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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Aneignung und Nachahmung über. Unter zahlreichen dramatischen Jugendversuchen, welche theils keck hingepinselt, theils bis ins einzelne liebevoll ausgeführt sind, ragt eine umfangreiche Tragödie „Blanka von Kastilien“ (1807–1809) hervor, in welcher er alle Motive und Stilformen der Schillerschen Dramen vereinigen zu können meint, bei aller Breite und Unzulänglichkeit der Darstellung aber eine seltene Beherrschung der Technik und des iambischen Pathos bethätigt: ein klangvoller Einleitungsaccord zu den zwölf großen Dramen, die er in der Folgezeit dem deutschen Volke schenkte.

Das Werk, das Grillparzers Namen zuerst bekannt machte, „Die Ahnfrau“ (1816), gehört einer vielgeschmähten Gattung, der sogenannten Schicksalstragödie, an. Die dritte Welt ragt in der Gestalt der ruhelosen Sünderin in die düsteren Geschehnisse herein. Ueber ihr selbst und über den Ihrigen schwebt eine höhere Macht, gegen die niemand ankämpfen kann; die Willensfreiheit der handelnden Personen ist, wenn nicht ganz aufgehoben, so doch aufs äußerste beschränkt. Diese Gebundenheit breitet eine dumpfe Schwere über das ganze Werk aus. Indem aber der Dichter eine mächtige, glühende Leidenschaftlichkeit dagegen anstürmen läßt und den dargestellten Charakteren eine jugendliche Frische und überschäumende Naturkraft verleiht, reißt das Werk die Zuhörer mit der Gewalt eines Lavastromes mit sich fort. Die „Ahnfrau“ ist vielleicht das bühnenfähigste aller Grillparzerischen Stücke; es wirkt unter allen Umständen, ob man die Effekte mildert oder übertreibt; es spielt sich so zu sagen von selbst; es hat einen unverwüstlichen dramatischen Nerv.

In welch bedeutsamem Gegensatze dazu steht die ruhige Erhabenheit und fast antike Einfachheit seiner nächsten Tragödie „Sappho“, die kaum ein Jahr nach der „Ahnfrau“ entstanden ist! Eine tiefe Wandlung ist während kurzer Zeit in der Entwickelung des Dichters vor sich gegangen; eine Milderung und Mäßigung hat sich über sein ganzes Wesen ausgegossen; aus dem genialen Uebermuth seiner Sturm- und Drangzeit hat er sich durch das Studium der antiken Tragiker zu sonniger Klarheit und ewiger Formschönheit emporgerungen. Er will nun zeigen, daß er auch ohne den Aufwand des äußeren Effekts eine tragische Wirkung erreichen kann. Er schließt sich an den Stil Goethes in dessen idealisirender Epoche an; eine Weihestimmung wie aus der „Iphigenie“ weht uns aus der „Sappho“ entgegen; ein Künstlerdrama wie der „Tasso“, erhebt es einen individuellen Konflikt in die Sphäre des Allgemein-Menschlichen; zwischen drei Personen, in raschester Zeitfolge, an demselben Orte spielen die erschütternden Herzenskämpfe sich ab. Und über dem Wellengrabe der lesbischen Dichterin schwebt eine versöhnende Milde, die uns wie ein Nachklang des Humanitätszeitalters anmuthet. Zugleich aber liegt uns ein tiefes Selbstbekenntniß des Dichters in diesem Werke vor; denn er selbst empfand den Widerstreit zwischen Leben und Kunst aufs schmerzlichste; auch ihm erschien der dichterische Beruf oft als eine Schranke, die ihn ausschloß aus dem Kreise reinmenschlicher Freuden.

Was hier mehr in idyllischer Enge sich abspielt, wiederholt sich auf weiterem kulturhistorischen Untergrunde und in mehr romantischer Beleuchtung in der Trilogie „Das goldene Vließ“ (1822). Die Nichtigkeit und Vergänglichkeit des Ruhmes, die Sehnsucht nach dem Glück des stillen einfachen Lebens und des mit sich einigen Gemüthes wird mit eindringlicher Gewalt an den Schicksalen Iasons und Medeas dargestellt. „Medea“ ist Grillparzers großartigste Schöpfung; wie er die trotzig herbe Mädchenblüthe des ersten Theiles in dem seltsamsten Liebeskampfe während des zweiten Stückes zur holdesten Weiblichkeit sich erschließen und diese in den furchtbarsten Seelenschmerzen endlich bis zur dämonischen Rächerin und Kindesmörderin sich verhärten läßt, das darf als Meisterwerk psychologischer Darstellungskunst bezeichnet werden. Der Dichter selbst hat Stimmungen durchgemacht, in denen er vor der Furchtbarkeit seiner eigenen tragischen Gestalt zurückbebte. Trotzdem hat er die Reinheit der tragischen Wirkung in so hohem Grade selten wieder erreicht wie in der „Medea“.

Die Zeit vor und nach der Entstehung der „Medea“ ist die fruchtbarste für Grillparzers Erfindungskraft. Wo er geht und steht, sprießen die dramatischen Probleme wie die Blüthen unter den Strahlen der Frühlingssonne empor; alles verwandelt sich unter seinen Händen zu dramatischem Gold. Ein scharfer und kühler Beobachter, läßt er keine Lage seines Lebens vorübergehen, ohne aus ihr Gewinn für seine psychologischen Studien zu ziehen; alte und neue Schriftsteller, Sage und Geschichte dienen ihm gleichmäßig als Fundgruben.

