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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

stumm, so lächelte sie melancholisch. Und immer hätte er am liebsten mit der Faust die Glasglocke zerschlagen. Immer dies dumme, blöde Puppenlächeln in seiner Einsamkeit – es war nicht auszuhalten!

Er nahm Marbods Brief. Seine Lippen kräuselten sich bitter. Ja, Marbod hatte recht.

Wie sagte Heine doch:

„Man schreibt nicht so ausführlich,
Wenn man den Abschied giebt.“

Sie aber – sie schrieb kurz und schnöde.

Er las weiter in Marbods Brief, und ein Ausdruck stolzen Unmuthes flog über seine Stirn.

Was unterfing der Freund sich, ihn zu warnen! Er selbst wußte ganz allein, was seiner kranken Seele noth that.

Seine Gedanken hafteten an diesem Punkt. Wie, er sollte nicht heirathen, weil er nicht aus Liebe heirathen konnte? Das ging niemand an als ihn selbst und das Mädchen, wenn er an dieses etwa ein solches Ansinnen stellte. Bisher hatte er nur in einem kurzen erregten Augenblick der Verzweiflung den Gedanken an solche Verbindung gehabt. Durch Marbods Widerspruch kehrte er darauf zurück und erwog ihn von allen Seiten.

Ein dämonischer Gedanke, für ewig zwischen sich und Gerda ein unübersteigliches Hinderniß aufzurichten! Keine Anwandlung schwachmüthiger Sehnsucht konnte ihn dann mehr in Gefahr bringen, doch noch zu der zurückzukehren, die ihn so tief beleidigt.

Und ein erlösender Gedanke, für immer das ruhige, feste, gleichmäßig gütige Wesen Germaines neben sich zu haben! Ihre Gegenwart war wie ein Friedenshafen für das mit Sturmsegeln schiffende Fahrzeug seines Lebens.

Ja, wenn das sein könnte, ohne daß Germaine mehr als Freundesneigung verlangte, dann – dann sollte Marbod sich doch freuen, anstatt davor zu warnen!

Und was Gerda sagen würde, wenn sie dergleichen erführe? Sein Zorn wallte auf in dieser Vorstellung. Es wäre eine Lehre und eine Strafe für sie, die sich nicht in sein Wesen finden gewollt hatte.

Dabei war es ihm, als hörte er sie sagen. „Ich kann einen Mann nicht achten, der nicht arbeitet.“

Hastig setzte er sich an den Schreibtisch. Seine Feder flog über die Bogen, die Schwierigkeiten der wissenschaftlichen Uebersetzung schienen sich spielend überwinden zu lassen. Seine Stirn glühte und sein Auge blitzte.

So saß er, bis sein Diener bei ihm eintrat und fragte, ob er, Fritz, falls der Herr nicht zum Essen gehen wolle, dann nicht seinerseits gehen dürfe, die gewohnte Stunde sei schon längst überschritten. Es war sonst Fritzens Obliegenheit, seinem Herrn ein wenig beim Umkleiden zu helfen und, wenn dieser die Wohnung dann verlassen hatte, hinter ihm alles zuzuschließen. Der Zeitpunkt dazu war zwar nur um fünfzehn Minuten überschritten, aber Fritz hielt auf Pünktlichkeit, denn in dem Speisehaus, wo er sein Mittagbrot nahm, aß um dieselbe Zeit die allerliebste Zofe einer russischen Herrschaft.

Alfred fuhr auf, warf seine Bücher zu und seine Papiere in die Schublade. Nach fünf Minuten war er auf dem Wege nach dem seiner Wohnung gegenüberliegenden „Hotel Viktoria“. Sein Geist war noch so vollkommen bei der Arbeit, die er eben verlassen, daß er erschreckt zusammenzuckte, als man ihn laut anredete, gerade in dem Augenblick, als er sich auf seinem Platz niederlassen wollte.

Die ihm von Marbod angekündigten Ravenswanns und Schneiders begrüßten ihn mit einer Lebhaftigkeit, die dem sonstigen Wesen dieser Leute fremd war. Aber es giebt Menschen, die sich in der Fremde über ein Gesicht aus der Heimath freuen wie ein Hungernder über ein Stück Brot. Einerlei, ob ihnen das Gesicht sympathisch oder unsympathisch ist – der Träger desselben lebt doch sonst auch im Schatten des heimischen Kirchthurms.

„Sie sehen, daß ich mein Vers-prechen halte,“ sagte Frau Mietze, die wieder ein karrirtes Kleid, diesmal aber grauschwarz, trug.

„Mein Gott, Sie sind magerer geworden!“ sagte Frau Doktor Schneider.

„Wie kommt es, daß Du hier issest und nicht in Deinem eigenen Hause?“ fragte Ravenswann.

„Ißt man hier gut?“ fragte Schneider. Und so sagten und so fragten alle vier alles mögliche durcheinander.

