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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Zum Jubiläum des Königs Karl von Württemberg.

Seit der Wiener Kongreß der Karte Europas und im besonderen derjenigen Deutschlands nach den großen vielgestaltigen und rasch aufeinanderfolgenden Wandlungen der napoleonischen Kriege eine neue dauerndere Gestalt verliehen hat, sind an die Souveräne der kleineren deutschen Staaten wohl kaum jemals schicksalsvollere Entscheidungen herangetreten, als sie eine Regierung aufzuweisen hat, die mit diesem Jahre die Grenze des ersten Vierteljahrhunderts erreicht. Es wäre eine Beeinträchtigung der Hochachtung, welche wir diesen deutschen Fürsten schuldig sind, wollten wir verkennen, daß die Ereignisse, welche der Lösung der deutschen Frage in ihrem heutigen Sinne näher führten, für die Beherrscher der einzelnen Staaten ebenso viele Akte der Entsagung, der Selbstüberwindung bedeuteten, daß das Metall zu der Form, in welcher das Deutsche Reich gegossen wurde, dem Schatze ihrer Selbstherrlichkeit entzogen worden ist. Und diese Akte der Selbstüberwindung wiegen um so schwerer, je größer und abgerundeter das Staatsgebiet, je mehr das innere Leben des Volkes ein blühendes, in sich gesättigtes war; sie sind geschichtliche Thaten, wie nur irgend ein Schlachtensieg oder eine gesetzgeberische Idee.

Es wird unter den Verdiensten, die sich König Karl von Württemberg während einer nunmehr fünfundzwanzigjährigen Regierung um Land und Volk erworben hat, einer der schönsten und dauerndsten Ruhmestitel bleiben, daß er in diesen entscheidungsschweren Zeitläuften sich stets von den hochherzigsten Gefühlen, von den selbstlosesten Erwägungen leiten ließ, und es ist mehr als eine bloße Form, es liegt eine tiefe geschichtliche Wahrheit darin, wenn bei den mancherlei Huldigungen, welche dem Fürsten im Laufe seiner Regierung aus den vielfältigsten Veranlassungen dargebracht worden sind, gerade dieser Gesichtspunkt in den letzten Jahren immer wieder hervorgehoben worden ist. Und doch ist diese Regierung auch sonst nicht arm an Früchten schönster Art, deren der Württemberger dankbaren Sinnes gedenkt und die an der Schwelle der Jubiläumstage, gleichsam zu einer reichen Garbe gesammelt, überall im schwäbischen Lande aus vollem Herzen gepriesen werden.

Als König Karl am 25. Juni 1864 seinem Vater, dem König Wilhelm, in der Regierung folgte, stand er, geboren am 6. März 1823, in seinem zweiundvierzigsten Lebensjahre, ein gereifter Mann, dem eine ausgezeichnete, sorgfältig geleitete Vorbildung alles gegeben hatte, was ihn zu seinem fürstlichen Berufe tüchtig machen konnte. Auf der Kriegsschule zu Ludwigsburg, an den Universitäten Tübingen und Berlin, auf Reisen nach England, Italien etc. hatte er reiche Kenntnisse gesammelt, seinen Geist erweitert, seine Anschauungen geklärt. Seit achtzehn Jahren stand ihm eine edle Fürstin zur Seite, die Königin Olga, die Tochter des Kaisers Nikolaus von Rußland, der er im schönen Süden zu Palermo sich verlobt und die er nach der am 13. Juli 1846 zu Peterhof vollzogenen Vermählung am 23. September desselben Jahres unter dem Jubel der Bevölkerung in seine Heimath eingeführt hatte. König Wilhelm hatte achtundvierzig Jahre regiert und als er, ein zweiundachtzigjähriger Greis, gestorben war, da sah sich sein Nachfolger vor eine Reihe von ernsten Aufgaben gestellt, insofern es galt, da und dort in Verfassung und Gesetzgebung, wo die schwerere Beweglichkeit des Alters seinen königlichen Vater an den Gewohnheiten eines langen verdienstreichen Lebens hatte festhalten lassen, den Forderungen einer vorgeschrittenen Zeit Rechnung zu tragen. „So Vieles und Großes in Gesetzgebung und Verwaltung unter König Wilhelm geschehen war,“ sagt einer der besten Kenner des württembergischen Staatslebens, Staatsrath Rieke, „die nächstfolgende Regierungsperiode, welche mit der Thronbesteigung des Königs Karl ihren Anfang nahm, sollte als eine nicht minder fruchtbare sich erweisen.“ Das Wahlgesetz zur württembergischen Abgeordnetenkammer, das Justizwesen, die innere Verwaltung erfuhren Neuerungen, in denen ein freierer Geist wehte, und eines der ersten Gesetze, die unter König Karl erlassen wurde, befreite die Presse und das Vereinswesen von den Beengungen, unter denen sie seit 1855 gelitten hatten. Die Grundsätze religiöser Toleranz fanden allseitige Durchführung und in der That gehört gerade auch die Erhaltung des konfessionellen Friedens in Zeiten, da rings umher der böse Hader herrschte und auch im Württemberger Lande streitlustige Zungen vereinzelt zum Streite schürten, zu den glänzendsten, ganz persönlichen Verdiensten des Königs Karl.

