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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Die Frauen verlangen neun verschiedene, von den Jünglingen selbst zubereitete Speisen, lassen sich endlich jedoch herbei, anstatt der Gerichte neun Geschenke anzunehmen, und liefern nunmehr endlich die Braut unter der Bedingung aus, daß sie nach ihres Vaters Jurte zurückgebracht werde.

Inzwischen sitzt der Bräutigam wartend in seinem Zelte. Ganz allein war er freilich nicht; denn einige junge Frauen hatten sich schon beim Erscheinen seiner Genossen aufgemacht, um ihn zu suchen, hatten ihn natürlich auch gefunden und waren von ihm mit ehrfurchtsvollem Gruße, „Taschim“ genannt, empfangen worden. Der Jüngling hatte vor ihnen so tief sich verneigt, daß er mit seinen Fingerspitzen den Boden berührte, sich sodann langsam erhoben und die Hände am Schienbeine emporgleiten lassen, bis er zu voller Höhe sich aufgerichtet; die Frauen hatten solche Huldigung angenommen, ihm Gesellschaft geleistet, Speise und Trank gereicht und durch Scherzreden die Zeit verkürzt, nicht aber gestattet, daß er das Zelt verlasse. Erst auf vieles Bitten und nicht vor Sonnenuntergang wurde ihm die Erlaubniß, im Aul und vor der Jurte der Braut ein kleines Lied singen zu dürfen.

Er besteigt sein Roß, reitet in den Aul, begrüßt mit Gesang dessen Bewohner, wendet sich zur Jurte der von ihm Erwählten und klagt ihr in selbsterdachtem oder erborgtem Liede sein Sehnen, sein Leid:

„O Mädchen, Du brachtest mir Leiden und Kummer,
Dreimal schon kam ich vergeblich zu Dir,
Du wolltest nicht wach sein, zu tief war Dein Schlummer,
Wolltest nicht hören, nicht aufsehn zu mir.
Doch spät in der Nacht, wenn zur Ruh die Kamele
Eng an die härene Fessel man reiht,
Dann wird sich erlaben die lechzende Seele,
Dann wird sich wenden mein Sehnen, mein Leid.
Seh’ Dir ich ins Auge, wird wieder mir kommen,
Was ich verloren, der Muth und die Lust,
Die Kraft der Seele, die Du mir genommen,
Mit Wunsch und Sehnen erfüllend die Brust.
Ich werde Dich bitten, mir Kumis zu reichen,
Als wäre ich durstig und trocken mein Mund,
Du läßt Dich erbitten, Du läßt Dich erweichen
Und machst mir das dürstende Herz gesund.
Und sollte mein Werben Dir nicht gefallen,
Mein Singen Dir willkommen nicht sein,
So kehr’ ich zurück mit den Freunden allen,
Sie sollen mir helfen, um dich zu frei’n.“

Ohne in die Jurte einzutreten, kehrt er wieder nach seinem Zelte zurück. Da erscheint in diesem eine alte Frau und verspricht, ihn zur Braut zu geleiten, falls er sie beschenke. Willfährig öffnet er seine Hand, und beide machen sich auf den Weg. Aber nicht ohne Hemmnisse erreichen sie das ersehnte Ziel. Eine andere Frau legt ihm eine Gabel, mit welcher der Firstring der Jurte erhoben wird, quer über den Weg; solchen Schlagbaum zu überschreiten, würde ein übles Vorzeichen sein, denn wer die Gabel gelegt hat, muß sie auch wieder wegnehmen. Ein Geschenk entfernt das Hinderniß; aber wenige Schritte weiter sperrt ein zweites den Pfad. Eine anscheinend todte Frau liegt auf dem Weg; doch eine zweite Gabe ruft die Todte ins Leben zurück und macht den Weg frei bis in die Nähe der Jurte.

Dort steht eine Gestalt und knurrt wie ein Hund. Sollte es heißen, daß die Hunde den Bräutigam, angeknurrt? Nimmermehr! Ein drittes Geschenk schließt den knurrenden Mund, und der Vielgeprüfte gelangt nunmehr unangefochten bis zur Jurte. Hier halten zwei Frauen die Thür zu, aber auch sie widerstehen einem Geschenke nicht; im Innern der Jurte halten zwei Frauen den Vorhang fest, auf dem bräutlichen Lager ruht eine jüngere Schwester der Braut; er löst sich von allen; die Jurte entleert sich; die Alte legt die Hände des Bräutigams in die der Braut und endlich sind beide vereinigt!

Unter Aufsicht der hilfreichen Alten, „Djenke“ genannt, besucht der Bräutigam zu wiederholten Malen die Braut, ohne sich dabei auch den Eltern des Mädchens vorzustellen, bis endlich der Rest des Kalüm bezahlt ist.

