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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Von der Pariser Ausstellung.

Von Eugen v. Jagow.
(Mit Abbildungen S. 413 und 417.)

Die Pariser Ausstellung hatte in ihrem Entstehen mit zwei Schwierigkeiten zu kämpfen, einerseits mit der unklaren politischen Weltlage und mit volkswirthschaftlichen Krisen, andererseits mit der begreiflichen Abneigung der monarchistischen Staaten, die Revolution und den einhundertsten Jahrestag der Ereignisse verherrlichen zu helfen, welche der Republik die Wege bahnten.

Diese zweite Schwierigkeit war im Grunde genommen eine freiwillige; ist doch die diesjährige, dritte Pariser Ausstellung die erste, welche sich mit der Politik, und zwar ganz absichtlich und ohne Hehl, zu verquicken sucht. Und so haben wir denn das merkwürdige Schauspiel erlebt, daß alle Botschafter der Großmächte sich vor der Eröffnungsfeier von Paris entfernten, daß die Senatoren und Abgeordneten der monarchisch gesinnten Rechten an dem Versailler Fest nicht theilnahmen und daß etliche Staaten, wie Deutschland, die Ausstellung gar nicht beschickten, wieder andere jeglichen Zuschuß, jeden Schutz weigerten und es der Entschließung der Privatleute überließen, auf eigene Rechnung und Gefahr sich mit den Franzosen abzufinden. Diese völlige Enthaltung oder schwächliche Betheiligung der wichtigsten Kulturstaaten konnte aber nicht ohne üble Rückwirkung auf den inneren Werth der Ausstellung bleiben.

Die andere Schwierigkeit, von der ich sprach, war nichts weniger als eine freiwillige. Eine unvernünftige, verschwenderische Finanzwirthschaft, der wachsende Mitbewerb des Auslandes, der offen betriebene Aemterschacher, das abnehmende Vertrauen des Volks zur Lauterkeit der führenden Männer, die parlamentarische Partei- und Interessenpolitik, diese und ähnliche Ursachen hatten eine Mißstimmung im Volk erregt, welche im Boulangismus in gefahrdrohender Weise zum Ausdruck gelangte. Der Panamakrach, der Zusammenbruch des Comptoir d’Escompte sind noch nicht verwunden, Handel und Industrie lagen und liegen danieder, und vor allem die Landwirthschaft.

Unter diesen Wahrzeichen hat die Ausstellung begonnen, von so manchem als Retter begrüßt, aber gewiß kein Radikalmittel gegen die Krankheit, an welcher die französische Gesellschaft leidet. Im wesentlichen dient sie dazu, die öffentliche Aufmerksamkeit von allerlei Uebelständen abzulenken und mancher Wunde zum Verharschen Zeit zu gewähren.

Paris hat sich geputzt, hat Toilette gemacht, und von dieser dürfte die eitle Schöne am Ufer der Seine manche Einzelheiten in die Zukunft mit hinüberretten, bauliche Veränderungen, erweiterte Straßen, neue Prachtpaläste, vervollkommnete Ausstattung der Hotels, etliche in der Umgebung der Ausstellung neu errichtete Cafés und vor allem den Eiffelthurm, die Maschinenhalle und manch andern Schmuck des Marsfeldes, das seinem ursprünglichen militärischen Zweck, als Exerzierplatz zu dienen, nun wohl für immer entfremdet sein dürfte.

Wo fände sich ein geeigneterer Punkt, um uns eine Uebersicht, eine Rundschau auf das weite Ausstellungsgebiet zu gestatten, als auf einer der Plattformen des Eiffelthurms selbst! Er bildet den Mittelpunkt der Ausstellung – auch in örtlicher Beziehung. Er begrenzt das Marsfeld nach der Seine zu, und jenseit derselben erhebt sich auf sanftansteigender Höhe der Trocadéro, das Wunder der Weltausstellung des Jahres 1878, heute freilich übertrumpft und, trotz seiner erhabenen Lage, zu einem kreisrunden Gebäude mit zwei dürftigen Thürmchen herabgesunken.

Vom Fuß des Eiffelriesen zweigt sich die schmale, endlos lange landwirthschaftliche Ausstellung ab, um uns am Ufer der Seine entlang bis zum dritten Ausstellungsfelde, dem der Invalidenesplanade, zu führen. Dort herrscht die bunteste Pracht, wie sich’s für die Kolonien Frankreichs schickt. Und an solchen fehlt es bekanntlich nicht, weder in Indochina, noch in Westindien, noch in Madagaskar, noch am Senegal. Aber Algerien und Tunesien nehmen doch den Löwenantheil einer Ausstellung in Anspruch, wo es von Kuppeln, Minareten, Pagoden, maurischen Gärten, arabischen Trachten, tunesischen Cafés wimmelt, wo die Spahis Wache stehen und wo es in allen Farben regenbogenartig flimmert.

