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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Kurzweil zu ergötzen. Es war im September des Jahres 1881, als zu Ehren der in Dresden tagenden Delegirten der deutschen Kunstgenossenschaft ein Künstlerfest, von Dresdener Künstlern veranstaltet, in den Räumen der Burg abgehalten wurde, das einen besonderen Glanzpunkt in der neuesten Geschichte derselben bildet. Von ehrsamen Meißner Rathsherren und holden Jungfräulein begrüßt, wurde der mittelalterliche Festzug nach dem Burghof geleitet, woselbst sich in einem Festspiel und Ritterturnier, in lustigen Zechgelagen und anmuthigen Tanzreigen ein Bild entfaltete, das lebhaft in die längst entschwundene Zeit des Mittelalters zurückversetzte.

Der Burgkeller in Meißen.

Eine ganz besonders ehrenvolle Auszeichnung wurde der Albrechtsburg aber dadurch zu theil, daß König Albert, der an der künstlerischen Ausstattung derselben den lebhaftesten Antheil nahm, der neuverjüngten Stammburg seiner Ahnen eine Huldigung darbrachte, indem er mit der Weihe der neu erstandenen Burg eine hochbedeutsame Feier, nämlich das Fest des fünfzigjährigen Jubiläums der sächsischen Verfassung verband.

Am 5. September 1881 erschienen, begrüßt von dem Jubel der Meißner Bewohnerschaft, König Albert und die Mitglieder des königlichen Hauses in Meißen und vereinigten die Mitglieder des Landtages in dem großen Bankettsaale des Schlosses zu einem Festbankett, das den Charakter eines glänzenden Doppelfestes trug.

Eine Gedenktafel am Aufgange zu der Galerie, welche das Schloß mit dem Kornhause verbindet, weist in folgenden Worten auf die Doppelnatur der Feier hin:

„Am 4. September 1881
als am Jahrestage
der Verfassung Sachsens
unter der gesegneten Regierung
Se. Maj. des Königs Albert
ist die Erneuerung u. Ausschmückung
dieser von dem ruhmreichen Ahnherrn
Albrecht dem Beherzten
im Jahre 1471 erbauten
Stammburg des Königshauses
vollendet worden:
ein Denkmal der Liebe zwischen
Fürst und Volk.“




Ein deutscher Liebesgott.

Erzählung von Stefanie Keyser.
(Fortsetzung.)


Doktor Ehrlich schwamm wie ein Fisch im Wasser in der alten Heimath. Laut pries er, daß hier sich alles erhalten habe, was der praktische Doktor Luther in seiner Erklärung der vierten Bitte zum täglichen Brot rechnete: Haus und Hof, fromm Gesinde, gute Freunde, getreue Nachbarn und dergleichen. Er lobte die alte Weisheit, die das Volk bewahrte. Hatte ihm doch sein frühster Schulkamerad, der Harzscharrer, pfiffig anvertraut, daß er sein Erspartes in einem Strumpf versteckt halte, und der Bibliothekar spann einen fröhlichen Gedankenfaden von diesem alten Strumpf zu des Deutschen Reiches Juliusthurm in Spandau, der im Grunde ganz dasselbe war: der Behälter für den Nothpfennig.

Er fand für seine Liebhaberei, die vaterländische Alterthumskunde, ein weites Feld; denn hierher war noch niemand gekommen, der in Feuersteinsplittern Urmesser, in Scherbenbrocken Urnenüberreste entdeckte. Er stiftete einen Verein für diesen Zweig der Wissenschaft, und in der Honoratiorenstube der Schenke – einem alten Sichelhammer – belehrte er die Würdenträger von Tannenroda über die Schönheit eines kleinen verrosteten Gegenstandes, der auf der alten Opferstätte, der Brandkuppe, gefunden worden war, und in welchem er eine Bronzesichel erkannte, mit der die Priester dereinst die Mistelzweige geschnitten hatten.

Selbst als die lustigen Waldleute ihm darauf anonym einen großen alten Schlüssel schickten mit der Bezeichnung, daß er von der Pforte zum Paradiese stamme, verlor er die gute Laune nicht. Er putzte ihn, freute sich über seine Riesengestalt und sinnierte darüber, welch schweres Stücklein es gewesen sein mochte für einen Ehemann, dieses Ungethüm seiner Frau Gesponsin wegzustehlen.