Jetzt läßt er durch den Werber bei dem Brautvater anfragen, ob er die Braut nunmehr in seine Jurte führen dürfe. Die Frage wird bejaht, und er erscheint wiederum mit großem Gefolge und vielen Geschenken vor dem Aul, schlägt in angemessener Entfernung wiederum sein Zelt auf, empfängt in ihm wiederum Frauenbesuch, verbringt die Nacht allein im Zelte und sendet von ihm aus am andern Morgen alle zu einer Jurte erforderlichen, von ihm zu liefernden Holztheile in den Aul. Daraufhin versammeln sich alle Bewohnerinnen der Jurten, um die von der Braut zu beschaffenden Filze flugs zusammenzunähen, soweit dies noch nöthig, und nunmehr beginnt man mit dem Aufstellen der neuen Jurte. Der beliebtesten Frau des Auls wird die Ehre zu theil, den Firstring emporzuheben und bis zur Einfügung der Sparren zu halten; die übrigen Frauen beschäftigen sich gemeinschaftlich mit der Aufstellung und Bekleidung des Gerüstes.

Während der Aufstellung der Jurte findet der Bräutigam sich ein; man bringt nunmehr auch die Braut herbei und fordert beide auf, von verschiedenen Seiten her der neuen Wohnung zuzuschreiten, um die große, für die Zukunft bedeutungsvolle Frage zu lösen, wer die Herrschaft in der Jurte führen soll. Die Herrschaft wird demjenigen Theile werden, welcher die Jurte zuerst erreicht.

Eines der vom Bräutigam mitgebrachten Schafe wird geschlachtet, eine Mahlzeit bereitet, um in der neuen Jurte verzehrt zu werden.

Während des Mahles umwickelt der neue Jurtenherr einen Beinknochen mit weißem Zeug und wirft ihn, ohne aufzublicken, durch die obere Oeffnung ins Freie. Gelingt der Wurf, so ist dies ein Zeichen, daß der Rauch aus dieser Jurte gerade aufsteigen werde zum Himmel, was Glück und Segen bedeutet für die Jurte und ihre Bewohner.

Nach dem zum Willkomm gereichten Imbisse begeben sich die Gäste in die Jurte des Brautvaters, woselbst ein zweites Mahl ihrer wartet. Für die in der neuen Jurte zurückbleibenden jungen Leute aber trägt die Brautmutter Speise auf; und reichlich und freigebig muß sie spenden, will sie nicht erleben, daß das junge Volk die Jurte über den Häuptern der Schmausenden abbricht und, zur Strafe der Kargheit, die verschiedenen Theile des leichten Gebäudes in alle Richtungen der Windrose entführt und in der weiten Steppe hinwirft. Nicht einmal die reichlich gefüllte Schüssel ist vor dem Uebermuthe der ausgelassenen Hochzeitsgäste sicher; einer entreißt sie der Wirthin und reitet mit ihr davon; andere versuchen, die Beute ihm abzujagen, und so währt das neckische Spiel fort, bis man zu fürchten beginnt, daß das Gericht erkalten möge.

Am nächsten Morgen verlangt der Brautvater zum erstenmal, den Bräutigam zu sehen, ladet ihn in seine Jurte ein, begrüßt ihn warm, rühmt sein Aussehen und seine Begabungen, wünscht ihm Glück zum Ehestande und überreicht ihm schließlich allerlei Geschenke, gleichsam eine Mitgift der Braut. Dies geschieht vor allen Hochzeitsgenossen, welche schon vor dem Eintreten des Bräutigams in der Jurte versammelt wurden. Zuletzt betritt diese auch die reichgeschmückte Braut. Befindet sich ein Mollah im Aul oder kann ein solcher herbeigeschafft werden, so spricht er den Segen über das junge Paar.

Und nunmehr singt man der Braut das Scheidelied, „Dschar dschar“ genannt, und sie erwidert mit thränenden Augen jeden Vers, jede Strophe dieses Abschiedsliedes mit der Klage der Scheidenden.

Der Wechselgesang verstummt; Kamele werden herbeigeführt, um die Jurte und alle Brautgeschenke, reich geschmückte Rosse, um Braut und Brautmutter nach dem Aul des Bräutigams zu tragen. Der junge Ehemann reitet dem hochzeitlichen Zuge voran und treibt mit dem ihm helfenden Genossen die Kamele zum schnellsten Laufe an, um Zeit zu gewinnen, die Jurte unter denselben Förmlichkeiten, welche beim ersten Aufrichten beobachtet wurden, in seinem Aul aufzustellen. Die Braut aber reitet, nachdem sie unter Thränen Abschied genommen vom Vater, den Verwandten und Gespielinnen, der Jurte und den Herdenthieren, dicht verschleiert in einem sie vollkommen verhüllenden, von den sie begleitenden Reitern getragenen Vorhange dahin, bis sie die Jurte, in welcher sie fernerhin als Herrin walten soll, erreicht hat. Der Schwiegervater, welcher inzwischen die Mitgift beschaut, gerühmt oder getadelt hat, ruft sie bald nach ihrer Ankunft in seine Jurte, und sie betritt diese mit drei so tiefen Verbeugungen, daß sie sich mit den Händen auf den Knieen stützen muß, um anzudeuten, daß sie dem Schwiegervater und der Schwiegermutter ebenso gehorsam sein werde wie ihrem Herrn und Gebieter. Ihr Gesicht bleibt während dieses Grußes verhüllt, wie fortan vor dem Vater und dem Bruder ihres Gatten und ein Jahr lang vor jedem Fremden. Später

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 379. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_379.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)