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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

„Dafür kommt alles in diesen Kessel, was die Herrschaft bezahlt, und nicht in eine gewisse Schürzentasche mit einer gelben Schleife,“ zischte sie wie ein Schlänglein, das auf den Schwanz getreten worden ist.

Er hing den Kopf. Die gelbe Schleife auf Eulaliens Schürze war ihm selber fatal gewesen; er konnte es nicht anders sagen.

Endlich stand jedes Ding an seinem rechten Platz: in der Studierstube die Bücherbretter mit den seltenen Werken des Hausherrn; in den Kammern die Betten, dem kalten Bergklima gemäß hoch aufgestapelt.

Der Schwumprich that die letzte Arbeit: er steckte die geschnitzten Kienspäne in den eisernen Halter unter dem breit vorspringenden Küchenschornstein. Dann empfing er seine Bezahlung und ging mit strammem Gruß, von welchem Hulda keine Notiz nahm.

„So schlecht darfst Du ihn doch nicht behandeln,“ mahnte Sif. „Dazu hast Du kein Recht.“

Hulda sah sie starr an. „Kein Recht?“ und in dem flackernden Kienspanlicht, das zum Versuch angezündet war, sah ihr bräunliches Gesichtchen wieder unsäglich traurig aus. „Kein Recht? Er ist ja mein alter Schatz!“ setzte sie mit zitternder Stimme hinzu. Und nun brach der lang verhaltene Jammer los. „Er nannte mich schon sein Schätzchen, als wir beide noch in die Schule gingen. Dann haben wir mit einander Johanni auf der Brandkuppe getanzt, im Winter in der Spinnstube zusammen gesessen; ich habe niemals gedacht, daß es anders sein könnte. Er hatte den Handel mit Schwämmen und Beeren; da half ich ihm, denn seine Großmutter, die ihm die Wirthschaft macht, ist schon lange schwächlich. Hab mir manchmal die Lunge ausgeschwatzt, um die gelben Eierschwämme ein paar Pfennige billiger von den Kindern zu bekommen, habe mir die Füße wund gelaufen, damit die bestellten Morcheln beschafft wurden. Dann kam er unters Militär. Mein Stiefvater wanderte mit meiner Mutter und den Stiefgeschwistern nach Amerika aus. Ich blieb hier und wartete auf ihn. Im Wald, beim Flachsbau und Heumachen giebt’s immer Arbeit. Jeden Pfennig hatte ich von jeher zusammen gehalten, weil ich nicht gar zu lumpig in sein Haus kommen wollte. Jede geschenkte Kaude Flachs spann ich, oft in der Nacht bei Mondenschein auf meinem kalten Bodenkämmerchen. Ich ließ ein Stück Leinwand weben. Wie freute ich mich, als ich am Heidenteich die Bleichpflöcke einschlug und auch wie die anderen Mädchen meine Leinwand bleichte! Schneeweiß, Fräulein, ist sie geworden. Ich schaffte mir ein Bett, bin, wie es einem ordentlichen Mädchen ziemt, um eine Feder über sieben Zäune gesprungen. Ein schönes gemachtes Bett, Fräulein. Ich habe das Meinige. Und seiner alten Großmutter habe ich auch redlich beigestanden. Endlich kam er wieder.“ Sie schluchzte auf. Dann sprach sie stockend weiter: „Drunten in der Festung als Offiziersbursche war ihm in den Kopf gesetzt worden, ein junger Mann müsse eine reiche Frau heirathen. Da ging er nach der Lale, und ich vermiethete mich an den Herrn.“

Damit sie die Qual vor Augen hat, dachte Sif kopfschüttelnd. „Aber die Lale ist doch wohl älter als er?“ fragte sie theilnehmend.

„Freilich,“ antwortete Hulda; „sie wollte eigentlich auch nicht den Schwumprich, sie dachte an den Apotheker. Und der wollte sie auch zuerst. Die hätten ganz gut zusammen gepaßt. Aber da kam die Tochter vom Herrn Pfarrer aus der Benehme in der Stadt zurück, und nun will der Apotheker das junge Blut, und die Frau Pfarrerin sähe es auch gern, weil er reich ist. Zwanzig tausend Mark soll er haben.“

„So heirathet der Apotheker des Pfarrers Töchterlein?’’ fragte Sif.