Steckenpferde machen nicht nur kleine Kinder glücklich. – –

Mit der großen stillen Bergnatur fühlte Sif sich schnell vertraut. Stundenlang streifte sie durch das Thal, sah auf der Wiese den Blumen zu, wie sie unter den Sonnenstrahlen die Blätterchen entfalteten, auf dem Heidenteich den Wellen, die unter dem Hauch der Maienlüfte im silberglänzenden Zuge daher kamen und wieder zurücksanken; sie lauschte dem Lied der Lerche, die aus den lichtgrünen Flachs- und Hafersaaten aufstieg, und dem leisen eintönigen Ruf der kleinen Unke im Geröhricht. Oder sie saß still unter den alten Tannen auf der Brandkuppe, deren mächtige Stämme weißes Moos bedeckte, in deren Wipfeln es wunderbar rauschte, bald lauter wie fernes Meeresbrausen, bald ersterbend wie das letzte Säuseln des einschlafenden Windes. Sie schaute hinaus über die Berge in das von blauem Duft verschleierte Land hinein. Wo war das Glück zu finden, dessen Ahnung in ihrer Seele lag? Dort, in der Ferne, wo der Himmel mit der Erde verschwamm?

Und sie träumte, während das Abendroth leise verglomm, der geharnischte Mann zöge vorüber, und sie hörte die Worte:

„So sueze juncfrouwe sah ich nie,
Wollte sie mir gnedicliche sin – ahi!“

Aber die Gestalt wurde immer schattenhafter, die Stimme klang immer verwehter. Ein Schemen ist nicht festzuhalten, sagte sie sich; und doch konnte sie der Wehmuth nicht Herr werden, als verliere sie etwas, was sie wirklich besessen habe.

Sie war nie ganz allein im Wald. In der Schlucht des Purzelmännchens regte sich fast immer ein geheimnißvolles Leben. Hatte die alte Frau, die Tannenzapfen sammelte, recht, da sie sagte: „Dort ist’s nicht geheuer“?

Einmal schallte es wie ein Kuß herauf, und zwischen den Baumstämmen schimmerte ein grüner Kragen. Die Vereinigung dieser beiden Entdeckungen überraschte Sif, die feurige Verehrerin des „Freischütz“, nicht; aber daß das rosenrothe Kleid von des Pfarrers Töchterlein gleich darauf davon flog, erregte doch ihr Nachdenken. Ein andermal wurde Gezänk drunten laut. Eulalia fuhr gegen den Apotheker los, der mit jungen Kräuterweibern länger geschwatzt hatte, als die Bestellung von goldgelben Arnikablumen nöthig machte.

Zu Himmelfahrt, da der Abend schon nahte, der mit Tanz gefeiert werden sollte, hörte sie eifrige Spatenstiche in der Schlucht. Grub jemand eine der heilkräftigen Pflanzen, die dort in üppiger Fülle wuchsen? Sollte eine Krankheit verbüßt werden? Nein; das war ja Huldas buntes Kopftuch. Die Kleine hielt eine Zaunrübe in der Hand, schnitt ein Scheibchen ab und steckte es in den Schuh, indem sie laut mit ihrem singenden Stimmchen sprach:

„Körfchenswurzel in meinem Schuh,
Ihr Junggesellen, lauft mir zu.“

Sie bestrebte sich ernstlich, den Schwumprich für heute abend zu behexen. Es war wirklich nicht geheuer dort unten.

Als Sif ihrem Vater davon erzählte, lachte er. „So ist’s immer dort gewesen. Alles Liebesvolk hat sich hingeflüchtet. Der Purzelmann ist ein kleiner deutscher Amor. Schade, daß er verloren ging. Bei den jetzigen berechneten Heirathen könnten wir ihn brauchen; aber nicht einmal sein Baumstumpf ist mehr da, sogar der alte Weg verwachsen und nicht wieder zu finden.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 384. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_384.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2020)