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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Wie ungern Alfred ging, mochte er mit keiner Silbe verrathen. Obgleich es sich aller Wahrscheinlichkeit nach nur um einen förmlichen Besuch handelte, bei dem er achtungsvoll anzuhören hatte, was man von ihm wollte, peinigte ihn doch ein dumpfes Gefühl wie vor einer großen Unannehmlichkeit, die überwunden werden sollte.

„Ah – bah!“ tröstete er sich unterwegs, „meine alte Abneigung gegen das Besuche machen!“

„Was kann sie von mir wollen?“ dachte er weiter, „vielleicht den Rath, wie ihre Tochter sich am besten eine einträgliche Selbständigkeit erwirbt? Da wird Gerda helfen. Und daß ich nicht mehr zu haben bin, muß ich ihr auch gleich zu verstehen geben.“

Er suchte aus seiner Brieftasche noch einmal jenen Brief heraus und las ihn im Gehen.

„Natürlich, es ist eine Dame, der ich gegenüberstehen werde,“ sagte er sich wieder.

Die Adresse, die man ihm angegeben, war ein Haus in der Lichtenthaler Allee. Eine kleine Reise, so schien es ihm, bis dahin, und doch als ihm endlich ein Wagen begegnete, den er hätte nehmen können, zog er es vor, zu Fuß weiter zu wandern.

In der schönen Allee, zwischen den alten Riesenulmen war es am Vormittag nur wenig belebt. Am jenseitigen Ufer der Oos lagen in dichter Reihe die freundlichen Häuser in den blühenden Gärten. Alfred überschritt eine der zahlreichen hinüberführenden Brücken und fand bald die Nummer des Hauses.

Durch einen häßlichen Vorbau, in welchem sich ein Krämergeschäft befand, gelangte man in den Garten. In diesem erhob sich ein zweistöckiges Häuschen. Der Garten ging bis an das Wasser, und daß das Häuschen für Badegäste erbaut war, zeigte ein großes blaues Schild, welches auf zwei Pfählen frei am Ufer stand und dessen Inschrift: „à louer“ bis zur Allee am andern Ufer hin lesbar war. Uebrigens bildeten aus Draht hergestellte Bogen gegen das Wasser hin die Grenze, und diese Bogen waren so dicht mit blühender Clematis berankt, daß man durch sie immer einen kleinen Ausschnitt des Alleebildes wie im lila Rahmen sah.

Dieser anmuthige Schmuck war die einzige Zier des Gartens, in dem einige einzeln stehende Tannen aufragten, an deren Stämmen je ein Tisch und eine Bank standen. Um das Häuschen zog sich im Viereck eine Rabatte hin, in der Jalappen, Levkojen und Reseda blühten.

Alfred sah das alles so genau, als sollte er eine Beschreibung davon machen.

In der offenstehenden Hausthür begegnete ihm eine Dienstmagd, welche er nach Frau Thomas befragte. Das Mädchen antwortete in einem unverständlichen badischen Dialekt eine ganze Geschichte. Alfred hörte kaum hin und verstand auch keineswegs für gewiß, ob die Damen parterre oder in welchem Stock sie wohnten.

Die gute Stimmung, in welche er sich hineingeredet, verging ihm gänzlich, als er die Treppe emporstieg. Er klopfte im ersten Stockwerk an eine Thür, einmal, zweimal und dann sehr laut noch einmal. Darauf erschien eine ältliche, sehr häßliche Dame, der man ansah, daß sie hastig ein Tuch über eine halbbeendete Toilette geworfen, und sagte auf seine Frage nach Frau Thomas sehr ärgerlich: „Eine Treppe höher“. Durch diese Kleinigkeit ward er vollends verstimmt und nannte die ganze Geschichte in seinem Innern „überspannt“ und „abgeschmackt“.

(Fortsetzung folgt.)




Eine merkwürdige Thierfreundschaft.

Mit Abbildung S. 289.

Als ich im Spätsommer des vorigen Jahres nach Berlin gekommen war und mit dem eben angestellten, voll jugendlicher Begeisterung sein Amt verwaltenden Direktor Heck den dortigen Zoologischen Garten durchwandelte, kamen wir auch in eines der noch von dem hochverdienten Reorganisator des Gartens, Dr. Bodinus, angelegten Vogelhäuser. „Hier ist auch ein junger Luchs mit einem Kaninchen zusammen,“ wurde mir gesagt, und man führte mich dabei nach einer Ecke des Inneren, die für mein Sehvermögen allerdings schon etwas zu düster war. Aber richtig, in einem durch ein Drahtgitter zu einem Käfig umgeschaffenen Raume knabberte ein weißes Kaninchen an einem Kohlrest und im Hintergrunde lag zusammengeschmiegt ein haariges Etwas, welches, wie mir versichert wurde, der Luchs war. Ich kann nicht sagen, daß mich der Anblick sehr ergriffen oder begeistert hätte, denn wenn man im Laufe eines halben Jahrhunderts schon mehreres auf dem Gebiete des Thierlebens, auch des Zusammenlebens verschiedener Thiere, gesehen hat, so rührt einen das bloß ruhige Vertragen zweier Thiere selbst von entgegengesetzter Art nicht mehr bis ins Innerste auf; kurz, was ich da zuerst sah, war ein mäßiger Genuß, und ich erinnere mich nicht, daß ich mich damals gedrungen gefühlt hätte, meinen Besuch bei den beiden zu wiederholen.