„Nein!“ erwiderte Hulda. „Das Mariechen will nicht. Die mag den jungen Forstgehilfen gut leiden, der jetzt beim Herrn Förster ist. Aber den will die Frau Pfarrerin nicht, weil er an eine Heirath noch lange nicht denken kann.“ Sie seufzte, trocknete einmal wieder die Augen an der blauen Schürze und ging auf den Hof, um der Kuh einen Arm voll blumigen Grases zu bringen.

Sif saß und starrte in die wabernde Flamme hinein.

In dem kleinen Ort, aus dem jeden Morgen die Hirten tutend ihre Kuhherden führten, wo Gänse und Enten auf dem durch die Straßen fließenden Bach schwammen und die Leute am liebsten in der offenen Hausthür Toilette machten, führte ein halbes Dutzend Menschen ein Stück auf wie – sie mußte lachen – ein Mosersches Lustspiel. Ob’s freilich so herzlich fröhlich endigte? Ja, ja, die Ausbildung zur alten Jungfer hatte ihre Berechtigung; aber ob hier der passende Platz zu einer ungestörten Vorbereitung war? Sie schüttelte das schöne Haupt.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

Der Auerochse. (Mit Abbildung S. 369.) Streiten wir heute nicht darüber, ob der Künstler den uns im Bilde vorgeführten Wildochsen mit Recht den Namen „Auerochsen“ giebt! Richtiger wäre es wohl, er nennte sie Wisent (bonassus) zum Unterschiede von dem eigentlichen, langhörnigen, glatthaarigen Auerochsen (urus). Schon Plinius unterscheidet zwei verschiedene, in Deutschland vorkommende Wildochsenarten, welche nach Rom gebracht und dort dem Volke in den Thierkämpfen vorgeführt wurden. In gleicher Weise, sprechen die alten deutschen Schriftsteller von dem „Wysent“ und dem „Urochs“. Erst in neuerer Zeit führte die Verwechselung beider Wildgattungen, von denen die eine, der Auerochs, längst ausgestorben ist, dazu, daß man allgemein den Namen des letzteren auch auf den freilich nur selten noch vorkommenden Wisent übertrug.

Andere Zeiten – andere Leute, aber auch andere Thiergattungen! Die Kultur räumt nicht nur unter den Originalen der Menschheit auf, sie vernichtet auch die originellsten Erscheinungen der Thierwelt und läßt vielleicht dem deutschen Nimrod in nicht zu langer Zeit zur Befriedigung seiner Jagdlust nur den „Schablonenhasen“ übrig, wie ihn der Magdeburger Rübenacker so üppig zeitigt.

Der Wisent, oder sagen wir, der – wenn auch schlechten – Gewohnheit nachgebend, um besser verständlich zu bleiben: der Auerochse, ist aus der freien Wildbahn des mittleren Europas verschwunden, und nur noch der Kaukasus und vor allem der in der russischen Provinz Grodno liegende Wald von Bialowicza beherbergt dieses größte und stärkste Säugethier unseres Erdtheils. Schier undurchdringliche Dickungen gewähren dort dem edlen Wilde Schutz, dazu Moore, über die der Fuß des Jägers nur zagend hinwegschreitet, mit Röhricht verwachsen, durch fallende Stämme unwegsam gemacht, eine Wildniß von mehr als 30 Geviertmeilen Flächenraum, auf der man den Bestand von Auerochsen noch auf etwa 1500 Stück schätzt. Neben der Unzugänglichkeit des Bialowiczaer Waldes ist es aber noch das Machtwort des Czaren, welches sich der Ausrottung des Urs entgegenstellt; schwere Strafen stehen auf seiner Erlegung, und so ist es möglich gewesen, diese typische Thiergestalt längst entschwundener Zeiten bis in unsere Tage hinein zu erhalten.

