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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

„Und wie wirst Du denn hier allein fertig werden, Mutter?“

„Ich? Ei, ich bin nicht besser wie andere; die arme Majorin bleibt ja auch ganz allein. Aber ich wollte Dir ja erzählen: vorhin ist Helene getraut worden mit ihrem dauerhaften Bräutigam; ich habe in unserem Stuhl gesessen und die Trauung mit angesehen. Keine Seele war weiter in der Kirche als das Paar, die Mutter, der alte Onkel, was die Excellenz ist, und Lore.“

Er zuckte zusammen und hörte den Bericht der Mutter nur noch verworren vor seinen Ohren: wie schaurig die schwarzgekleidete Gesellschaft vor dem Altar ausgesehen habe; aber freilich, das arme lang gequälte Brautpaar habe doch füglich nicht noch ein ganzes Trauerjahr warten sollen zu all der Verlobungszeit. „Ja und was ich sagen wollte, ich habe dann nach der Trauung dem jungen Paar gratulirt und der Majorin auch; – nur ganz rasch – denn man ist doch nun mal in viel Leid miteinander zusammengekommen –. Und dabei streift’ ich auch so die Lore und,“ fuhr sie mit schwerem tiefen Seufzer fort „hör’, Ernst, schön ist sie noch immer, vielleicht noch schöner wie früher, und es sieht aus, als wäre sie gewachsen so hoch und schlank stand sie neben dem alten General – Aber –“

„Aber?“

„Je nun, es hat was Aengstliches; das ist ja jetzt als sei ihr Gesichtel aus Marmor, und als habe sie sich blau angestrichen unter den Augen; wäre ich die Majorin, ich würde mich sorgen, sie könnte krank werden.“

„Bleibt sie hier, Mutter?“

„Nein; die Majorin sagte, der alte General lasse sie nicht los und habe sie sich mit aller Gewalt aus dem Diakonissenhaus geholt; er sei selbst krank, habe er erklärt, und brauche eine Pflegerin, die Familie gehe vor. Den Winter bleibt sie noch bei ihm, erzählte die Majorin. Sie sind vorhin schon wieder fort nach Berlin. Das alte Fräulein drüben will nun so lange zu der Schwägerin ziehen. Wir haben uns versprochen, daß ich bisweilen zu ihr kommen will und sie zu mir – der Winter wird wohl vergehen.“

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.

Ludwig Walesrode. Am 20. März ist wieder ein alter Mitarbeiter der „Gartenlaube“, ein vormärzlicher Veteran gestorben, der mit seltener Zähigkeit an seinen vormärzlichen Erinnerungen und Ueberzeugungen festhielt und deshalb einsiedlerisch in einer späteren Epoche leben mußte, deren Bestrebungen ihm großenteils „wider den Strich“ gingen; doch er kämpfte nicht gegen diese anders geartete Zeit an; er lebte für sich in schweigendem Widerspruch gegen die Meinungen und Helden des Tags, und mit wehmüthiger Selbsterkenntniß mußte er sich sagen, daß er zu den verschollenen Größen gehörte.

Als ich im Anfang der vierziger Jahre als junger Student nach Königsberg kam, da stand Ludwig Walesrode in der vollen Blüthe seines Ruhms; es war die Glanzepoche seines Lebens. Er wurde so recht von dem Beifall der Menge getragen und wandelte stolz erhobenen Hauptes durch die „Stadt der reinen Vernunft“. Er war eine in mancher Hinsicht auffallende Erscheinung; er liebte es, soviele bunte Farben wie möglich in seiner Kleidung anzubringen und seinen faltenreichen Mantel wie eine Toga umzuschlagen. Sein Gesicht war damals voll und blühend, seine Züge hatten etwas Sympathisches, die munteren Augen blitzten durch die Brille.

