Seite:Die Gartenlaube (1889) 288.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

„Nicht so eilig!“ sagte der Doktor, der, aus der Schule kommend, Käthe in ihrem schwebenden Schritt vor sich hergehen sah. Von der Achsel flatterte ihr eine schwarze Schleife – sie hatte überhaupt mit besonderer Sorgfalt Toilette gemacht und schien es eilig zu haben.

„Wohin denn?“ fragte er und setzte den Strohhut wieder auf.

„Zu Kommandeurs in die Reitstunde.“

„Wer – Du?“

„Ja!“

Er war roth geworden. „Komm doch einen Augenblick zur Mutter mit herein, Käthe!“

„Ich habe keine Zeit.“

„Ich möchte Dich um etwas bitten, herzlich bitten.“

„Ich kann’s mir denken, ich soll nicht reiten.“

„Nein, das ist es nicht. Ich wollte Dich um Verzeihung bitten wegen gestern, ich war verstimmt, ich hatte Schulärger gehabt. Du sollst mir sagen, daß Du nicht mehr böse bist, Kind!“

„O, es ist nicht der Rede werth; ich will später kommen, Gusti und Wegstedt warten.“

„Nein, jetzt!“

„Warum?“

Sie standen an der Gartenthüre seines Grundstücks unter den Rüstern.

„Weil ich will; wir haben uns gestern abend unverantwortlich benommen, und das verlangt Sühne.“

„Aber jetzt will ich nicht, Wegstedt wartet.“

„Wegstedt – was geht mich Wegstedt an? Du willst mich wohl eifersüchtig machen?“ Er sprach dies alles scherzend und öffnete die Thüre, um sie eintreten zu lassen. „Hast Du Angst, Euer blonder Verzug könnte ein wenig Wartenlassen übelnehmen?“ fuhr er fort. „Sicher nicht, zumal wenn er über kurz oder lang erfährt, daß Du mein Schatz bist und ich ihm nur aus Gnade und Barmherzigkeit erlaube, Dir seine Ritterdienste zu widmen.“

Sie trat hastig ein. „Du willst ihm sagen, daß wir –?“ fragte sie erregt.

„Verlobt sind,“ ergänzte er. „Ja, ich finde, es ist das Richtige. Er ist ja bei Euch wie zur Familie gehörig – kann es also wissen. Es bringt diese Heimlichthuerei auch allerhand Mißverständnisse zustande, und Deine Mama,“ – er sprach das mit veränderter Stimme und einem ernsten Zug im Gesicht – „Deine Mama hoffe ich bald zu erweichen, daß sie die Sache veröffentlicht; es hat wirklich keine Art so, Kind. Ich habe mir das gestern abend überlegt, als Du fort warst.“

Sie sah sehr bleich aus in diesem Augenblick.

„Wir können ja heute abend darüber reden, ich werde zu Euch kommen oder bist Du nicht zu Hause?“ fragte sie.

„Sicher, ich sage dann im Kegelklub ab.“

„Adieu!“ murmelte sie.

„Ohne ein freundliches Wort?“ fragte er. „Soll ich auch damit warten bis heute abend?“

Sie nickte kurz und wie verlegen, dann ging sie. Er sah ihr nach, wie sie hinunter schritt und im Gitterthor verschwand.

Keine Ahnung kam ihm, daß sie ihn schon verrathen hatte.

Er war die ganze Nacht schlaflos gewesen und hatte sich endlich klar gemacht, daß er sie heimholen wolle je eher, je lieber; dann sei sie vorbei, die folternde Unruhe, und er löse sein Wort als Ehrenmann ein. Die andere – war und blieb verloren für ihn. Es vergiebt sich viel im Leben, aber solcher Verrath nicht; es war eine Schwäche gewesen, angesichts der Schwester, der Vertrauenden, auch nur einen Gedanken rückwärts zu senden.

Er rief die Mutter heraus, legte seine Bücher auf einen Gartentisch und begann mit ihr über den Ausbau des Hauses zu sprechen, der noch im Sommer vorgenommen werden sollte. – –

Käthe stand bald darauf in Gustis kleinem Boudoir. Es hatte schwere bunt gestreifte Wollvorhänge, an den Wänden eine Masse englischer Bilder, den Reitsport betreffend, und in einem Winkel einen Ständer mit ausgesucht eleganten Fahr- und Reitpeitschen, Leinen und Hundehalsbändern. Auf dem Kaminteppich lagen drei reizende schwarzbraune Teckel. Der Schreibtisch war besetzt mit Terracottahunden und -pferden und verschiedenen Bildern der Lieblinge. Eine große Photographie, eines jungen Offiziers zu Pferde, hing über dem Sofa, ferner die Porträts der königlichen Familie und einiger berühmter Sportsmänner. Ueberall Sessel und Sesselchen; am Fenster, halb versteckt unter den Vorhängen, als ob er sich schäme, ein Nähtisch, dessen Platte ein rothes Sammetkästchen trug, mit Elfenbeinwappen verziert. Daneben lag wirklich eine weibliche Arbeit, Flanellstreifen, die höchst kunstlos aneinander genäht waren – Binden für die Pferdebeine. Ein einziger Bücherschrank nahm die eine Schmalwand ein; er enthielt eine Bibliothek, die in ihrer Auswahl entschieden einem schneidigen Kavalleristen Ehre gemacht hätte.

