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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Sattel gehoben hatte und ihr nun einen Vortrag über Zügelhilfen und Sitz im Sattel in für Laien unverständlichen Ausdrücken hielt.

„Das Gleichgewicht im Sattel ist der Kernpunkt für die Reiterin,“ rief der Kommandeur dazwischen.

Käthes Gesicht, das allerliebst unter der kecken Mütze aussah, strahlte vor stolzer Freude.

„Himmlisch!“ jubelte sie, „o, ich fürchte mich gar nicht! Ist es so recht? Danke tausendmal! Es ist ja ganz einfach.“

Die Herren lachten.

„Alle Achtung!“ rief der Kommandeur, als ‚Lillith‘ dem ‚Goldfuchs‘ an der Bande entlang nachging im Schritt und die tannenschlanke Gestalt des Mädchens davontrug.

„Ist auch Talent, Herr Oberstlieutenant,“ rief entzückt der kleine Ulan zurück.

„Das stimmt, das Mädel sitzt wie ein Alter.“

Käthe war ganz schwindlig vor Entzücken. Sie sah zu Wegstedt hinunter und fing einen langen, ernsthaften Blick von ihm auf.

Mit spielender Geschicklichkeit begriff sie, was man ihr zeigte, und als ihre erste Lektion beendet war, stand sie herzklopfend, überselig neben dem Kommandeur und sah zu, wie Gusti und Wegstedt über rasch herzugestellte Bretter sprangen. Sie war einfach Feuer und Flamme. Sie fühlte sich gehoben, begeistert, in ihrem wahren Lebenselement.

„Nun?“ fragte der kleine Offizier, als er dicht vor ihr absprang und, das Pferd am Zügel, zu ihr trat.

„Ach, es ist wonnig!“ sagte sie.

„Also der Unterricht geht fort?“

„Ja!“ rief sie stürmisch.

Er sah ihr lächelnd in die Augen. Sie standen abseits in dem weiten Raum. – Der Kommandeur war am andern Ende der Bahn neben Gusti, die jetzt, auf ‚Lillith‘ sitzend, spanischen Tritt reiten wollte und sich mit dem Thier im Kampf darüber befand.

„Wart, Du Faulpelz!“ scholl ihre klingende Stimme herüber.

„Wie gefällt Ihnen meine ‚Bella‘?“ fragte Wegstedt jetzt; „sie geht brillant als Damenpferd, es ist keine falsche Ader an ihr,“ setzte er hinzu und kraute die Stirn des zierlichen Rappen.

„Ach, sehr schön!“

„Gut, dann reiten Sie sie! Mama hat noch Damensättel in Fülle, sie soll einen schicken. Sie können sich sehr bald ins Freie hinaus wagen.“

Sie antwortete nicht, sie sah wie träumend in eine herrliche Perspektive hinein. Da stand im Hintergrunde ein stolzes Schloß, und darin hohe Säle, und in dem einen hing ganz am Ende ein Bild, ein dunkles Köpfchen mit braunen glänzenden Augen – ach, wer ist denn das?

Freifrau Katharina von Wegstedt, geborne von Tollen – ah!

Sie lächelte und bog die Reitgerte. – Entzückend war sie in diesem Augenblick!

In der Seele des jungen Offiziers stand in diesem Moment genau das nämliche Bild. So, so wie sie da eben sei, wolle er sie malen lassen, dachte er, und sein ehrliches, verliebtes Herz war von der Freude geschwellt, diesem armen kleinen Mädchen seine fast fürstlichen Reichthümer zu Füßen legen zu können. Gusti hatte recht, er war ein so guter kleiner Mensch, der Hans Wegstedt, und wie im Taumel bei dem Gedanken, daß dieses zigeunerhaft reizende Geschöpf ihn liebte; und daß sie das that, das wußte er seit gestern abend.

„Käthe!“ sagte er leise.

Sie hob die Wimpern und sah ihn an. Wenn noch etwas gefehlt hätte, um ihn ganz in Fesseln zu schlagen, so war es dieser scheue und doch glühende Blick – er traf wie Funken in ein Pulverfaß.

„Käthe, ich habe Sie so unsinnig lieb,“ sagte er halblaut und rückte die Mütze noch schiefer auf dem blonden Kopfe, „und Sie müssen – Käthe, zum Kuckuck, ich kann keine Worte machen – Sie müssen mich heirathen!“

Sie lehnte an der Bande, rosig, verschämt, erstaunt ob des stolzen Glückes, das sie plötzlich in die Arme nahm, um sie hinwegzutragen aus der Armseligkeit ihres jetzigen Lebens. – Langsam senkten sich die dunklen Wimperm über den durstigen, verlangenden Augen; sie war das Urbild eines süß verschämten glückseligen Mädchens, das zum erstenmale von Liebe hört.

„Käthe, sagen Sie ‚ja‘!“ flüsterte er.

Er war dunkelroth geworden vor Entzücken.