Er war von Hamburg und Altona herübergekommen als Sprachlehrer; doch er hatte diese Thätigkeit bald an den Nagel gehängt, als er in den Mittelpunkt der Bewegung trat, welche damals in den baltischen Provinzen eine in ganz Deutschland sichtbare Leuchte angezündet hatte. Befreundet mit Johann Jacoby, trat er neben den kaltblütigen Vierfragenmann, der die politischen Exempel mit dem ruhigen Gleichmuth eines Mathematikers zu lösen suchte und alle phantasievollen Abschweifungen von ihnen fernhielt, als ein gleichstrebender Genosse, der mit den Waffen der Satire, des Humors, des Witzes und einer bilderreichen Beredsamkeit kämpfte. Es war nur in jener Zeit möglich, mit humoristischen Vorlesungen eine tonangebende Rolle in der politischen Bewegung zu spielen. Walesrode trat als Vorleser auf; das ganze gebildete Publikum Königsbergs versammelte sich an diesen Abenden, er hatte fast so großen Erfolg wie Franz Liszt, der gleichzeitig in demselben Salon des Junkerhofs sein unübertroffenes Virtuosenthum auf dem Klavier mit seinem damaligen jugendlichen Feuer bewährte, und selbst ein so viel gefeierter Dichter wie Georg Herwegh, der damals mit seinem König in schwunghaften Versen grollte, ein Held der politischen Mode, dem ebenfalls im Junkerhof die politische Opposition ein Festmahl gab, konnte bei seinem flüchtigen Besuche in der baltischen Hauptstadt den Ruhm des bewunderten Humoristen nicht verdunkeln.

Die Vorlesungen, die Walesrode damals hielt, erschienen im Druck unter dem Titel: „Glossen und Randzeichnungen zu Texten aus unserer Zeit“, und später schlossen sich ihnen „Unterthänige Reden“ an. Es war ein eigenartiger Humor, der sich in ihnen aussprach, sehr weit entfernt von dem Saphirschen Wortwitz, aber auch von dem leichtgeflügelten Pfeilwurf der scharf zugespitzte Heineschen Epigramme. Mehr Verwandtschaft hatte Walesrode mit Boerne, was die Wärme der politischen Gesinnung betrifft; aber auch auf Jean Paul wies er zurück, denn sein Humor hatte etwas Breites, Bilderprunkendes, wir möchten sagen Faltenreiches; es war eine üppige Gewandung, in die er sich hüllte. Natürlich verwerthete er alle Stichwörter der damaligen politischen Bewegung; es waren Augenblicksbilder, die er vorführte, und gerade das beeinträchtigte den Anspruch dieser Skizzen auf längere Dauer, den die gemüthvolle Eigenart dieses helläugigen, freundlich blickenden Humors sonst wohl hätte erheben können. Die Vorlesungen Walesrodes wurden trotz ihrer mißliebigen Feuerwerkerei, trotz der keck in die Höhe geschleuderten Raketen und Leuchtkugeln ihres der Regierung feindseligen Witzes nicht verboten; aber als er sie auch vor der Studentenschaft halten wollte, erfolgte ein Verbot des Prorektors, und dies hatte wiederum eine Kundgebung der gesammten mit dem Albertus geschmückten akademischen Jüngerschaft, eine Katzenmusik vor dem Hause des akademischen Würdenträgers, zur Folge. Ich selbst hatte den Anschlag des Zettels, der die Vorlesungen anzeigte, ans schwarze Brett besorgt und wurde so, da man doch einzelne besonders Schuldige aus der großen Gesammtheit herausfinden mußte, mit dem consilium abeundi bestraft, das auch einigen anderen zutheil wurde.

Walesrodes Art zu schaffen hatte etwas Schwerflüssiges, und so nur ist es zu erklären, daß, als die äußeren Anregungen bei der Mißgunst der Zeit ausblieben, auch seine publizistische und humoristische Muse fast ganz verstummte. Seine „Politische Todtenschau“, seine „Demokratische Studie“, seine humoristischen „Losen Blätter“ waren nicht danach angethan, Aufsehen zu erregen; aber sein reizendes Idyll aus Masuren „Der Storch von Nordenthal“ (1857) zeigte sein Talent im schönsten Lichte, und es mußte um so mehr mit tiefem Bedauern erfüllen, daß an diese Perle seines Humors sich Jahrzehnte hindurch keine mehr anreihte.

