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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Hulda war schon wieder unten am Wagen. „Eil’ dich, Hannickel! Sonst hält die Chaise morgen früh noch an unserer Thür,“ sprach sie zum Kutscher, der durch seinen Mantel, ein Erbstück von Anno Eins her mit fünf Kragen, noch unbehilflicher geworden war.

„Das sind unsere Koffer,“ wandte sie sich hochfahrend an den Schwumprich, der es nicht lassen konnte, die Stricke loszuschnüren; „aber ich erlaube Dir, sie abzuladen. Dem Herrn wird’s nicht auf ein paar Pfennige ankommen, wenn Du sie doch gern verdienen willst. Wir sind nicht so.“

Der Schwumprich war feuerroth geworden; aber er faßte doch einen Koffer an. Sie griff nach der andern Handhabe und hielt ruhig fest, als ihm die seine in der Erregung entglitt.

„Die Männer sind einmal ungeschickt,“ sagte sie geringschätzig.

Als alles Gepäck herein geschafft war, händigte sie dem Kutscher einen Thaler aus, den ihr der Herr zu diesem Behufe anvertraut hatte. „Wir können es,“ sagte sie selbstbewußt.

Der Schwumprich wollte auch stolz sein und sein Trinkgeld nicht nehmen; aber sie trieb ihm den Hochmuth aus. „Du darfst Dir durch solches Gethu unsere Kundschaft nicht verschlagen.“

Da warf er einen Blick auf seine Cichorienpäckchen und Essigflaschen im Ladenfenster und steckte sein Fünfzigpfennigstück ein. Aber er blieb roth bis unter seine dicken schwarzen im Militärschnitt gehaltenen Haare.

Während der Bibliothekar sein Abendpfeifchen rauchte, wandelte Sif durch das ganze Haus, schaute durch die Dachluke nach der Wetterfahne und besichtigte die eiserne Kellerthür, wie man solche in früheren Zeiten anzubringen pflegte, um bei Feuersbrünsten die Schätze des Hauses da unten bergen zu können.

Als sie durch den Hausflur ging, sah sie Hulda in der geöffneten Pforte stehen. Wie war das Gesichtchen, welches ihr das Profil zuwandte, verändert! Wie kummervoll bewölkt erschien die gebräunte Stirn! Wie schmerzlich zuckte der Mund! Die nußbraunen Augen folgten irgend einem Vorgang so gespannt, daß sie Sif nicht gewahrten. Diese trat in die Unterstube an das Fenster.

Da ging der Schwumprich draußen vorüber neben einer stattlichen Frauensperson, die nicht mehr jung, aber recht gut gekleidet war und vorzüglich moderne Hackenschuhe und blau geringelte Strümpfe trug. Sie schwatzten zusammen, wie Pärchen thun, „die mit einander gehen“; so wird unter dem einfachen Völkchen der Zustand zwischen Liebelei und Verlobung genannt.

Jetzt flog mit lautem Krach die Hausthür zu.

Bei Sif tagte es. Sie ging hinaus zu Hulda. „Wer ist das Mädchen, mit dem der Schwumprich spazieren geht?“

„Die lange Lale,“ preßte Hulda heraus. „Eigentlich heißt sie Eulalia und ist die Wirthschafterin des Apothekers. Ich kann sie nicht ausstehen, gerade die nicht. Wie sie die Beine wirft!“ und sie sah auf ihre kleinen nackten Füße scheu herab.

Sif lächelte. „Komm, ich will Dir etwas schenken.“ Sie öffnete einen ihrer Koffer. „Da, wähle Dir von den Strümpfen aus, welche Du magst. Du brauchst Dich nicht davor zu fürchten. Zieh die rothen an! So! Und nun schlüpfe hier in meine alten Schnallenschuhe.“

Hulda stand athemlos. „Ach, wenn es doch noch etwas zu holen gäbe! Etwas in der Apotheke! Für einen Pfennig Räucherkerzchen.“

Sif nickte lachend. „Nun, so hole wenigstens für zehn Pfennig.“

Sie sah ihr nach, wie sie keck an dem Paar vorüber schritt, daß ihr weiter, mit bunten Kattunstreifen besetzter Rock sich schwenkte. Sie schien die beiden gar nicht zu bemerken.

Desto aufmerksamer wurden diese. Als sie auf die Apotheke zusteuerte, vor welcher als Schild ein Mohr stand, schlugen sie einen rascheren Schritt an, der immer schneller wurde, je länger Hulda hinter dem Mohrenbilde verweilte.

Jetzt kam sie heraus, die Düte so hochmüthig in der Hand haltend, als habe sie mit ihrem Einkauf die Apotheke vor dem Bankerott gerettet. An dem Paar schwenkte sie vorüber, als sei es Luft.

Ganz verblüfft standen beide, und der Schwumprich sah ihr nach, die Augen starr auf die rothen Strümpfe und die Schnallenschuhe gerichtet, während er den Bart nach der verkehrten Seite drehte.