Freilich, geblieben, was und wie er war, ist der Auerochse nicht; man könnte ihn degenerirt, verkümmert nennen. Ein Chronist erzählt uns, daß 1555 in Preußen ein Wisent erlegt wurde, dessen Länge 13 Fuß betrug, während er in der Höhe bis zum Widerrist deren 7 maß; er wog 19 Centner. Heute wird ein Stier selten länger als 8 und höher als 5 Fuß, und 11 bis 12 Centner sind dann für ihn schon ein sehr bedeutendes Gewicht. Auch seine Wildheit und Gefährlichkeit hat beträchtlich abgenommen. Während uns die deutschen Heldenlieder des Mittelalters von ihm als dem grimmigsten Gegner des Jägers zu melden wissen, geht er heute dem Menschen aus dem Wege, wenn er nicht gereizt oder verwundet ist; dann freilich wird er zum wüthenden Angreifer, und der Arm dessen, der die Büchse auf ihn richtet, muß fest und sein Auge sicher sein, sonst ist es um ihn geschehen.

Der Auerochs ist der nahe Verwandte des amerikanischen Bison; sie zählen beide zu einer Sippe und zeichnen sich durch die breite, gewölbte Stirne, die kurzen, runden, nach vorn und aufwärts gekrümmten Hörner und durch die dichte, am Halse und Widerrist mähnenartige Behaarung vor den andern Arten unter der Familie der Stiere aus.

Wie erwähnt, war der Auerochs in Deutschland ausgerottet, der Oberstjägermeister von Preußen aber, Fürst Pleß, hat sich das Verdienst erworben, ihn in seine alte Heimath wieder einzuführen. Im Jahre 1865 setzte man in dem etwa 2500 Morgen umfassenden Thiergarten der Herrschaft Pleß in Schlesien 1 Stier und 3 Kühe aus, die mit der Bahn aus dem Walde von Bialowicza an ihren neuen Bestimmungsort gebracht worden waren; sie haben sich hier gut acclimatisirt und auch Kälber gesetzt. Nach sechs Jahren wurde jedoch der Thiergarten in den Oberforsten aufgelöst, und die Auerochsen kamen nach dem Forstrevier Mezerzitz nahe bei Pleß, wo sie sich noch heute befinden. Um das Blut aufzubessern, wurde in den letzten Jahren ein Tausch von Stieren mit dem Zoologischen Garten in Berlin vorgenommen. Der Bestand beträgt jetzt 11 Stück, darunter 2 im vergangenen Sommer gesetzte Kälber, von welchen das eine außerordentlich gut gedeiht. Erlegt wurden im ganzen 9 Stück. An den Jagden nahmen jeweils auch Kaiser Wilhelm I., Kaiser Friedrich und Kaiser Wilhelm II., sowie Prinz Friedrich Karl theil, und jeder von ihnen hat je ein Stück erlegt. Hier machte man auch die überraschende Beobachtung, daß die Mutter das im Winter geworfene Kalb zwischen ihre Vorderläufe stellte, um es mit den langen Haaren vor Kälte zu schützen, ein Verfahren, welches sie auch einschlägt, wenn sie ihr Junges vor eingebildeten oder wirklichen Gefahren schützen will. Jedenfalls ist dieser Acclimatisirungsversuch als völlig gelungen zu betrachten, dürfte aber voraussichtlich vereinzelt bleiben.

Zum Schluß noch ein Bild aus jenen Gegenden unseres Vaterlandes, in denen der Auerochse der vordringenden Kultur am längsten Stand gehalten hat.

Es war an einem schwülen Augusttage, als wir durch die einsame Heidelandschaft zwischen den ostpreußischen Städtchen Labiau und Mehlauken fuhren. Der Weg führte erst durch eine öde, mit mächtigen Wandersteinen übersäete Fläche, deren Einförmigkeit selten einmal durch das graue Strohdach eines Büdnerhäuschens unterbrochen wurde. Der alte Kutscher erzählte uns, daß die Bewohner ringsum meist Wilddiebe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 371. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_371.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)