Die junge Herrin dieses Zimmers lehnte in einem Schaukelstuhl; schon im Reitkleid, wartete sie ihres Besuchs und rauchte, sich langsam wiegend, eine Cigarette, deren Rauch sie höchst kunstgerecht in Ringeln in die Luft blies. Sie war ein kleines zierliches Geschöpf, wie ein Püppchen gewachsen, hatte ein mageres Gesicht mit etwas sonnengebräuntem Teint, der aber nicht schlecht aussah zu den grauen merkwürdig großen Augensternen, den kirschrothen Lippen und der Fülle dunkelblonder Haare über der Stirn.

„Endlich kommst Du!“ rief sie Käthe zu und sprang aus dem Stuhl; „nun rasch in das Reitkleid, Hans Wegstedt wartet schon.“

Sie schob Käthe in das anstoßende Schlafzimmer und half ihr bei der Reittoilette.

„Da nimm die Jokeymütze; ich setze den Hut auf – so! famos siehst Du aus, und nun komm! Was, gewebte Handschuhe? Die kannst Du nicht anziehen. Passen Dir welche von mir? Versuch’s.“

„Ist das Dein Bräutigam?“ fragte Käthe, das Bild des Offiziers über dem Sofa ansehend, indem sie mühelos in die Handschuhe fuhr mit ihren schlanken Händen.

„Errathen! – Das Pferd ist ‚Caressa‘, das fünfmal im Derby gesiegt hat; einmal in Hamburg, dreimal in Berlin und einmal in Baden-Baden. Das letzte Mal sogar gegen Wegstedts berühmten ‚Pompoer‘ um eine halbe Nasenlänge.“

„Wegstedt hält Rennpferde?“

„Warum sollte er’s nicht? Der kann’s doch aushalten?“

„Kennst Du seine Eltern?“ forschte Käthe und wurde roth.

„Ob! Letzten Winter in Berlin war ich auf zwei Bällen bei ihnen. Sie machen ein brillantes Haus. Die Mutter vom Hans ist enfant gâtée bei Hofe, eine liebenswürdige Dame und echt vornehm. Der kleine Hans sieht seinem Vater ähnlich, er hat gar nichts von der stattlichen Mutter; aber ein netter Junge ist er, was, Käthe? Und so der einzige,“ fuhr sie fort, „der ganze Verzug der Eltern. Sie thun einfach alles, was er will, damit ihr Herzblatt zufrieden ist – übrigens wirklich ein guter Kerl.“

„Haben sie denn auch in Berlin ein Haus?“ Käthes Augen waren immer größer geworden.

„Nein; aber eine Wohnung in der Nähe des Pariser Platzes, eine prachtvolle Etage. Was meinst Du, Schatz, was die kostet? Mehr als ein General Gehalt bekommt. Und entzückende Equipagen haben sie! Na, mit einem Wort, Schatz, der Hans ist eine Partie! Aber nun komm!“

Sie liefen eilig die Treppe hinunter und aus dem Hause, denn Gusti mahnte, Papa warte nicht gern und sei auch schon in der Bahn.

„Ist er reich, Dein Bräutigam?“ fragte Käthe während des eiligen Gehens.

„Bah, reich – ja – nein; er könnte mehr brauchen wegen der Pferde – Aber wir werden schon durchkommen; Papa giebt mir eine anständige Zulage. Was heißt reich? Wir haben eben außer Wegstedt keinen wirklich Reichen beim Regiment.“

Sie waren am Eingang eines großen Fachwerkgebäudes, das der Rath der Stadt als Reitbahn hatte aufführen lassen, angelangt. Der Oberstlieutenant stand vor der Pforte neben Wegstedt und wartete.

„Ist ‚Lillith‘ da?“ rief Gusti, „denn Käthe soll ‚Lillith‘ bekommen, ich nehme Deinen ‚Goldjungen‘, Papa.“

„Aber keine Mätzchen machen, bitte!“ rief der Vater.

Sie lachte hell auf und lief voran in den großen, trotz des draußen herrschenden Sonnenlichtes leicht dämmerigen Raum. Dort standen die Thiere, drei an der Zahl, Wegstedts ‚Bella‘, der ‚Goldjunge‘ und die ‚Lillith‘.

Mit einem leisen Wiehern begrüßte letztere ihre Herrin, die den schlanken Hals klopfte und ihr einen Kuß auf das weiße Fleckchen oberhalb der Augen gab.

„Sei gut, Du trägst eine Anfängerin heute,“ schmeichelte sie, „keine Sprüngelchen machen, dear Lillith.“

Sie saß bald darauf auf des Vaters Goldfuchs, der heute einen Damensattel trug, und amüsierte sich über den Eifer Wegstedts, der Käthe nach ein paar verunglückten Versuchen in den

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_288.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)