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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

In der That, es kann nicht mehr geschehen, daß ein Brief von Westindien nach Deutschland neun Monate braucht, selbst nicht, wenn Sturm und Wogen Verzögerung schaffen, vorausgesetzt nur, daß der Postdampfer selbst nicht untergeht. Fast nach und von allen Ländern der Erde kann man seine Briefe um 20 Pfennig oder den entsprechenden Betrag in fremder Münze versenden, und selbst wo dieser niedere Satz nicht zutrifft, ist die zu zahlende Gebühr doch immer noch himmelweit entfernt von dem Porto von l Thaler 19 Gutegroschen welches unser amerikanischer Brief vor wenigen Jahrzehnten erforderte.

Heute haben wir die Weltpost!

Wie war es nun möglich, diesen riesigen Unterschied zwischen einst und jetzt zu erzielen? Zu einem Theile trug hierzu die Verbesserung, Vereinfachung und damit Verbilligung der Verkehrsmittel, die zugleich als Postbeförderungssmittel dienten, bei. Sodann aber hatte vor dem Jahre 1874 überall in dem Verkehre nach dem Auslande der einseitig fiskalische Gesichtspunkt seine Herrschaft geübt, das heißt, jeder Staat hatte aus den Auslandsbriefen, sowohl aus den in seinen Grenzen verbleibenden als den sein Gebiet nur durchquerenden, seinen Gebührenantheil herauszuschlagen gesucht. Kein Wunder also, daß ein Brief, der so und so viele Staaten auf seiner Reise zu berühren hatte, ein hübsches Sümmchen brauchte, um alle die Postherren unterwegs zu befriedigen. Die Verrechnung und Erhebung dieser Gebühren war zudem in hohem Maße weitläufig, die Kontrolle zeitraubend und kostspielig, kurz, die ganze Einrichtung eine verfehlte und dringend der Verbesserung bedürftige, als Generalpostmeister Stephan, beiläufig der einzige geschulte Fachmann in allen Kulturstaaten, der selbständig an der Spitze eines Postwesens steht, sich der Sache annahm. Der Grundsatz, welchen er neben dem eines möglichst niedrigen Portosatzes aufstellte, war der der vollständigen Gegenseitigkeit. jeder Staat vereinnahmt und behält das Franko für die in seinem Bereiche zur Auslieferung kommende Auslandskorrespondenz und ebenso das Porto für die nach seinem Gebiete gerichteten unfrankirten Briefe aus dem Auslande, verzichtet aber auf die Erhebung einer Durchgangsgebühr für die sein Gebiet durchlaufenden Briefsäcke aus dem Auslande nach dem Auslande.[1] Stephan war in der Lage, den Regierungen der andern Staaten ziffermäßig nachzuweisen, daß ihnen aus dieser Einrichtung ein Ausfall in den Einnahmen nicht erwachsen würde, indem einerseits der ganze schwerfällige und kostspielige Apparat der Einzelabrechnung in Fortfall kommen und andererseits der Verkehr, dank der gebotenen Erleichterung, sich steigern würde, daß es darum in ihrem eigensten Interesse liege, den von ihm empfohlenen Grundsatz anzunehmen.

So trat denn am 9. Oktober 1874 der Weltpostverein ins Leben durch Unterzeichnung des „Allgemeinen Postvereinsvertrags“, welche von den Bevollmächtigten 22 größerer und kleinerer Staaten ausgeführt wurde.

Um das Ereigniß in seiner ganzen Größe zu erkennen, ist es nützlich, einen Blick auf das Postwesen früherer Zeiten, zunächst in den deutschen Landen, zu werfen. Da sah es hiermit naturgemäß nicht besser aus als bei allen übrigen deutschen Staatseinrichtungen. Das Postwesen beruhte auf einem der Familie Thurn und Taxis gehörigen alten Privilegium, mit diesem Privilegium aber hatte es folgende Bewandtniß:

Maximilian I., deutscher Kaiser und römischer König, der von 1493 bis 1519 regierte und meist in Wien Hof hielt, lebte in den mannigfachsten Kriegen und Fehden mit Italien, Ungarn, besonders aber mit den Niederlanden. Seine Anwesenheit war oft an der einen Grenze seines Reichs so nöthig wie an der andern. Als er einst in verzweifelte Klagen ausbrach, daß er nicht an allen Orten zugleich gegenwärtig sein könnte, daß aber die Boten, so seine Briefe, Befehle und Ordres an die Grenzen und ins Burgunderland tragen solltem, an keinem Wirthshaus vorbeigehen könnten, ohne anzuhalten dem Wein zu liebe, auch sonst ihren Botendienst verabsäumten und höchst unzuverlässig wären, da trat einer seiner Hofherren der italienische Edelmann Francesco de Tassis, mit dem Anerbieten hervor, die kostenfreie Beförderung sämmtlicher kaiserlicher Befehle, Briefe und Botschaften zu übernehmen. Er verpflichtete sich für Sicherheit und Schnelligkeit seiner Boten und forderte dafür als Gegenleistung das ausschließliche Recht zur Ausübung und Ausbreitung der neuen Beförderungsart, sowie die gesammten daraus entspringenden Einkünfte für sich und seine Nachkommen.

