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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Lore von Tollen.

Roman von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Indessen hatten sich Wegstedt und der Doktor auf der Straße getroffen. Der kleine Offizier war in aller Eile an der Thür der Residenz seines Kommandeurs gewesen und hatte erkundet, daß Käthe dort nicht sei; nun war er ärgerlich wieder auf dem Wege nach Hause. Weshalb um alles in der Welt saß Käthe denn ewig bei der Mutter dieses Doktors? Und gar heute abend? Und plötzlich standen sich die beiden Herren gegenüber in der dunkeln, schlecht erleuchteten Straße, auf dem schmalen, nur für eine Person berechneten Fußsteig.

Der Offizier wollte mit einem raschen Gruß vorüber, da redete ihn der andere an. „Ist wohl ausgefallen, der Kegelklub heute abend, Herr von Wegstedt?“

„Weiß nicht!“ schnarrte der Kleine.

„Ah, Pardon, ich glaubte, Sie wollten – Apropos, Herr Lieutenant, gestatten Sie mir eine Bitte – nein, ich will Sie nicht aufhalten, ich komme die kurze Strecke wieder mit zurück.“ – Und der Doktor nahm, der Schwüle wegen den Hut ab und ging, ihn in der Hand haltend, auf dem Fahrdamm neben Wegstedt her. – „Die Bitte mag Ihnen zunächst sonderbar klingen,“ fuhr er fort, „sie lautet nämlich folgendermaßen: Animiren Sie Fräulein von Tollen nicht zum Reitsport, Herr Lieutenant!“

Wegstedt blieb stehen. „Was geht Sie das an?“ scholl es hochmüthig durch die Dunkelheit.

Es geht mich an, Herr von Wegstedt, verlassen Sie sich darauf! Wie so? weshalb? kann ich Ihnen heute noch nicht sagen, vielleicht sehr bald, aber –“

„Ich frage, was gehen Fräulein von Tollens Passionen Sie an?“ wiederholte Wegstedt eine Nuance gereizter.

„Nun denn, Herr Lieutenant, die Frage könnte ich mit Fug und Recht an Sie stellen. Haben Sie die Güte, etwas zu warten; ich bin heute noch nicht imstande, zu beweisen, daß die Passionen Fräulein von Tollens mich allerdings angehen.“

„Herr, Sie sind ein elender Renommist!“ schrie der kleine Offizier.

„Herr von Wegstedt!“ scholl es drohend zurück.

„Mein Herr, Sie lügen, wenn Sie behaupten, daß Sie auch nur ein Atom von Zugehörigkeit zu dieser Familie besitzen.“

„Und Sie, mein Herr, sind momentan nicht in der geistigen Verfassung, ein vernünftiges Wort zu verstehen, ich werde mir erlauben Ihnen morgen eine Erwiderung zukommen zu lassen.“

„Sehr angenehm!“

Der Doktor wandte sich jäh um. Wegstedt rasselte weiter.

„Alle Donnerwetter noch ’mal!“ fluchte er vor sich hin, „so ein verdammter –“ Die Hausthür flog krachend hinter ihm ins Schloß, daß Frau von Tollen aus dem ersten Schlummer aufschrak. In seinem Zimmer brannte die Lampe. Die Läden waren angeschlagen. Er warf die Mütze auf den Tisch und die Handschuhe dazu, den Säbel stieß er in eine Ecke, daß er das Gleichgewicht verlor, rasselnd längs der Wand hinschurrte und klirrend zur Erde fiel.

Alle Wetter noch ’mal! Weiß Gott, er war nicht hochmüthig, er war kein verstockter Junker, er achtete jeden, wes Standes er sei, wenn er seine Pflichten treu erfüllte; aber daß dieser Kathederheld es wagte, auch nur einen Gedanken zu der zu erheben, die er, Levin Hans von Wegstedt, zu seiner Ehefrau machen wollte, da schlag der Teufel drein, das war zu viel!

Er war, während er dieses halb gedacht, halb gesprochen, im Zimmer auf und ab gelaufen und warf sich nun mit verstörter Miene in einen der rothen Plüschfauteuils der Frau Majorin. Er war ganz unsinnig verliebt, der kleine Hans von Wegstedt, in dies feine schlanke Geschöpf mit dem kecken Gesicht und den prachtvollen Augen. Und er war ihr so dankbar, daß sie ihn, den kleinen Hans von Wegstedt, wollte; er hätte schon viele haben können, aber was waren sie alle gegen dieses Mädchen! Seit drei Wochen hatte er nicht mehr an sein Elternhaus denken können, ohne daß er dort in den Zimmern und Sälen sie umhergehen gesehen hätte. Verfluchter Unsinn, der Kerl mußte verrückt sein!

