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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

passenden Straußes mußte er warten, und so kam es, daß sein Wagen erst fünf Minuten nach elf Uhr vor dem Hause des jungen Mädchens hielt.

Er stürzte förmlich die Treppen hinauf und riß die Thür des Wohnzimmers auf.

Da saß das schöne Mädchen still wartend, und vor ihr stand die alte Frau, Thränen in ihren Schürzenzipfel vergießend.

Alfred bat tausendmal um Entschuldigung, küßte Germaines Hand und überreichte seinen Strauß. Sie waren beide sehr blaß und vermieden es, sich anzusehen. Alfred geleitete sie hinunter, die Alte trippelte hinterdrein und erflehte schluchzend Glück und Segen für das junge Paar und nahm zum zehnten Male Abschied, denn sie wollte unterdessen in ihre hessische Heimath abreisen.

Und nun fuhren sie miteinander dahin, wo sie sich unauflöslich verbinden wollten. Sie saßen stumm zusammen, sie suchten sich nicht einmal durch einen Händedruck etwas zu sagen. Ein lähmendes Entsetzen war plötzlich über sie beide gekommen, als sie sich wiedergesehen hatten.

Dieses Mädchen, verwaist, hilflos, mutterseelenallein wie es dasaß, nur von der Theilnahme einer armen alten Dienerin begleitet, sollte in der Fülle seiner Jugend und Schönheit sich einem ungeliebten Manne vermählen? War das nicht eine Sünde? Hieß das nicht, sie um jede Glücksmöglichkeit betrügen? Ein ungeheures Mitleid ergriff Alfreds Herz und zugleich ein Unbehagen, welches an Furcht grenzte. Wie, wenn sie doch heimlich hoffte, seine Liebe könnte für sie erwachen? Er vergaß ganz, daß er diese Hoffnung ausgesprochen und sie dieselbe als unmöglich bezeichnet hatte. Wie, wenn sie erwartete, daß er sie zärtlich in die Arme schließen würde – der kalte Schweiß perlte auf seiner Stirn. Mit Entsetzen begriff er, daß es ihm ewig unmöglich sein werde, ein anderes Weib als die Eine zu küssen.

Und dabei rollte der Wagen mit fürchterlicher Schnelligkeit dem Ziel zu.

Germaine sah in die Blumenfülle ihres Straußes hinein. Aber ihre Blicke, die sich festbohrten, sahen doch nichts, vor ihren Augen hing es wie ein schwarzer Schleier. Ein Schwindel hatte sie ergriffen, eine Todesangst. Wie konnte es nur geschehen, daß die vorreife, weise erwägende Vernunft, welche sie immer nöthig gehabt in Jahren, wo andere sich gedankenlos ihrer Jugend freuen, sie auch in dieser riesengroßen Frage berathen hatte? Nun erst, in diesen schweigsamen Minuten begriff sie, was sie gethan, was geschehen würde und was noch geschehen konnte. Wie, wenn er doch glaubte, eine zärtlichliebende, eine hingebende Gattin zu finden, wenn er sich mit der Freundin nicht begnügen wollte? Wie hatte es nur kommen können, daß zwei Menschen mit klaren Sinnen übereinkamen, etwas zu thun, was sich in diesen schrecklichen Minuten wie Wahnsinn darstellte? Sich ohne Liebe aneinander ketten für ein Leben – das war ja Sünde! Für das Unglück, das nachher kommen konnte, kommen mußte, gab es dann nicht einmal die Entschuldigung, daß sie in blinder Selbsttäuschung hineingerannt seien.

Und da hielt der Wagen an dem verhängnißvollen Ziel. Und Ravenswann stand schon mit einem dicken blonden Herrn erwartend im Flur.

Geschah nun nicht etwas Unerhörtes? Flohen die beiden, die gekommen waren, sich hier zu binden, nicht mit Entsetzen wieder davon? Nein, es geschah nichts als das Programmmäßige. Es giebt Stunden, wo der Mensch sich seines Willens beraubt fühlt, wo er maschinenmäßig thut, was er nicht zu thun wünscht. Es ist, als ob die Seele sich aus dem Körper entfernt hätte und nun, über ihm schwebend, verwundert zusieht, was er alles beginnt. Der körperliche Mensch ist dann wie ein wildfremdes Wesen, und es ist der Seele wie ein Traum, daß sie dieses merkwürdige, automatenhafte Wesen einmal beherrscht hat.

So sah Alfred verwundert zu, wie Alfred neben einem jungen Weibe, begleitet von zwei Männern, in einen kahlen Saal trat, wo hinter einem grünen Tisch irgend ein Mensch stand und irgend etwas sagte, und wie Alfred dann etwas unterschrieb. Ja, er sah sogar, daß er einen ganz weitläuftigen verschnörkelten Zug unter seine Namensschrift machte, einen Zug, der ihm nicht Gewohnheit war.

Germaine aber zitterte am ganzen Leibe. Sie hatte gar keine Gedanken mehr außer dem einen, daß sie ihr Wort gegeben habe, daß er um sie geworben, weil er ihrer bedürfe, daß sie undankbar und unbarmherzig handle, wenn sie jetzt noch „Nein“ sage – jetzt, hier, vor diesen fremden lauernden Zeugen, die sie so unbescheiden betrachteten, als sei eine Braut ein Naturwunder.

