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verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

No. 17.   1889.
      Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.


Nicht im Geleise.

Roman von Ida Boy-Ed.
(Fortsetzung.)


Das Gespräch schlich sich mühsam hin. Alfred sprach in solchem Fall aus einer Art von Bosheit kein Wort, um zu sehen, bei welchem nichtssagenden Thema die mit armseligem Gedankengepäck umhersuchenden Geister denn endlich landen und sich häuslich niederlassen würden. Marbod hatte auf die Fragen, „wie ihm Berlin gefalle“, „wo er wohne“, „was er schon gesehen und was für Bekannte er habe“, eingehend geantwortet. Endlich brachte Ravenswann die Rede auf den gerade in Mailand tagenden Bimetallistenkongreß, holte seine Zeitung herbei und unterbrach seinen Vortrag, denn in einen solchen artete seine Unterhaltung sofort aus, durch die Vorlesung von Zeitungsstellen, die ihm in seinen Ansichten recht gaben. Marie stand dabei ab und zu geräuschlos auf und ging hinaus, um in der Küche nach dem Rechten zu sehen. Jedesmal, wenn sie die Thür öffnete, kam ein Bratenduft mit herein.

Und endlich saßen sie denn im Speisezimmer um diesen vortrefflichen Braten und aßen ziemlich schweigsam. Frau Mietze hatte von der Aufregung, ob das Essen auch gut gerathen sei, kupferrothe Wangen. Sie stand auch noch vom Tisch mehrmals auf, nicht ohne sich gegen ihren Nachbar Marbod Steinweber stets zu entschuldigen.

„Meine beiden Mädchen sind so unzuverlässig,“ sagte sie, „Sie glauben gar nicht, wenn man nicht selbst hinterans-teht, kommen sie nicht vom Fleck.“

Alfred, welcher Frau Doktor Schneider zu Tisch geführt hatte, sah den Freund öfters mit einem Blick an, den man hätte schadenfroh nennen können. Wenn er allein hier gewesen war, hatte er die bleiern schleichenden Stunden nur mit der größten inneren Ungeduld ertragen. Da er jetzt unschwer Marbod ansah, daß dieser litt, freute er sich wie ein böser Junge. Marbod verstand ihn wohl und lachte ihm einmal zu, nicht ohne ihm zärtlich zu drohen.

„Warum drohen Sie ihm?“ fragte Frau Mietze, die scherzhafte Gebärde eifrig erfassend. „Er ist wohl immer gräßlich leichtsinnig, und Sie haben genug zu thun, ihm Moral zu predigen?“

Und dabei dachte sie mit gierigem Interesse an die Begegnung von heute früh, und was dieser Haumond schon alles erlebt haben mochte.

„So schlimm ist es nicht,“ sagte Marbod heiter, „ich drohe ihm, weil er mich, den gestern Angekommenen, heute schon wieder verlassen will.“

„Wieso heute? Das geht ja gar nicht mehr.“

„Er reist heute nacht nach Baden-Baden,“ erzählte Marbod.

Vor Erstaunen schwieg die ganze Gesellschaft eine Minute lang.

„So plötzlich,“ sagte Frau Mietze, von Argwohn und Neugier fast gefoltert, „was ist denn passirt? Denn gestern sagten Sie noch keine Silbe davon. Und jetzt ist es schon nach neun Uhr. Man muß Vorbereitungen treffen. Das muß ich ges-tehen, das nenne ich eine s-tarke Seelenruhe.“

„Was braucht’s da langer Vorbereitungen?“ sprach Alfred, indem er sich Kompot auffüllte.

„Mein Diener ist mit dem Gepäck an der Bahn, mein Geld habe ich in der Tasche.“

„Warum erzähltest Du das gestern nicht? Wir hätten Dich heute abend nicht gestört, denn es war Dir gewiß ein Opfer,“ sagte Ravenswann.

„Im Gegentheil,“ versicherte Alfred, sich gegen Frau Marie mit einem so liebevollen Lächeln verneigend, daß dieser ein


Deutschlands merkwürdige Bäume: Alte Linde auf dem Schloßwalle zu Pyrmont.
Nach einer Zeichnung von Robert Geißler.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1889, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_277.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2020)