Auch er schrieb, er schrieb an seine Mutter, an der er all sein Lebtag eine Freundin gehabt, und bat sie, Käthe von Tollen einzuladen. „In solchem jammervollen Neste wie Westenberg, liebste Mama, vermengen sich die Elemente gar zu sehr, und dadurch, daß Tollens immer in mißlichen Verhältnissen waren, ist es eben gekommen, daß die sogenannte Hautevolée der Bürger sie als völlig zu sich gehörig betrachtet und meine Käthe sich der höchst ernsthaften Huldigungen eines sonst sehr charmanten Menschen, eines jungen Doktors vom Gymnasium hier, erfreut. Ich bin wenig entzückt davon, wenn auch ganz und gar keine Gefahr vorhanden ist. Bitte, komme womöglich selbst und hole Dein künftiges Schwiegertöchterlein. Bereite Papa langsam vor.“

Von dem ernsthaften Rencontre verrieth er kein Wort; so was schreibt man nicht, das mochte sich ja nun regelrecht entwickeln. – Der Doktor würde natürlich auf Studentenrapiere losgehen. – Apropos – er war ja wohl gar Reserveoffizier? Hans Wegstedt holte die Rangliste. – Richtig – um so besser! – Er ging endlich schlafen, nahm ein Buch und die Lampe mit ans Bett und trank die ganze Wasserflasche aus, aber sein empörtes Blut wollte sich nicht beruhigen, er that kein Auge zu.

Der andere Morgen brachte ein frühes, heftiges Gewitter, nach welchem der Himmel sich nicht wieder aufklärte; leise regnete es weiter auf die durstige Erde, die ihren Dank in Gestalt von wunderbaren Düften zu den wohlthätigen Wolken hinauf sandte.

Es plätscherte und rieselte in allen Dachrinnen und in allen Rinnsteinen, und in allen Häusern standen Thüren und Fenster offen um die ersehnte Kühlung einzulassen.

Hans von Wegstedt kam völlig durchnäßt von der Heide zurück und nahm sich kaum Zeit zum Umziehen, um den jungen Referendar, der ihn bereits seit einer Viertelstunde erwartet hatte, nicht allzu lange antichambrieren zu lassen.

Er wußte natürlich, was der wollte.

Der Referendar stand vor dem prachtvoll ausgestatteten Gewehrschrank, als Hans in sein Wohnzimmer trat, und ging nun gemessen auf diesen zu.

„Ich komme im Auftrag des Doktor Schönberg, Wegstedt.“

„Nehmen Sie Platz, Röder, ich erwartete das.“

Die Herren setzten sich.

„Schönberg läßt Sie um Genugthuung bitten; er erklärt sich zufriedengestellt, wenn Sie in meiner Gegenwart und in der eines Ihrer Kameraden Ihr Bedauern äußern, gestern abend so – so beleidigende Ausdrücke gebraucht zu haben. Sie waren vermuthlich schlechter Laune, Wegstedt, oder Sie unterschätzten die Eröffnungen Schönbergs.“

„Ich bedaure kolossal, aber ich kann nicht den Ipunkt von dem zurücknehmen, was ich gesagt habe; ich denke in diesem Augenblick noch genau so wie gestern abend,“ erklärte Wegstedt kühl.

„Dann habe ich Ihnen eine Forderung zu überbringen.“

„Ich bin vollkommen damit einverstanden. Natürlich Pistolen!“ sagte Wegstedt und erhob sich. „In einer Stunde wird mein Sekundant bei Ihnen sein.“

„Adieu, Wegstedt!“

„Habe die Ehre,“ sagte dieser und klingelte dem Burschen. Er mußte erst zweimal Sturm läuten, ehe der erschien.

„Zum Donnerwetter, wo steckst Du denn?“ fuhr er den armen Menschen an, der außer Athem war, „bist ja noch immer wie eine Made naß!“

„Zu Befehl, ich war für die gnädige Frau oben beim Doktor.“

„Was?“

„Das gnädige Fräulein ist krank geworden über Nacht.“ Hans Wegstedt wurde ganz blaß. Er stürmte wie er war in der Hausjoppe die Treppe hinauf.

Helene stand auf dem Flur mit besorgtem Gesicht.

„Gnädiges Fräulein, es ist doch nicht schlimm?“ fragte er.

„Der Doktor erklärt, noch könne er nicht sagen, was es sei; aber sehr krank ist sie sicher, wir fanden sie heute früh bewußtlos in ihrem Bett, noch in den Kleidern, die sie gestern getragen.“

Er stand ein Weilchen da wie vor den Kopf geschlagen und ging langsam wieder nach unten. Nach einer halben Stunde besann er sich, daß er ein wichtiges Geschäft habe, zog sich um und ging zum Frühschoppen, wo er einen Kameraden bat, ihm bei dem Rencontre mit Doktor Schönberg zu sekundieren.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_302.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2020)