Trotz ihres Triumphes aber wischte Hulda sich mit der blauen Schürze verstohlen eine Thräne aus den Augen, während sie „gute Nacht“ wünschte.

Als sie mit dem kleinen Oellämpchen schon unter der Thür stand, sagte sie, wieder schüchtern lächelnd: „Merken Sie sich, was Sie träumen, Fräulein! Der erste Traum unter einem neuen Balken geht in Erfüllung.“

„Nun, was hast Du hier geträumt, Hulda?“ fragte Sif.

Aber diese sah verschämt zur Seite, schüttelte den Kopf und erwiderte dann: „Daß ich hier im Dienst Glück haben würde. Und das trifft ja auch ein. Ich danke Ihnen vielmals, Fräulein.“

Sif lag mit offenen Augen in ihrer alterthümlichen Bettstatt.

Durch die runden Fensterscheibchen schimmerten die Sterne; denn die Vorhänge waren noch eingepackt.

Das arme Ding, das sich in den Schwumprich verliebt hatte, that ihr leid. Der nahm gewiß die andere mit den großen goldenen Ohrglocken.

Hatte der Vater doch recht, wenn er sagte: „Bildet Euch bald von Anfang an zu alten Jungfern aus!“? Fast schien es so. Aber wo blieb dann das Glück, das eine heimliche Stimme ihr verhieß, seit – ach! sie wollte ja nicht mehr an den geharnischten Reiter und die „sueze Juncfrouwe“ denken.

Allmählich verdämmerten Sterne, Butzenscheiben und arme liebende Mädchen, die in blaue Schürzen weinten.

Dann sah sie durch eine Mauerlücke hinaus ins Weite. Thürme tauchten auf, hohe Zinnen, Häuser mit Erkern; schönes altes Geräth umgab sie und – da stand auch der stattliche Mann mit dem braunen Vollbart. Aber er trug keinen Harnisch, sondern ein schwarzes Sammetwams wie der Doktor Faust, und er redete in mittelhochdeutscher Sprache so schnell, daß in ihrem Ohr nur die weichen Laute haften blieben, die mit ihrem „tiu, tiu“ wie der Sang der Vöglein klangen, der gestern abend noch aus der Schlucht herüber schallte.

Endlich schnitt der helle Ruf einer Amsel den Faden der Rede jäh ab.

Sif rieb sich die Augen, in die das Morgenlicht schien. Die Amsel sang draußen im Hof auf dem Haselbusch weiter.

Schade! dachte Sif. Wenn ich auch nichts verstand, es war doch so schön.

„Langschläferin!“ rief ihr Vater durch das weite Schlüsselloch. „Ich habe schon gefrühstückt: Milch, in welcher der Löffel steht, so rahmig ist sie. Und dazu riecht es wie frisches Brot. Natürlich hat ein jedes Anwesen sein eigenes Backhaus. Hulda zieht eben die dampfenden Laibe aus dem Ofen. Sie sind so groß wie die Mühlsteine und mit Kreuzchen gepiept, daß die Heinzelmänner sie nicht benaschen können. Das ist ein Leben wie im deutschen Märchen.“

Als Sif aus ihrer Schlafkammer kam, fand sie alles in angemessener Thätigkeit. Hulda handelte für den Herrn um eine schöne rothe Kuh und zwackte richtig noch zwanzig Mark ab. Der Schwumprich mühte sich, die auf den schiefen Böden wackelnden Möbel durch verschiedenartige Klötzchen festzustellen, und ihr Vater kühlte seinen Daumen, den er mit der Geschicklichkeit der Gelehrten statt des Nagels auf den Kopf getroffen hatte.

„Nun, der Schwumprich wird schon allein fertig werden,“ tröstete er sich.

Der Schwumprich mußte der Helfer in allen Nöthen sein. Bald sollte er die alten Dielen anstreichen, bald eine Holzverkleidung oder ein Geschirrbrett festschlagen und bepinseln. Von früh bis spät hatte er im Haus des Bibliothekars zu schaffen. Aber die Farbe holte er freilich in der Apotheke, und sein Schnapsfläschchen war dann stets mit goldgelbem Likör gefüllt.

Dafür konnte er den Mund nicht aufthun, ohne von der Hulda etwas auf die Kappe zu bekommen. „Daß der Herr Bibliothekar so viel auf die alte Hauslaterne hält,“ raunte er einmal ihr zu. „Schmiedeeisen! In Blei gefaßte Scheibchen! Es giebt so prächtige Lampen jetzt. Wie Sonnen strahlen sie.“

Sie stemmte den Arm in die Seite und erwiderte wegwerfend: „Alle Tage was Neues! Das mag bei Euch Soldaten so sein. Aber wir studierten Leute sind anders gesinnt. Wir halten an dem fest, was wir einmal haben.“

Er duckte sich und putzte weiter an der Laterne.

„Soll denn wirklich in dem Kessel gekocht werden, den ich an die Kette über dem Herd habe hängen müssen?“ fragte er ein andermal. „Es giebt jetzt so schöne eiserne Kochherde.“

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