„Wir haben uns schon nach der Lage Ihrer Villa erkundigt,“ sagte Frau Mietze, nachdem man sich gesetzt und Alfred neben ihr Platz gefunden hatte. „Wir wären heute nachmittag zu Ihnen gekommen, denn heute müssen wir zusammenbleiben, mein Geburtstag ist nämlich, und Männe will mir nachher ein Geschenk kaufen. Sie zeigen uns den besten Juwelierladen.“

Alfred brachte seinen Glückwunsch dar.

„Nachher fahren wir dann zu Dir, Deine Villa soll ja entzückend liegen,“ sagte Ravenswann.

„Aber, lieber Assessor,“ sprach Frau Schneider mit ihrem jugendlich unschuldsvollen Lächeln „es schickt sich doch nicht, daß wir einen jungen Mann besuchen!“

„Die Villa ist nicht mehr mein“ erklärte Alfred kurz.

Und den einstürmenden Verwunderungsfragen ein Ende machend, setzte er alsbald hinzu.

„Die Baronin Offingen hat sie mir mit der ganzen Einrichtung abgekauft.“

Mit einemmal verstummte das bisher so lebendig gewesene Gespräch. Marie sah ihren Gatten bedeutungsvoll fragend an. Wie, sollte Alfred am Ende so viel Schulden gehabt haben, und sollte die Baronin, um sie ihm in einigermaßen annehmbarer Form zu bezahlen, sich das Haus haben übertragen lassen? Ravenswann grübelte Aehnliches. Es war merkwürdig, wie phantasiereich beide in Bezug auf die Unsolidität anderer stets waren. In dem Innern solcher Menschen haben die äußersten Gegensätze friedlich und unauffällig nebeneinander Platz; neben einer gewissen Gutmüthigkeit des Fühlens steht unmittelbar die Neigung, für die Thaten und Empfindungen anderer stets die kleinsten oder gar unlautersten Motive anzunehmen.

„So darf man endlich wohl offiziell gratulieren?“ fragte Marie.

„Wozu?“ fragte Alfred sehr beherrscht entgegen und sah sie kalt und fremd an.

„Nun, ich meine – Sie s-prachen doch früher so – als wenn …“ stotterte sie eingeschüchtert.

„Da müssen Sie mich durchaus mißverstanden haben,“ sagte er.

Marie seufzte auf Sie nahm ihm in diesem Augenblick seine Schroffheit gar nicht übel. Es war vorbei mit ihm und der Offingen. Welch ein Glück!

Man aß ziemlich schweigsam. Frau Doktor Schneider fragte einmal, was man nach Tisch anfange, und freute sich wie ein Kind, als sie hörte, man gehe zur Kurmusik. „Dadurch, daß ich so jung heirathete, habe ich noch so wenig von der Welt gesehen,“ sagte sie zu Alfred, „und ich habe ein kindliches Vergnügen an allem. Es ist wohl ein sehr interessantes Publikum da?“

„Sie werden ja sehen.“

Frau Schneider hatte die Gewohnheit, wenn sie sprach, ihr blondlockiges Haupt mit einer unruhigen Beweglichkeit vorwärts gebeugt zu halten, was ihr im Verein mit ihrem Adlernäschen und den herausstehenden Raffzähnen etwas Vordringendes gab. Alfred gemahnte es stets an eine Ente, die mit ihrem Schnabel umhersucht.

Zur Feier von Mietzes Geburtstag ließ Ravenswann zwei Flaschen Sekt kommen, auch hatten sie alle vier sämmtlichen Gängen der reichen Table d’hote stark zugesprochen, so daß sie, als man um drei Uhr zur Kurmusik ging, die rothen Backen und glänzenden Augen des Verdauungsfiebers hatten. Frau Doktor Schneider kicherte immer los und tänzelte wie ein neugieriger Backfisch über die Straße.

Alfred ging daneben und kam sich vor wie ein Opferthier.

„Warum in aller Welt,“ dachte er, „macht sich ein vernünftiger Mensch so zum Sklaven der Konvenienz, daß er mit Leuten verkehrt, die weder seinem Geist, noch seinem Herzen Nahrung bieten? Bloß weil er vor Jahren und Jahren einmal mit ihnen bekannt geworden ist unter Bedingungen, die sonst wohl Freundschaft hervorzurufen pflegen? Warum breche ich nicht mit Leuten, die in einer anderen Geisteszone leben als ich? Weil es einmal so Gewohnheit ist, mit ihnen dann und wann zusammenzukommen? Und weshalb kommen wir denn zusammen? Um miteinander zu essen und zu trinken. Was für ein lächerliches Ding das doch ist, seinen Bekanntenkreis erweitern und pflegen. Man stiehlt einander die Zeit, man tödtet einander die Gedanken und man kritisirt sich gegenseitig mit Uebelwollen.“

In seine Gedanken hinein fragte Frau Marie ihn:

„Haben Sie hier Freunde? Durch uns sollen Sie sich nicht s-tören lassen. Wir können uns so vielleicht Ihrem Kreise anschließen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_326.jpg&oldid=- (Version vom 3.5.2021)