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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

No. 16.   1889.
      Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.


Nicht im Geleise.

Roman von Ida Boy-Ed.
(Fortsetzung.)


Alfred las den Brief Josephes noch einmal.

„Papa, warum liest Du immer denselben Brief?“ fragte der kleine Alexander.

„Weil sehr viel unangenehme Sachen darin stehen,“ sagte er.

„Dann wirf ihn doch fort! Mama sagte gestern mittag zu Tantchen. ‚Er ist ein Mensch, der immer Sonnenschein haben muß.‘ Damit meinte sie Dich. Und heute scheint die Sonne so heiß. Fahre doch nachher mit uns in die Sonne,“ plauderte das Kind.

Alfred nahm es auf den Schoß.

„Ja, es soll immer Sonnenschein sein bei uns. Wir beide, Du und ich, wollen Deine Mama so lieb haben.“

„So lieb,“ wiederholte der Knabe und drückte fest, fest seine Arme um Alfreds Hals, um den Grad der Liebe zu bezeichnen.

„Und den ganzen Tag wollen wir bei ihr sein, und sie und ich werden Dich zusammen alles lehren, was kleine Menschen lernen müssen, damit sie groß und verständig werden,“ fuhr Alfred fort.

„Hast Du denn dazu immer Zeit?“ fragte Sascha und sah ihn groß an.

„Glücklicherweise ja! Aber warum meinst Du?“ fragte Alfred dagegen und forschte mit argwöhnischen Blicken in den offenen Kinderzügen. Sein Herz schlug. Jetzt würde von diesen unschuldigen Lippen irgend ein bedeutungsvolles Wort kommen, ein Wort, das Gerda vielleicht nicht ohne Absicht vor den immer wachsam lauschenden kleinen Ohren gesagt …

Aber das Kind sprach nur nachdenklich. „Ich meine nur so. Die Papas von Willy und Wolff und Karl haben immer keine Zeit, mit kleinen Jungen zu spielen.“

Die Väter seiner Spielgenossen – Alfred kannte sie alle wohl, der eine war Bankier, der andere ein hervorragender Parlamentarier, der dritte ein Staatsbeamter.

„Die haben auch alle einen Beruf,“ erläuterte Alfred.

„Den müssen alle Männer haben, sagt Mama,“ rief das altkluge Kind.

Da war es nun doch, das böse Wort, das Wort, welches gleich auf eine ganze Reihe vergangener und zukünftiger Kämpfe hinwies.

„Wann sagte Mama das?“ rief Alfred heftig.

„Ich weiß nicht mehr. Bitte, mach doch dem Husaren das Bein gerade,“ und dabei hielt die kleine Faust einen verbogenen Zinnsoldaten fast unter Alfreds Nase.

„War es, als sie mit Tantchen gerade von mir sprach?“ forschte Alfred weiter. Aber er bog doch gehorsam das krumme Bein wieder zurecht.

Der Knabe war mit seinen Gedanken schon ganz von dem Gespräch entfernt. Auch hatte er schon jeden Soldaten vom Pferd genommen und wieder draufgesetzt. Nun mußte etwas anderes kommen.

„Hast Du schwarze Farbe, Papa?“

„Nein! Was soll’s?“

„Ich wollte aus den Schimmeln Rappen machen.“

„Das geht nun nicht.“

„Was soll ich denn nun anfangen?“

Alfred wußte für das geliebte Kind immer Rath.

„Komm,“ sagte er, „Du kannst zeichnen.“

Er setzte den Kleinen an den Schreibtisch, stellte einen Karton Briefpapier und einige Bleistifte vor ihn hin und bat ihn, ein


Die Schwalben sind wieder da.      Nach einem Gemälde von W. Roegge.
Photographie im Verlage von Fr. Hanfstängl in München.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_261.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2020)