Im Jahre 1516 ertheilte Kaiser Maximilian dieses Privilegium, und damit war dem Hause Tassis eine Gerechtsame verliehen, die zunächst wohl nicht sehr bedeutend erschien, in der Folge aber die Jahrhunderte hindurch sich als ein richtiger Goldstrom für die Eigenthümer erwies. Die erste Linie der Tassis-boten ging von Wien nach Brüssel. Die Boten waren gut beritten und trugen die Briefschaften in einem Felleisen bei sich. Die Tassis waren klug genug, jene erste Botenlinie sehr bald durch Zweigkurse nach Frankreich, Hamburg und im Süden nach Mailand, Venedig, ja bis nach Rom zu erweitern und in den wichtigsten Städten und Grenzorten Anstalten zum Sammeln und Ausgeben der Briefe, wie zum Wechseln der Pferde zu errichten. Das erste deutsche „Postamt“ in einem eigens zu dem Zweck angekauften Hause befand sich in dem durch seine Lage nahe der Landesgrenze und der Festung Philippsburg sehr wichtigen Dorfe Rheinhausen am Oberrhein.

Zunächst sollte wohl die Post dem Kaiser dienen; wie sie dessen Botschaften kostenfrei besorgte, so nahm sie auch die Briefe aller der Fürsten und ihrer Behörden unentgeltlich zur Beförderung an, durch deren Länder ihre Botenkurse gingen. Dadurch erreichte die Post der Tassis nicht nur freien Durchgang durch die betreffenden Länder, sondern durfte auch das Postgeld (Porto) für die Korrespondenzen der Unterthanen nach Belieben festsetzen.

Wie gut die Tassis dabei „herauskamen“, geht daraus hervor, daß 1588, also nach siebzigjährigem Bestehen, die Post ihren glücklichen Rechtsinhabern jährlich 100 000 Dukaten Reingewinn einbrachte, eine für die damalige Zeit unerhörte Summe.

Die neue Einrichtung erfreute sich einer von Jahr zu Jahr, namentlich bei den Kaufleuten und Gewerbetreibenden, steigenden Beliebtheit, sie hatte aber auch viele Anfeindungen, namentlich von seiten der Reichsstände, zu bestehen, die von Anfang an mit der Verleihung des Postprivilegiums an einen Nichtdeutschen höchst unzufrieden waren. Um diesen Anfeindungen die Spitze abzubrechen, ließen sich die Tassis in Deutschland naturalisiren und verwandelten dabei ihren italienischen Namen in das deutsche Thurn und Taxis. Rudolf II., der Habsburger, befestigte durch ein Patent vom Jahre 1595 dem Hause Thurn und Taxis den Besitz der Postgerechtsame in sämmtlichen kaiserlichen Landen und ernannte das damalige Haupt des Hauses, Leonhard von Taxis, zum Generalpostmeister. Dem zweiten Träger dieser Würde, Lamoral von Taxis, wurde abermals durch ein kaiserliches Dekret die Belassung des Privilegiums „für sich und seine männlichen Erben zu Lehen“ bestätigt.

Die fernere Entwickelung der Reichspost unter der Verwaltung der Thurn und Taxis kann übergangen werden. Erwähnt sei nur noch, daß sehr bald Unzuträglichkeiten sich einstellten, so daß es an Klagen aus dem Volke nicht fehlte. Gestützt auf „ihren Brief“ machten sich die Reichspostmeister übermütiger Willkür und trotziger Ueberhebung schuldig, der Portosatz ward nach Belieben hochgeschraubt, allerlei Unordnungen im Vetriebe und im Dienst rissen ein.

Es war der Große Kurfürst, der die Post in seinem Lande zu einer Staatseinrichtung machte, ohne sich um die alten Privilegien der Thurn und Taxis zu kümmern. Er schrieb bald nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges an den Reichsgeneralpostmeister, daß er in seinem Lande keine andern Posten dulden werde als die, so er selber einrichte. Und er that´s.

Die erste preußische Staatspost nahm den Kurs von Kleve bis Memel, durchschnitt also das Preußenland in seiner weitesten Ausdehnung, „zur Förderung der Kommerzien, zur Erleichterung des Gouvernements und zur Herstellung eines engeren Zusammenhanges unter den Territorien der brandenburgisch-preußischen Lande“.

Auch die folgenden Herrscher in Preußen ließen dem Postwesen die größte Sorgfalt angedeihen. Der erste König von Preußen errichtete 1701 das Generalpostamt in Berlin, welches unter dem Namen „Reichspostamt“ noch heute besteht.

Das Beispiel, welches Preußen gegeben hatte, wirkte weiter. Angesichts der jämmerlichen Verfassung der Thurn und Taxisschen Post schritten einzelne Länder und Ländchen, ja sogar Städte dazu,

eigene Posten zu gründen, so z. B. Braunschweig, Mecklenburg,

  1. Nur Belgien, die Schweiz und Italien, die einen unverhältnißmäßig erheblichen Durchgangsverkehr haben, erhalten eine besondere Vergütung für denselben, da sie eben von den den Durchgang benutzenden Ländern keine entsprechende Gegenleistung empfangen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_418.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2018)