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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


Im Garten unter der Rüster, wo sie sich verlobt hatten, war der Kaffeetisch gedeckt. Hinter der Bank blühte ein Fliederstrauch, und blaue duftende Dolden berührten fast den braunen Kopf des Doktors, der hier saß und auf seine Braut wartete. Er las, und zuweilen sah er nach der Uhr. Es war nicht gerade die Ungeduld eines zärtlichen Bräutigams, die sich in seinem Gesicht abspiegelte, vielmehr hatte er sich so versenkt in seine Lektüre, daß er ganz überrascht war, wenn wieder eine Viertelstunde von der verabredeten Zeit verstrichen war.

Endlich kamen im Gange hinter ihm leichte Tritte daher, und aufspringend stand er vor Käthe, die eben um das Gesträuch bog.

„Willkommen,“ sagte er und reichte ihr die Hand, „setze Dich, Käthe! Ich denke, Mutter wird Dich bemerkt haben und bald hier sein.“

Das junge Gesicht unter dem breitrandigen Strohhut von leichtem schwarzen Geflecht ward roth. Es war allerdings ein Empfang, wie sie ihn nicht erwartet hatte. Sie hatte gemeint, er müsse ihr in überwallender Zärtlichkeit danken, weil sie, gehorsam seinem Wunsch, ihre Landpartie, dies doch gewiß ganz unschuldige Vergnügen, aufgegeben habe, man hat doch wahrhaftig wenig genug im Leben!

Nichts von alledem; es war ja selbstverständlich nach seiner Idee, daß sie kam. Es spiegelte sich aus jedem Zug seines regelmäßigen, schönen Gesichtes ab: ich kann das verlangen!

Sie setzte sich stumm in einen Gartenstuhl an die entgegengesetzte Ecke des Tisches, holte ihre Handarbeit aus dem seidenen Beutelchen und begann hastig, aber mit einer gewissen Ungeschicklichkeit zu häkeln. Es war sehr drollig. Er betrachtete sie ein Weilchen mit etwas milder Miene, wie wenn man ein Kind betrachtet. Dann nahm er das Buch und sagte. „Soll ich beginnen, Käthe? Ich kann vielleicht, bis Mutter kommt, noch das Kapitel aus der Geschichte der Mark fertig lesen, Käthe, das wir Sonntag begonnen haben. Wo blieben wir doch?“

„O lieber Himmel, ich habe keinen Schimmer mehr,“ antwortete sie, „mich interessirt überhaupt die ganze Geschichte nicht. Was geht es mich an, ob Dietrich von Quitzow vor fünfhundert Jahren einmal Westenberg belagerte und Mord und Brand hinter der alten Stadtmauer gehaust haben? Wir Tollens stammen aus Schlesien und außerdem, ich bin ein Kind meiner Zeit und will von der Gegenwart etwas wissen, und der Himmel ist so blau und die Sonne scheint so hell, ich mag das vermoderte Zeug nicht hören.“

„Aber Du interessirtest Dich doch lebhaft für diese Lektüre?“ fragte er und sah unsicher zu ihr hinüber, „ich dächte, wir hätten oft davon gesprochen, einmal die ‚Quitzows‘ zusammen zu lesen.“

„Wir? Ganz gewiß nicht!“ erklärte Käthe, „Du sprachst nie mit mir über diese Lektüre, das hast Du geträumt, oder Du bist – Du – es wird wohl Lore gewesen sein,“ setzte sie hinzu.

Er legte plötzlich das Buch hin und starrte zu der alten Mauer hinüber, aber er antwortete nicht. Er konnte dem jungen Mund da drüben nicht widersprechen, der unbarmherzig die Wahrheit sagte und ihn erschreckte bis ins tiefste Herz.

„Verzeih,“ brachte er endlich hervor, „ich will Dich nicht quälen. Wollen wir plaudern?“

„Ja,“ erwiderte sie kurz. Aber es ist leicht gesagt, „plaudern wir“, wenn das Herz voll Bitterkeit ist. Plaudern ist der Ausdruck für einen Austausch harmonisch gestimmter Gemüther; es gehört geistiges und körperliches Wohlbefinden, das Gefühl der Behaglichkeit dazu.

Von der Straße her scholl jetzt das Trappeln von Pferdehufen und das Rollen leichter Wagenräder. – Kommandeurs fuhren eben nach Buchenhagen. In Gedanken sah Käthe die blonde Gusti auf dem Kutscherbock in der knapp sitzenden Jacke von dunkelblauem Stoff, aus dessen Täschchen das winzige seidene Tuch schaute; sah die zierliche Krawattennadel in Form eines Hufeisens, den kecken Filzhut auf dem blonden, ganz jungensmäßig geschnittenen Haare, und die mit gelblichen Lederhandschuhen bekleideten Hände, die Leine und Peitsche regierten. Wundervoll, so zu sitzen und hinauszufliegen in den kühlen Waldesschatten, der dort unten weit in der Ferne sich ausbreitete!

„Es ist heiß hier,“ sagte sie.

