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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

für unseren deutschen Litteraturmarkt zusammentrug. Hier ist seine eigentliche Bedeutung zu suchen, und wie der alternde Goethe auf dem westöstlichen Divan ruhend, so hat er sich schon in jungen Jahren unserem Volke gezeigt und ist so einer seiner Lieblinge geworden. Doch ist damit seine dichterische Thätigkeit bei weitem nicht erschöpft, und namentlich auf dem Gebiete der Weltliteratur hat er, in den Fußstapfen Goethes, der Schlegel und Rückerts wandelnd, sich große Verdienste erworben als kunstsinniger Forscher und formgewandter Uebersetzer.

Nach seiner Rückkehr aus Asien führte der Dichter eine Zeit lang ein Wanderleben in Deutschland, Oesterreich, Italien; wir finden ihn auch einmal in Paris als Vertreter der preußischen Freihandelspartei. Er redigirte Zeitschriften verschiedenster Art: im Jahre 1848 den „Oesterreichischen Lloyd“ in Triest, 1850 die „Weserzeitung“ in Bremen. Eine Zeit lang hatte er ist München gelebt; dann hielt er sich auf den Gütern des mit Geibel so befreundeten Herrn von der Malsburg auf; später, 1853, lud ihn der kunstsinnige Herzog von Coburg-Gotha nach Gotha ein. Festen Anhalt und feste Stellung für längere Zeit fand er im Jahre 1854 in München, wo ihn König Max an die Universität zog und in den Kreis seiner künstlerisch-wissenschaftlichen Tafelrunde aufnahm. Seine Vorlesungen umfaßten die slavischen Litteraturen und später die ältere englische. Seine Shakespearestudien führten ihn dem Theater näher, und so folgte er einer Berufung als Intendant nach Meiningen 1866, wo der Herzog bereits auf Hebung der Bühne bedacht war. Im Jahre 1867 geadelt, trat Bodenstedt 1869 von seiner Stellung zurück, lebte in Meiningen als Pensionär des Herzogs, dann bei seinem Schwiegersohn auf Schloß Dornau bei Altona, später in Hannover, Berlin und zuletzt in Wiesbaden.

Ungemein rege und vielseitig war sein dichterisches Schaffen, nachdem ihm der große Wurf mit Mirza-Schaffy gelungen. Unabhängig von den erwähnten orientalischen Nachdichtungen trat seine Muse vielfach selbständig auf, zunächst mit einem Epos „Ada, die Lesghierin“ (1853), reich an malerischen Schilderungen von Land und Leuten, Volkssitten und Kämpfen aus der Zeit Schamyls, dann in verschiedenen Sammlungen eigener Gedichte. Was Bodenstedt außerdem als Uebersetzer und Erklärer Shakespeares, als Dramatiker, als Erzähler und Schilderer fremder Länder und Menschen geleistet, wir können es hier nicht alles einzeln aufführen. Und noch ist ja auch der Kreis dessen, was er zu schaffen berufen ist, offenbar nicht abgeschlossen; das beweist uns die noch vor kurzem (1887) erschienene Dichtung „Sakuntala“, in welcher er die anmuthige Lotosblumensage in eine neue poetische Gewandung kleidete.

Die Summe von Bodenstedts schriftstellerischem Wirken bildet einen bedeutsamen Faktor für das Geistesleben unserer Nation; die mannigfachsten Anregungen sind aus ihm hervorgegangen. Bodenstedts weltweiter Blick hat neue geistige Horizonte erschlossen, seine meisterhafte Formgebung die poetischen Schätze anderer Völker für das unserige gemünzt. Hafis und Kalidasa, Puschkin und Lermontow, Shakespeare und seine Zeitgenossen, sie alle blicken uns aus den Arabesken entgegen, welche das Bild unseres Dichters umrahmen. Dies Bild aber zeigt den heiter lächelnden Mirza-Schaffy, den anmuthigen Hohenpriester der Lebensweisheit, der ihre Lehren wie Blumen aus reichem Füllhorn streut, und dem die Nation an seinem Ehrentage dankt für die unvergänglichen Lieder seiner Jugend wie für das unermüdliche Schaffen seiner reiferen Jahre. Rudolf v. Gottschall. 




Lore von Tollen.

Roman von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Was war aus Westenberg geworden! Die alten Gassen hatten ein ganz anderes Aussehen; das machte nicht allein der neue Anstrich, den die Häuser trugen, das machten die vielen fröhlichen Mädchengesichter, die aus den Fenstern lugten, das machte die Straßenjugend, die mit wahrhafter Begeisterung in ihren Holzpantoffeln über das Pflaster klapperte, daß es das Geräusch der Pferdehufe noch überschallte – das machte die frische, fröhliche Musik, die schon von weither durch die Gassen erklang und Männer und Weiber vor die Thüren lockte.