Von dem Pregel siedelte Walesrode an den Neckar über; in Stuttgart wohnte er im Verkehr mit einigen Gleichgesinnten, unter denen Ferdinand Freiligrath, so lang er lebte, die erste Stelle einnahm. Bedürfnißlos, in den einfachsten Verhältnissen lebend, an jede Art der Entsagung gewöhnt, erreichte er ein hohes Alter, gegen achtzig Jahre. Er war ein liebenswürdiger Mann, im Grunde von harmloser Kindlichkeit, und wenn jene Bewegung der vierziger Jahre ihn nicht in ihre Strudel gezogen und seinem Schaffen ein für allemal ihr Gepräge aufgedrückt hätte – Deutschland würde vielleicht in ihm einen seiner gemüthvollsten Humoristen begrüßt haben. Rudolf von Gottschall. 

Das Abbeißen der Fingernägel ist eine greuliche Unsitte, die man oft genug bei schlecht erzogenen Kindern beobachten kann. Man wettert allgemein gegen die Schulkinder, die das thun, aber in einem Falle huldigt man derselben Unsitte noch so allgemein, daß ein Wort dagegen angebracht zu sein scheint. Veranlassung dazu giebt uns eine Anfrage, die von einem Manne aus den sogenannten „gebildeten Ständen“ an uns gerichtet wird, ob man Kindern unter einem Jahre die Nägel abschneiden darf oder lieber abbeißen soll. Jeder vernünftige Mensch (medizinische Vorbildung ist dazu gewiß nicht nöthig) wird sich sagen müssen, daß das Abschneiden der Nägel dem Kinde zuträglicher sein muß als das Abbeißen, denn man hat doch die Schere besser in der Gewalt als die Zähne. Der Grund, warum man dem Säugling die Nägel abbeißen soll, ist auch kein gesundheitlicher, sondern findet seine Quelle im Aberglauben. Die Gefahren, welche das Abschneiden der Nägel dem Säugling bringen soll, sind nach der Volksüberlieferung folgende: In Oesterreichisch-Schlesien glaubt man, das Kind werde dadurch einfältig, im Erzgebirge, man schneide ihm dadurch das Glück ab; fast allgemein aber behauptet man, daß durch das Nägelabschneiden später in den Herzen der Kleinen eine Neigung zum Diebstahl hervorgerufen werde. Die meiste Mütter, die jetzt ihren Kleinen die Nägel abbeißen, thun es, weil sie es bei andern gesehen haben, ohne zu wissen, warum. Nützlich und appetitlich ist diese Prozedur keineswegs, und eine Mutter, die dem Kinde die Nägel abbeißt, bietet auch keinen schönen Anblick dar. Es mag ja mitunter recht bissige Frauen geben, die meisten aber werden doch besser mit der Schere schneiden können, und die abgeschnittenen Nägel werden auch besser und schöner wachsen als die oft in wunderbar zackigen Formen abgebissenen. * 

Ein frischer Trunk (Zu dem Bilde auf S. 305.) Jagen ist allerwege und zu allen Zeiten eine durstige Beschäftigung gewesen. Das hat heutzutage in deutschen Landen freilich nicht mehr viel auf sich, da genügt die Jagdtasche und die Feldflasche, um bis zum solennen „Jagdfrühstück“ oder einer ausgiebigeren Stärkung am häuslichen Herde für jeden Durst das erforderliche Löschmaterial in Bereitschaft zu halten. Es giebt heute viele Jagden, so und soviel Morgen groß, in so und soviel Stunden abzuschießen, es giebt da viele Jäger und noch viel mehr Sonntagsjäger, aber keine Pürsch hoch zu Roß, tagelang durch Wald und Heide wie ehedem, und wenn adlige Herrschaften alljährlich ein paarmal nach Art ihrer erlauchten Ahnen der Jagdlust huldigen, so treiben sie eine Kurzweil, bei der niemand auf einen frischen Trunk in Verlegenheit kommt. Das ritterliche Paar, das auf dem Bilde des Meisters Diez in wegloser Hochlandsheide mit Rossen und Rüden vor dem Beschauer hält, gehört der Zeit einer entbehrungs- und strapazenvolleren Jagdlust an und verdankt muthmaßlich nur den lechzenden Kehlen seiner braven Kläffer die Entdeckung des strudelnden Bächleins, das der trockene Gaumen schon eine geraume Weile ersehnt hat. Ein Trinkgefäß besitzt der wackere

Kavalier nicht, aber Galanterie und einen Schlapphut, dessen Krämpe ein

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