„Ich finde es nicht,“ erwiderte er, „das Wasser giebt Kühlung. Aber weißt Du, was ich mir ausgedacht habe? Ich lasse dort weiter unten, dort an der freien Stelle, noch einen Platz herrichten, der soll der unsere werden, Käthe, dieser mag für Mutter bleiben; es ist gut, wenn jeder auf eigner Hoheit sitzt; es schließt darum nicht aus, daß wir zusammenkommen. Und im Herbst, Käthe, wollen wir da zusammen eine Linde hinpflanzen!“

„Ich finde eine Edeltanne schöner,“ widersprach sie.

„Aber man kann nicht darunter sitzen, und ich denke, Du magst Linden gern.“

„Nein!“ sagte sie laut und hart, „das ist ja Lores Lieblingsbaum.“

Er stand auf und ging seiner Mutter entgegen. „Du bleibst so lange.“

„Ich wollte nicht stören,“ erwiderte die alte Dame, welche behutsam die mit einem wollenen Kaffeewärmer bedeckte Kanne trug. „Solche, wie Ihr seid, haben sich immer viel zu erzählen – und sieh ’mal, Käthchen was ich gefunden habe.“ Sie hielt einen Brief in die Höhe. „Den solltest Du gewiß in den Kasten stecken, was?“

„Ja, an Lore,“ sprach das Mädchen erschreckt.

„Was heißt denn das? Lore ist doch nicht krank?“ fragte die Pastorin.

„Nein!“ antwortete Käthe.

„Ich bekam einen Schrecken, weil darauf steht: ‚Augustahospital‘.“

„Sie will ja Krankenpflegerin werden,“ erklärte die Schwester leicht.

"So? Ein schwerer Beruf! Gott segne die, die diese Mühsal auf sich nehmen und Energie genug fühlen, es durchzuführen,“ sprach die alte Frau. Es lag etwas wie Rührung in ihrer Stimme. Sie hatte eine Schwester gehabt, die Diakonissin gewesen und bei einer Thyhusepidemie ihrem schweren Beruf erlegen war.

Käthe goß den Kaffee ein. „Ach, ich könnte es nicht,“ sagte sie dabei aus vollstem Herzen.

Die alte Frau ging im Laufe des Nachmittags ab und zu, sie wunderte sich nicht über die Stille zwischen den jungen Leuten. Als die Dämmerung hereinbrach, bot der Doktor dem Mädchen den Arm und sie wanderten schweigend durch die Gartenwege. Das Haus vor ihnen schaute friedlich unter den hohen Rüstern hervor, Käthe kannte jedes Fenster darin, sie kannte den Wetterhahn auf dem Dach und den Hofhund vor der Thür seiner Hütte, und sie kannte die gelbe Henne, die just ihre Kücken zur Nachtruhe lockte. Dort das Waschhaus, in dem sie künftig die große Herbstwäsche dirigiren würde, den Schlüsselbund im Gürtel und die große Schürze vor. Sie blieb stehen wie erschreckt und zog den Arm aus dem des Mannes neben ihr.

Als sei ihr ein rosenfarbenes Glas vor den Augen fortgenommen, so öde und grau erschien ihr die heißbegehrte Seligkeit.

„Woran denkst Du?“ fragte er.

„An nichts,“ erwiderte sie klanglos. –

Gleich nach dem Abendessen wollte sie fort. „Ich muß mich noch entschuldigen bei Gusti, daß ich sie bei der Spazierfahrt im Stich ließ.“

„Das hat nicht Zeit bis morgen?“ fragte die Mutter, die ein altes Kästchen herzugeholt hatte, „Du wolltest ja immer die Brosche sehen, die die Königin Luise meiner Mutter geschenkt hat.“

„Verzeihen Sie, ich versprach es Gusti, als ich absagen ließ.“

„Schön, schön; gute Nacht also!“

Im Hausflur, wo Käthe Ernst sonst immer die Arme um den Hals geschlungen, legte sie heute nur flüchtig die Hand in seine Rechte, und als er sie festhielt, um ihr noch etwas Freundliches zu sagen, in dem Gefühl, daß er es etwas gar zu sehr an der nöthigen Liebenswürdigkeit der Braut, und einer so jungen und leidenschaftlichen gegenüber fehlen ließ, fand er dennoch kein Wort, und nur die alte Schwarzwälderuhr tickte an der Wand neben dem eingelegten Kleiderschrank, denn auch Käthe blieb stumm. Sie stand da mit gesenkten Augen und einem Zug von Trotz und Stolz um den Mund. Er zog ihre Hand an die Lippen, als wolle er sie um Verzeihung bitten. Sie lachte kurz auf. Sie dachte an den Kuß dort draußen unter den Rüstern im Herbstessturm, als er gemeint, sie sei Lore.

Sie wehrte auch heute seiner Begleitung bis zur Gartenthür und lief in der Dämmerung wie ein Wiesel über den Fahrdamm und in die weit geöffnete Pforte des ehemaligen Beckerschen Gartens.

(Fortsetzung folgt.)




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