Hurra! Die Ulanen kommen von der Heide zurück!

Die goldene Morgensonne funkelt in den Lanzenspitzen, die schwarzweißen Fähnchen wehen im warmen Sommerwinde; voran der Stabstrompeter mit seinem Musikcorps, alle auf Isabellen; dann der Kommandeur mit dem Adjutanten, und hinter diesen die lange Linie der Reiter, verstaubt vom heißen Uebungsritt. Aber, wie die Thiere so herrlich im Takt des Walzers schreiten, wie die jungen Kerle so keck im Sattel sitzen, wie die Augen über die Fenster blitzen, und wie sie roth werden, die Mädchenn wenn einer allzu dreist heraufsieht! Jetzt bog der Zug am alten Gymnasium um die Ecke, und auch im Hause der Frau Majorin von Tollen öffnete sich ungestüm ein Fenster, und ein bräunliches Gesichtchen schaute mit zwei strahlenden braunen Augen auf die glitzernde Schlange, die da unten vorbeizog. Käthes Füße traten den Walzertakt, ihre Löckchen wehten im Winde um die schmale Stirn, und die Flügel, des kurzen Näschens bebten vor Lust.

Die Offiziere, sahen alle herauf und grüßten, den Säbel senkend, und sie dankte lächelnd und verschämt, daß ihre weißen Zähne hinter den rothen Lippen blitzten. Ja, das ganze Regiment blickte herauf und freute sich über das reizende Bild. An der Straßenecke da unten ritt das Musikcorps zur Seite, die Schwadronen schwenkten ab zu ihren verschiedenen Ställen, und zwei Offiziere kamen im Trab zurückgesprengt und hielten vor Käthes Fenster.

„Fräulein von Tollen,“ rief der Aeltere, der Kommandeur, „wir fahren heute nachmittag nach Buchenhagen; Sie kommen doch mit? Gusti würde sehr betrübt sein, hielten Sie Ihre Absage von gestern aufrecht.“

„Ach, ich möchte so gern,“ rief das junge Mädchen, „aber es geht nicht, wirklich nicht, Mama erlaubt es nicht.“

„Ich werde einmal mit Tantchen Tollen sprechen,“ erklärte der junge Offizier, der abgesprungen war und dem aus dem Tollenschen Hause herbeieilenden Soldaten das Pferd übergeben hatte; „lassen Sie mich nur machen, Fräulein Katharina!“ Er lachte dabei aus seinen gutmüthigen blauen Augen das Mädchen an.

„Ach ja,“ rief Käthe, „thun Sie es, Herr von Wegstedt, Mama ist im Garten.“

„Sofort!“ klang es zurück. Der Lieutenant verabschiedete sich von seinem Vorgesetzten und rasselte in das Haus hinein.

Der ältere Offizier grüßte, rief ein „auf Wiedersehen“ und wandte das Pferd.

Käthe klirrte das Fenster zu, ohne zu bemerken, daß Doktor Schönberg die Straße daher schritt und schon lange heraufgeblickt hatte, während er ihrer Wohnung zustrebte.

Käthe, die eilig in den Garten wollte, traf mit ihm im Hausflur zusammen, dicht an der neuen Treppenthür, die Frau von Tollen hatte machen lassen, um der obern und untern Wohnung ein mehr getrenntes Ansehen zu geben.

„Guten Morgen,“ sagte sie, seinen Gruß erwidernd, „geh immer hinauf, Ernst, ich will nur Mama etwas fragen.“

„Kann ich nicht mitkommen?“

„Nein, Herr von Wegstedt ist bei ihr.“

„Darin sehe ich kein Hinderniß,“ erklärte er. Aber sie duldete es nicht; sie nahm seinen Arm und führte ihn, ihr Vorhaben aufgebend, nach oben. Dort saß die älteste Schwester Helene und nähte an ihrer kleinen Ausstattung. Die Nähmaschine rasselte betäubend und dazu schrie der Kanarienvogel.

„Ruhe!“ rief Käthe laut mit ihrer klingenden Stimme und bewirkte damit, eine augenblickliche Pause.

Der Doktor nahm die Hand seiner Braut und zog sie an sich. „Kommst Du heute nachmittag zur Mutter?“ fragte er.

„Heute?“ Sie ward roth. „Ich kann es im Augenblick wirklich nicht bestimmen, Ernst. Weißt Du, wenn ich bis zwei Uhr nicht da bin, dann wartet nicht mehr – ja, so wollen wir es verabreden.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_270.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)