Er entwirft einen großartigen Dramencyklus: „Die letzten Römer“. Marius und Sulla, Cäsar und Pompejus, Spartacus und Catilina, Antonius und Cleopatra leben gleichzeitig in ihm auf. Während ihn der Ring des Polykrates auf die Inseln des Mittelmeeres, der stumme Sohn des Krösus nach Lydien, die sterbende Mariamne nach Judäa entführen wollen, hält ihn die große geschichtliche Vergangenheit des eigenen Vaterlandes auf dem heimischen Boden fest, und auf den Trümmern eines „Friedrich des Streitbaren“ und eines „Kaiser Albrecht“ erwächst die historische Tragödie „König Ottokars Glück und Ende“, in welcher die Anfänge des Hauses Habsburg dichterisch verherrlicht werden. Mit Meisterhand hat er einen weitverzweigten Stoff in ein festes dramatisches Gefüge gespannt; eine Fülle von Personen, jede bis ins einzelne individualisirt, läßt er mit einer Leichtigkeit sich bewegen, welche Staunen erregen muß. Kampf- und Massenscenen sind von elementarer Wirkung. Im Glück und Ende des Helden schwebte ihm Napoleons auf- und absteigendes Schicksal eingestandenermaßen vor Augen, und auch zu den zeitgenössischen Zuständen Oesterreichs führten die politischen Fäden herüber.

Während diesem Stück aber doch nur der Widerwille nationaler Heißsporne nicht gerecht wurde, hat das der ungarischen Geschichte entlehnte Drama „Ein treuer Diener seines Herrn“ bis zum heutigen Tag um seine allgemeine Anerkennung zu ringen. Eine Karikatur des vormärzlichen Beamtenthums wurde dieses Hohe Lied der Unterthanentreue gescholten, in welchem Kants kategorischer Imperativ seine Verkörperung erfahren hat ohne die Milderungen der Schillerschen Ethik. Bancban kämpft für seinen König und das ihm anvertraute Königskind bis zur eigenen Erschöpfung, bis zur Selbstaufopferung; er erduldet Spott und Hohn, er giebt seine Ruhe und Gesundheit dahin, er muß die Ehre seines Hauses antasten, das köstlichste Juwel seines Lebens, sein eigenes Weib, sich entreißen lassen; und er erträgt das alles fast ohne einen Laut der Klage, weil ein Höherer da ist, in dessen Händen die Gerechtigkeit gelegen ist. Die Verschlossenheit seines Charakters, die ihn im höchsten Schmerz in dumpfe Wortlosigkeit versinken läßt, einerseits und ein humoristischer Anflug, den der Dichter seinem Helden zu geben wußte, andererseits erschweren die Darstellung des ausgezeichneten Stückes, das auch durch die Schilderung der unbändigen Leidenschaftlichkeit in der Gestalt eines fürstlichen Wüstlings Anstoß erregte und auf diese Weise zahlreichen Mißverständnissen ausgesetzt war.

Der Bancban weist in Anlage und Charakteristik, in Stil und Sprache zum ersten Male den entschiedenen Einfluß jenes spanischen Dramatikers auf, der die Einwirkung Calderons bei Grillparzer ganz verdrängen sollte, den Einfluß Lope de Vegas. Dieser wird von da ab Grillparzers einziges dichterisches Vorbild. Von ihm entlehnt er den Stoff zur „Esther“ und zur „Jüdin von Toledo“, mit ihm berührt er sich im Stoff zu „Hero“. Durch ihn steigert sich Grillparzers Vorliebe für das Märchenhafte und Wunderbare; mit ihm wetteifert er in der Herausarbeitung der individuellen Einzelzüge, in dem Streben nach Anschaulichkeit und Bildlichkeit, in der Vermeidung des bloß Begriffsmäßigen, in der Lebendigkeit und Fülle des Ausdruckes. Durch das jahrzehntelang fortgesetzte eindringliche Studium Lope de Vegas wird sich Grillparzer erst aller in ihm ruhenden Kräfte bewußt, und jetzt erst läßt er sie frei und schrankenlos spielen.

Leider ist die „Esther“, die ganz unter dem Banne dieser Einwirkung steht, nur bis zum Anfang des dritten Aktes gediehen, von dem aus ein Schluß auf das Ganze noch nicht erlaubt ist. Aber ich bezweifle nicht, daß das Stück sich auch im weiteren Verlaufe auf jener Höhe der Kunstvollendung gehalten hätte, auf welcher die beiden ersten Akte stehen, nur daß es aus dem Bereiche des Herzens in die politische und religiöse Sphäre hätte hinübergeleitet werden sollen. Was hier der Gehalt einer einzigen vielbewunderten, auch auf der Bühne bewährten Scene ist, erfüllt in „Des Meeres und der Liebe Wellen“ das ganze Stück: die alles bewältigende Macht der Liebe. Eine alte See- und Inselsage, die zu verschiedenen Zeiten der Weltlitteratur dichterische Bearbeitung erfahren hat, gestaltete Grillparzer zu einem Drama. Aus dem lieblichen Idyll der Exposition wächst eine tragische Verwicklung heraus, welche die Helden unaufhaltsam dem Untergange

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