„Ich halt’s nicht mehr aus, Käthe,“ flüsterte er, „ich kann Sie nicht sehen so, ohne Ihnen um den Hals zu fallen“ stieß er hervor, „auf Wiedersehen! Ich mache jetzt einen Ritt – ich –“ Er war im nächsten Moment auf der ‚Bella‘, nahm mit einem prächtigen Sprunge die Barriere des Eingangs und war verschwunden.

Sie sah auf einmal völlig verändert aus, bleich wie zum Tode erschreckt.

„Gusti,“ rief sie der Reiterin entgegen, die eben im eleganten Trab daherkam, „ich möchte heim.“

„Genier’ Dich nicht! – Bist Du sehr müde? Es strengt anfänglich kolossal an. – Wo ist denn Wegstedt?“ rief Gusti.

„Fortgeritten!“

„Ah, geh nur, zieh Dich um, laß Dir von der Jungfer helfen. ‚Lillith‘ ist eigensinnig, das darf ich ihr nicht durchgehen lassen, entschuldige mich!“

Käthe ging und vergaß, sich von dem Vater der Freundin zu verabschieden; sie war in einem unbeschreiblichen Seelenzustand. Sie wußte hinterher nicht mehr, wie sie in ihre Kleider und auf die Straße und von da in Tante Melittas Wohnzimmerchen gelangt war. Nicht wie eine Dame hatte sie den Weg zurückgelegt, sie war gelaufen wie ein Schulkind, das zu spät zu kommen fürchtet, und athmete auf, daß sie unangehalten an dem Schönbergschen Hause vorübergeschlüpft war.

Sie warf sich, ohne anders guten Tag zu sagen als mit einem stummen Kopfnicken, in die Sofaecke und ließ Tante Melitta sich über ihr echauffiertes Aussehen wundern, so viel sie wollte.

„Bist Du ein launisches Ding,“ schalt die alte Dame endlich ärgerlich, „hast Du Dich etwa mit Deinem geliebten Ernst gezankt? Aber dann suche Dir künftig einen andern Trotzwinkel; weißt Du, wenn man hierherkommt, so spricht man wenigstens.“

„Ja, gleich, Tante, laß mich nur, ich habe Kopfweh.“

„Vielleicht hast Du Hunger,“ sagte das kleine gutmüthige Fräulein, das blasse verstörte Gesicht der Nichte betrachtend, „bist Du etwa weit gegangen?“

„Nein, ich hatte die erste Reitstunde, mir zittern alle Glieder.“

„Nu, das ist kein Wunder; na warte nur!“ Und Tante Melitta ließ in dem winzigen Stübchen nebenan, das die Stelle des Eßzimmers bei ihr vertrat, noch ein Couvert auf den sauber gedeckten Tisch legen und servierte Käthe ein zierliches Glasschälchen mit saurer Milch.

Da saß nun das Mädchen mit ihr und rührte die Speisen nicht an. Ihr ekelte vor dem Essen; sie fühlte sich so merkwürdig schwach.

„Ja, ja,“ sagte eben das alte Fräulein, dem es prächtig schmeckte, „sehr entzückend das Reiten, aber – es paßt eben nicht recht für den Lebensweg, den Du Dir ausgesucht hast; – Du mußt hübsch zu Fuße gehen. Hättest Du doch gewartet! Wozu bist Du so eilig gewesen mit Deinen achtzehn Jahren? Und in den Karten lag so etwas Brillantes für Dich – der Wegstedt, Käthe, der –“

Es war so dunkel jetzt, daß Tante Melitta die Röthe auf des Mädchens Wange nicht mehr sah.

Käthe erhob sich plötzlich, rief ein „Gute Nacht!“ zurück und lief davon. Eine furchtbare Angst jagte sie heim. – Wenn Wegstedt nach Hause gekommen wäre und hätte schon Tantchen Tollen Mittheilung gemacht, daß – –? Das durfte nicht sein, um Gottes willen nicht. Sie wußte, daß er sie mit keinem Blick wieder streifen würde, wenn er von der Mutter erfuhr: „Aber lieber Hans, Käthe ist ja schon gebunden.“ –

Sie riß die Hausthür auf; stockdunkel war es im Flur, nur die geöffnete Gartenthüre gegenüber zeichnete sich als ein dämmergraues Viereck ab, und von da draußen herein schollen Stimmen. Sie schlich auf den Zehen bis hinüber zu der Thüre. Unter der Linde schimmerte ein weißes Tischtuch, und mehrere Personen saßen dort. Sie hatten sich im Garten zusammengefunden, die Mutter, Helene, Hans Wegstedt – sie sah ihn jetzt deutlich trotz der tiefen Dunkelheit; schattenhaft hob sich seine Gestalt ab, er saß rittlings auf dem niedrigen Gartenschemel, die Arme auf der Rücklehne desselben. Alles andere verschwamm im tiefen Schwarz der Sommernacht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_290.jpg&oldid=- (Version vom 12.7.2023)