Glücklicherweise bekam ich aber einige Monate später eine „geschäftliche“ Veranlassung, nochmals nach Berlin zu kommen, und da hatte denn die Sache allerdings ein ganz anderes Ansehen bekommen. Luchs und Kaninchen lebten noch zusammen, waren aber umquartiert worden nach einem Außenkäfig, welcher einen besonderen Anbau am Vogelhaus bildete. Hier war es auch hell genug, denn von drei Seiten war der Platz dem Licht zugänglich, der Boden war sandgefüllt, also dem Kaninchen willkommen, ein paar von den Zeiten der früheren Bewohner des Käfigs, der Orang-Utans, her noch stehende Kletterbäume mußten dem Luchs ganz passend sein, und ein höhlenartiger schöner Schlafraum fehlte auch nicht. Was war das für ein ganz anderes Leben!

Der Luchs, obgleich bei weitem noch kein Jahr alt und also keineswegs ganz erwachsen, war bereits ein prächtiges Thier geworden und zeigte eine Wohlgelauntheit, einen Humor, eine Spiellust, wie man sie dem Thier bei dieser Größe eigentlich nicht mehr zutrauen konnte. Und nun sah ich auch erst, daß die Thiere sich nicht bloß vertrugen, sondern daß in der That im vollen Sinne des Wortes eine eigentliche Freundschaft zwischen ihnen bestand, wohl werth, auch einem größeren Kreise geschildert zu werden.

Gerade als ich damals zum ersten Male an diesen neuen Aufenthaltsort der Thiere herantrat, gab der Luchs gleichsam aus dem Stegreif eine Art Vorstellung. Wie dies meistentheils die Beschäftigung des Kaninchens war, knabberte es eben an einem Kohlblatt, und vor ihm lag auf dem Rücken lang ausgestreckt, die Beine nach oben, der Luchs, mit seinen Vorderpfoten nach dem Kaninchen haschend, offenbar um es auch zum Spielen zu veranlassen. Bei seiner mangelnden naturgeschichtlichen Kenntniß wußte er natürlich nicht, daß das Kaninchen längst erwachsen, vielleicht bereits ein paar Jahre alt und jedenfalls über die Periode jugendlicher Laune und Spiellust hinaus war. Blieben also seine Hoffnungen unerfüllt, hielt ihn dies gleichwohl nicht ab, seine Aufforderung zum Spiel immer von neuem zu wiederholen, wobei er oft die verzwicktesten Stellungen annahm, die seine Gelenkigkeit im vollsten Grade zeigten. Erst als das Kaninchen seinen Platz verlassen, gab auch der Luchs sein Bemühen auf. „Gut“, mochte er denken oder es unbewußt empfinden, „wenn du nicht mitspielen willst, so spielen wir eben ein Spiel, wo das nicht nöthig ist, spielen wir ‚Mordens‘!“ Gedacht, gethan! Schon ist er auf den wagrechten Ast des Kletterbaumes gesprungen, hat sich niedergeduckt und folgt zuerst mit leuchtenden Augen den Bewegungen der Freundin auf dem sandigen Boden. Da – wie der Blitz – ein einziger Sprung, und das pinselohrige, hochbeinige Raubthier hat den armen langohrigen Nager mit Maul und Pfoten gepackt, so daß der Beschauer nicht anders denken kann als: das ist des Kaninchens Ende. Aber nein, er „spielt“ eben nur „Mordens“, nur Maul und Pfoten, nicht aber Krallen und Zähne haben die Freundin gefaßt, und wenn dieselbe nun auch einigemal geschüttelt wird und selbst wohl auch keineswegs sehr begeistert für dieses Spiel sein mag, geschadet hat’s ihr nicht; denn als der Luchs sie zuletzt losläßt, da ist sie munter wie zuvor und bringt höchstens ihre Festtoilette durch Putzen wieder in Ordnung. Und der Luchs? Nun, der weiß, wenn dieses Spiel zu Ende, in der Zeit des Munterseins immer etwas zu thun. So z. B. macht er, während man eben noch dem sich putzenden Kaninchen zusieht, plötzlich einen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_283.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2020)