ist nun auf der höchsten Stufe der Vollkommenheit angelangt, denn die Stücke haben nun fast immer einiges Verhältniß und einige Aehnlichkeit mit der Scene, auf der sie vor sich gehen.“

Ungefähr das Gleiche hätte man von dem antiken und orientalischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_443.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)