Als die Feder in ihrer Hand lag, wollte es sich tonlos auf ihre Lippen drängen: ich kann es doch nicht! Da sah sie den festen, besonders großen Namenszug, den er hingesetzt. Mit bebenden Fingern schrieb sie ihren Namen darunter.

Sie waren vermählt!
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Unterdeß kosteten Frau Marie Ravenswann und Frau Doktor Schneider alle Vorfreuden dieses hochwichtigen Ereignisses aus. Vor einigen Tagen freilich hätten sie sich um dieses selbe Ereigniß beinahe ganz erzürnt, denn Jettchen Schneider nahm es sehr übel, daß Mietze Ravenswann ihr nicht früher etwas davon anvertraut hatte. Aber der Friede war durch die Ehemänner wieder hergestellt worden, und nun ergingen sie sich in einer Art triumphirender Schadenfreude. Der in so vielen Berliner Kreisen so viel besprochene Alfred von Haumond verheirathete sich so zu sagen hinterrücks, und sie hatten es zuerst gewußt, sie waren dabei gewesen, sie konnten genau erzählen, wie es hergegangen, sie waren mit der jungen Frau von Haumond „befreundet“ und hatten das nächste Anrecht, mit ihr zu verkehren.

Während sie die Tafel besichtigten, beriethen sie schon, mit wem Germaine verkehren, mit wem sie nicht verkehren sollte, denn das wollten sie schon verhindern, daß die arme junge Frau mit der abscheulichen Frau von Z und der koketten Räthin X oder gar der leichtfertige Frau Bankier Y Umgang hielte. Ueberhaupt erwarteten sie, daß Haumond ganz seinen früheren Kreisen entsagen und sich ganz an sie anschließen werde; Frau Mietze sprach etwas geheimnißvoll von dem großen Einfluß, den sie auf ihn habe, und roch dabei an dem schönen Strauß, den sie erhalten hatte.

Die beiden Damen hatten sich auch sehr festlich gekleidet. Frau Mietze hatte ihr „Braunseidenes“, Frau Jettchen ihr „Blauseidenes“ mit; sie trugen die Kleider zu Hause in größeren winterlichen Abendgesellschaften, im Badeort glaubten sie mit diesen Anzügen von höchster Eleganz bei der Nachmittagsmusik Eindruck zu machen. Das „Braunseidene“ war beunruhigend viel mit Goldschmelzperlen besetzt, davon sich ein ganzes Franzengehänge sogar noch um den Halskragen zog. Ueber dieses hatte Frau Mietze ein großes goldenes Medaillon an dicker Kette gelegt, auch trug sie eine reiche goldene Broche, während ihr spiegelglattes Haar mit einigen eng zusammengebundenen frischen Blumen geschmückt war. Das „Blauseidene“ hingegen war etwas zu reichlich mit weißen Spitzen besetzt; auf die bauschige Tüllweste der Taille hingen die dicken Korallenschnüre herab, die Frau Schneider so gern trug. Ebensolche Armbänder umschlossen ihre bis zum Ellbogen entblößten Arme. In ihre blonden Locken, die wieder untadelig als eine Fülle von Röhren übereinanderlagen hatte sie hinter das Ohr eine blasse rosa Rose gesteckt, die stets im Herabfallen begriffen schien.

Sie waren sehr mit sich zufrieden und beriethen nur, ob sie beim Empfang der jungen Frau Handschuhe anziehen sollten oder nicht. Frau Mietze hielt sich dazu für verpflichtet, da sie geladene Gäste seien. Frau Schneider meinte aber, das wäre zu steif, da sie ja nicht nach der jungen Frau einträten, sondern das Paar hier empfingen, sozusagen an Familien Statt.

Ehe noch die Frage entschieden war, riß ein Kellner die Thür auf und das junge Paar erschien.

Die beiden Frauen liefen in freudigster Ekstase auf Alfred und Germaine zu und erdrückten sie mit theilnehmenden Glückwünschen. Frau Mietze hatte einige Thränen echtester Mitempfindung, denn sie erinnerte sich der eigenen Vermählung.

„Ach ja,“ sagte sie, „es ist doch ein furchtbar ernster Tag. Und so lieb ich meinen Männe auch hab’, es war doch gräßlich, so der Abschied von den Eltern und allen Freundinnen und der Vaters-tadt.“

Da erinnerte sie sich, daß Germaine alles dieses nicht besitze und nicht zu verlassen brauche.

„Darin haben Sie es leichter,“ sprach sie, ihre Thränen trocknend.

Für die ungeheure Einsamkeit und Weltverlassenheit, die doch gerade heute dem jungen Mädchen zum traurigsten Bewußtsein gekommen sein mußte, hatte sie gar kein Verständniß. Sie fühlte nur mit, was sie selbst schon gefühlt hatte, begriff nur Lagen, in denen auch sie schon gewesen war, und indem sie mitleidig zu

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