Es würde zu weit führen, wollten wir die Entwicklung des württembergischen Staatswesens unter der Regierung König Karls hier weiter in alle Einzelheiten verfolgen. Es genüge, daß wir den Geist, in welchem sie geschah, gekennzeichnet haben. Insbesondere hat natürlich der Beitritt Württembergs zum Deutschen Reiche dem Lande eine umfassende Gesetzgebung auf allen Gebieten des nationalen Lebens gebracht. Hatte es, nach dem Urtheile desselben Gewährsmanns, unter Herzog Christoph gegolten, den Stammlanden gleiches Recht zu geben, unter den beiden ersten Königen, die Gleichheit herzustellen zwischen dem altererbten Besitz und den neuerworbenen Gebietstheilen, so handelte es sich unter König Karl „um das Einleben in eine höhere, die überwiegende Mehrzahl der deutschen Stämme umfassende Ordnung“.

Die Regierungsthätigkeit im engeren Sinne, gleichsam die dienstlichen Verrichtungen sind nur ein Theil des Wirkens eines Fürsten. Neben ihnen her geht eine zweite, nicht minder wichtige und folgenreiche, mehr persönliche oder private Einflußnahme auf das Leben des Volkes. Auch hier begegnen wir gleich am Anfange der Regierung König Karls einer an und für sich unscheinbaren, aber doch für den Sinn, in welchem der neue Fürst seine Pflichten erfaßte, bedeutungsvollen Anordnung. Auf Veranlassung des Königs wurden vom Winter 1865 ab im großen Saale des Königsbaus von Stuttgarter und Tübinger Professoren öffentliche Vorträge gehalten, die jahrelang eine eifrige, zahlreiche Zusprache fanden und einen nicht zu unterschätzenden Faktor im geistigen Leben der Hauptstadt bildeten, bis das gegebene Beispiel genügende Nachfolge gefunden hatte. Und so haben denn auch alle Anstalten und Einrichtungen des Landes, welche den Zwecken der geistigen Bildung dienen, von der Landesuniversität bis herab zu der letzten Volksschule, sich der eifrigen Förderung des Königs und der Königin zu erfreuen gehabt. Der hohe Ruf, den das württembergische Schulwesen in ganz Deutschland, ja selbst im Ausland genießt, ist ein Erbtheil von der Regierung König Wilhelms her; seinem Nachfolger blieb die nicht minder verantwortungsvolle Aufgabe, das Unterrichts- und Erziehungswesen auf einer Höhe zu erhalten, die diesen Ruf fortgesetzt rechtfertigte. In gleichem Maße hat das künstlerische Leben in dem Königspaare fürstliche Gönner gefunden, insbesondere der Schwaben Schoßkind unter den Künsten, die Architektur; zwei der schönsten Bauten im Lande, die königliche Villa zu Berg und das Kloster Bebenhausen, sind in seinem persönlichen Auftrage erbaut, beziehungsweise in ihren alten reinen Formen wiederhergestellt worden.

Hervorragende Werke der Bildhauerkunst und der Malerei verdanken die öffentlichen Plätze der Residenz und die Galerien des Staats der unmittelbaren Freigebigkeit der königlichen Schatulle. Handel und Gewerbe blieben nicht unbedacht; neben manchen anderen nützlichen Einrichtungen hat hier insbesondere die unter dem Protektorate des Königs stehende Ausstellung im Jahre 1881 segensreich gewirkt. Das Gedeihen der Landwirthschaft und damit eines wichtigen Volkstheils, des grundsässigen Kleinbauernthums, ist unter König Karl regsam gefördert worden. Ein volles Zehntheil des Staatsgebiets, eine Fläche von 2000 qkm wurde durch die Albwasserversorgung einer nutzbringenden Bewirthschaftung erschlossen. Still aber und ohne Aufsehen ging neben dem allem die Fürsorge für Noth, Armut und Elend her, und auch hierin, in der Ausübung der erhabensten aller fürstlichen Pflichten, standen dem König die Königin und, es bleibe nicht vergessen, die Mitglieder des königlichen Hauses überhaupt in großherziger, werkthätiger Liebe zur Seite.

Dies ist das Bild der Regierung, deren fünfundzwanzigjähriges Jubeljahr das schwäbische Volk in allen seinen Gliedern festlich zu begehen sich anschickt. Es ist ein schönes Bild, seine Farben sind dem Auge wohlthuend und seine Linien verrathen eine sichere, zielbewußte, sorgsame Hand. Möge sie dem württemberger Lande noch lange erhalten bleiben!




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 410. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_410.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)