Bedeutsamer ist die Ausstellung auf dem Marsfelde, dessen stolzeste Zier, die „Apotheose des Eisens und der Eisenkonstruktion“, ich wiederhole es, der Eiffelthurm ist. Ihm gegenüber am anderen Ende des in einen Garten aus „Tausend und eine Nacht“ verwandelten Geländes liegen die Hallen für „verschiedene Ausstellungsgegenstände“ und dahinter, deren gewölbtes Glasdach weit überragend, steigt die mächtige Maschinenhalle empor, von deren vulkanischen Kräften nichts eine bessere Vorstellung giebt, als die trockene Thatsache, daß nicht weniger als dreißig Riesenmaschinen nöthig sind, nur um die übrigen in Bewegung zu setzen.

Zur Rechten und zur Linken des Eiffelthurms, von dessen vierfüßigem Unterbau eine Avenue nach der einen Seite über die Jenabrücke hinweg bis in das Gebiet des Trocadéro, nach der entgegengesetzten Richtung durch den schon erwähnten Garten bis zum Ehrendom, dem Pförtner zu den verschiedenen Ausstellungen und der Maschinenhalle, in gerader Linie läuft – befinden sich die Paläste der schönen und der freien Künste.

Der Ehrendom, in welchem der Präsident der Republik, Carnot, die Ausstellung eröffnete und dessen nach dem Mittelgarten hin belegene Vorderansicht unser Bild zeigt, gehört zu den glänzendsten monumentalen Schöpfungen, welche das Marsfeld zieren. Man hat dem prächtigen Portal den Vorwurf der Ueberladung gemacht. Wohl mit Unrecht. Die Fassaden der beiden Kunstpaläste in ihren blaubraunen Tönen entbehren eines reicheren ornamentalen Schmuckes fast gänzlich. Es bedarf also um so mehr eines Gegensatzes, als der Mittelgarten mit seinen vielen Pavillons, Kiosken und Restaurants schon ohnehin einen etwas jahrmarktartigen Eindruck macht. In der That hat man mit Stuck und Gold und nackten Frauengestalten hier nicht gespart. Goldene und darüber farbige Wappen, auf der Abbildung sehr wohl erkennbar, dienen dem Auge zu willkommenen Ruhepunkten. Die Kuppel, die bei den Beleuchtungen des Ausstellungsfeldes mit flammenden Guirlanden bedeckt ist, macht einen überaus reichen und vornehmen Eindruck.

Sie ist, dem Unterbau entsprechend, gelbbräunlich getönt und bildet dadurch einen wirksamen Gegensatz zu den hellblauen, mit weißen Emailfeldern geschmückten und niedrigeren Kuppeln der beiden Kunstpaläste. Ihr Eisengerippe ist mit Zink und Kupfer reich verziert und hebt sich infolgedessen von dem metallischen Schiefer der Kuppel scharf ab. Daneben wirkt die sehr stilvolle Glasmalerei, deren gelbes Licht im Innern einen fast zu ernsten Eindruck macht, da es an das Oberlicht eines Mausoleums erinnert.

Von den Außenbalkons des Ehrendoms, welchen im Innern rundumlaufende Galerien entsprechen, hat man übrigens einen wundervollen Ausblick auf den Mittelgarten und durch die Bogen des Eiffelthurms hindurch auf den Trocadéro, welcher während der Beleuchtung einem Feuerschloß, einer weitgedehnten Walhalla ähnelt, zu der unsere Phantasie, statt auf einem Regenbogen wie die göttlichen Helden des Wagnerschen Rheingolds, auf den elektrischen Strahlen des Wunderthurms hinübergleiten kann.

Vom Eiffelthurm und am besten von seiner ersten Plattform aus – denn bei einem höheren Standpunkt verjüngt sich das Gelände gar zu sehr! – unterscheidet man mit einem Blick die oben angedeuteten Grundlinien, welche für die Anordnung des Marsfeldes maßgebend sind. Denkt man sich nun noch aller Orten, wo die eben erwähnten, zum Theil mit farbigen Kuppeln überragten monumentalen Bauten ein Plätzchen frei lassen, Pavillons, Kioske, Panoramas, künstliche Seen, Cafés, Trinkbuden, Springbrunnen, Statuen angebracht, dazu die zahllosen Seinedampfer und das kreisende Leben auf der Verbindungsbahn der Ausstellung, ein wahres perpetuum mobile, so kann man sich wenigstens eine geringe Vorstellung von dem bunten, menschenbelebten Durcheinander machen, das der Beobachter von seinem erhabenen Standpunkt unmittelbar zu seinen Füßen erblickt.

Der Eiffelthurm ist zwar nach dem Entwurf des Ingenieurs, dessen Namen er verewigt, in einem Jahre erbaut worden, aber er hat nicht nur mit Arbeitseinstellungen, sondern auch mit der Mißgunst eines großen Theils der Pariser Künstler und Litteraten zu kämpfen gehabt. Man erinnert sich noch des geharnischten offenen Briefes, in dem letztere gegen die Verunstaltung der Lichtstadt durch einen „riesigen, schwarzen Fabrikschornstein“ entrüstet Einspruch erhoben. Der oberste Bauleiter Alphand und der Unterrichtsminister

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_415.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)