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verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

No. 26.   1889.
      Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.


Nicht im Geleise.

Roman von Ida Boy-Ed.
(Fortsetzung.)


Du wünschest?“ fragte Steinweber den Assessor, mit heimlichem Bedauern Alfred zunickend. Für sie, die späte Stunden gewohnt waren, bedeutete dieser Aufbruch noch kein Ende des Abends, und sie hatten verabredet, nachher noch in ein Café zu gehen. Aber in Ravenswanns Gegenwart durfte man sich nicht verständigen, wo man sich nun treffen wollte, denn der Assessor würde es aufgefaßt haben, als gehe man hungrig, durstig und unbefriedigt von ihm und suche nach Entschädigung, – Ravenswann nöthigte Steinweber erst wieder zum sitzen, holte eine Flasche Wein vom Abendtisch und schenkte ein, ehe er mit seinem Anliegen herauskam.

Er zog ein Zeitungsblatt aus seiner Brusttasche, welches Marbod, obgleich es noch ganz klein zusammengefaltet war, mit dem Kennerblick des Journalisten für das „Morgenblatt“ Doktor Bendels erkannte,

„Hast Du den Leitartikel im ‚Morgenblatt‘ gelesen?“

„Nein,“ sagte Marbod, verwundert, das von Ravenswann gehaßte Blatt in dessen Hand zu sehen.

„Unser nächstjähriges Budget,“ las Ravenswann die Ueberschrift, ließ das Blatt sinken und sah den Freund an.

„Ich habe ihn nicht gelesen,“ wiederholte dieser. Ravenswann räusperte sich.

„Der Artikel wimmelt von Irrthümern.“

Marbod wunderte sich, daß Ravenswann von den „Irrthümern“ eines gegnerischen Blattes, anstatt mit höhnischer Verachtung, in sanft melancholischem Tonfall sprach.

„Doktor Bendel ist der Besitzer und Chefredacteur?“

„Allerdings.“

„Du kennst ihn?“

„Recht gut.“

„In dem Artikel,“ begann Ravenswann, das Blatt scharf und vielfach zusammenfaltend und wieder aufblätternd, „ist auch lobend der Broschüre erwähnt, welche ich voriges Jahr über die Salz- und Tabakmonopole in Oesterreich und Italien geschrieben habe. Die Broschüre wird eine fleißige Arbeit genannt. Ich kann wohl sagen, das ist sie auch, Bendel scheint doch ein urtheilsfähiger Mann, der sich belehren lassen wird und mit dem ich gern persönlich meine Ansichten austauschte.“

„Seine Ansichten austauschen“ nannte Ravenswann seine Versuche, mit den eigenen Ansichten die anderer niederzusprechen.

Da Marbod ihm nicht zu Hilfe kam, mußte er vollenden:

„Vielleicht führst Du ihn ein, oder vermittelst ein Zusammentreffen am dritten Ort. Ich glaube, daß der Minister zufrieden sein würde, wenn es mir gelänge …“

Es blieb unklar, was er hatte sagen wollen. Marbod versprach, bei Bendel einen Versuch zu machen, im stillen sehr amüsirt über Ravenswann. Er sah wieder, daß Leute, die nicht gewohnt sind, sich in der Oeffentlichkeit

Der Fallschirm des Luftschiffers Leroux. Nach einer Zeichnung von E. Hosang.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1889, Seite 429. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_429.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2020)