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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

„Na denn man to,“ sagte lakonisch die Pastorin. „Ja, dann wird’s vorbei sein mit der Stille hier draußen,“ sprach die hübsche rundliche Frau weiter, der die Freude über die Mehrbedeutung ihrer getreuen Stadt aus den Augen leuchtete, „und welche Vortheile bringt es doch! Ein ganz anderes Leben, einen ganz anderen Handel!“

„Das ist sehr richtig,“ gab der Doktor zu.

„Es mag ja wohl sein,“ pflichtete die Mutter bei, die unruhig den Sohn betrachtete. Was scheerten sie Handel und Wandel, Soldaten und Kasernen? Sie sah, daß ihren Jungen etwas drückte, und konnte ihn nicht fragen –.

Endlich ging die Frau Bürgermeisterin, und als die Pastorin von der Gartenthüre zurückkehrte, bis wohin sie respektvoll den Gast begleitet – Ernst hatte sich schon vorher verabschiedet und war nach oben gegangen – da keuchte auch sie die Treppe hinauf und drang in sein Zimmer ein.

Er hatte die Lampe nicht angezündet, aber es war dennoch hell; das Mondlicht quoll blendend durch die Fenster und legte sich in breiten silbernen Streifen auf die weißen Dielen. Er saß im Sofa und rührte sich nicht.

Sie kam herüber und nahm neben ihm Platz.

„Ernst, mit Dir ist’s nicht richtig, es hat was mit der Käthe gegeben?“

„Ja!“

„Hat sie Dir was Schlimmes von der Lore erzählt? Hat es Dir wehgethan? Glaub doch nicht alles, was die Leute sagen; denk doch endlich nicht mehr an die alte Geschichte!“

„Nein, Mutter, es ist anders – ich habe mich mit Käthe verlobt!“

Es war heraus. Er sprang auf und begann im Zimmer auf und ab zu gehen.

Die alte Frau war sprachlos.

„Mutter, so rede doch,“ bat er endlich gepreßt, „Du hast die Kleine doch gern, denk ich?“

„Gern? Ich hab auch die Nachtigall gern, die im Garten singt, aber – –“

Er antwortete nicht.

„Aber fangen wollen hab’ ich sie niemals,“ setzte sie hinzu. Und sie stand ebenfalls auf. „Ist alles complet zwischen Euch beiden?“ fragte sie.

„Ja, Mutter!“

„Dann kann ich das Reden sparen. Gott behüt Dich, Ernst, und schenke Dir Glück!“

Sie griff nach seiner Hand und drückte sie, dann blieb auch er allein. Aber ihn floh der Schlaf. Er sah Käthes wunderbare heiße Augen vor sich und die Leidenschaft, die ihm daraus entgegengesprüht war. Es dünkte ihm schwül und heiß in dem Raum, und er riß das Fenster auf. Drüben schimmerte hinter den kahlen Bäumen das verlassene weiße Haus, in dem Lore zuletzt gewohnt! Merkwürdig, daß das Herz immer noch wehthat bei einer plötzlichen Erinnerung an sie, die ihm so schnöde die Treue gebrochen. Was würde Lore sagen zu seinem Bund mit Käthe? Nichts vermuthlich! Sie ging in Italien am Arm des Onkels und half die Zahl jener Damen vermehren, die, nachdem sie Schiffbruch in der Ehe gelitten haben, einen so ungeheuer interessanten Nimbus um sich verbreiten. Ach, so jung, so schön, und schon so unglücklich! Er war vielleicht der einzige in ganz Westenberg, der sich nicht wunderte, daß die Eheleute sich trennen wollten. Lore war trotz allem eine zu aristokratische Natur, um es neben dieser Rohheit auszuhalten – das hatte so kommen müssen! Aber daß sie überhaupt den Versuch hierzu gewagt, das erfüllte ihn immer wieder mit Staunen, ja mit Grauen vor den Abgründen eines Frauenherzens. – – Aber was, um alles in der Welt, wollte er noch von Lore? Er, der Bräutigam der Schwester!

Ein Gefühl von Rührung überkam ihn beim Gedanken an Käthe. „Sie ist ein Kind, ein vertrauensvolles Kind, die Kleine,“ sagte er, „sie soll glücklich werden!“




Auf dem Monte Pincio! Und die Abendsonne überstrahlt Rom! Sie nimmt anders Abschied von dieser Stadt als von irgend einer anderen! Nirgends scheint sie sich so schwer zu trennen, hat sie eine solche intensive Goldfarbe. Selbst die Luft erscheint mit Millionen Goldstäubchen erfüllt, und hinter Sankt Peters Riesenkuppel flammt eine Strahlenkrone auf, leuchtend, majestätisch, unsagbar großartig – und umschließt das ewige Rom dort unten wie mit einem Glorienschein. Hundertfältiger Glockenklang zittert durch die Luft; ein weicher Wind kommt herüber von den Bergen und spielt in dem üppigen Laub der Bäume. Und in diesen immergrünen Gängen Tausende von Menschen. Die Menge schiebt und drängt sich, hier blitzende Augen in stolzen römischen Gesichtern, dort das leuchtende Blond einer schönen Engländerin, der rosige Teint einer deutschen Frau. Bunte schimmernde Gewänder, elegante Equipagen; dazwischen die scharlachrothe Livree der Königin. Dort lange bunte Züge junger Priester in grünen, blauen, rothen Gewändern. – Jetzt hebt die Musik an und mischt sich in das Glockengeläute, in das Rauschen der silbernen Wasserstrahlen, in das Schwatzen und Lachen der Menschen, die in allen Zungen der civilisirten Welt reden; und dort drüben, grell sich abhebend vom gelblichen Abendhimmel der ernste Pinienhain der Villa Borghese.

In einem der einsamen Mittelwege geht ein alter Herr in hellem Frühlingsanzug, die Trauerbinde um den Arm; an seiner Seite eine schlanke jugendliche Frauengestalt in einfachem Promenadekostüm, aber in tiefer Trauer. Auf ihren Wangen liegt das feine Roth der Gesundheit, und wenn sie auch just nicht übermüthig fröhlich ist die Art, mit der sie vorwärts schaut in die funkelnde Pracht dieses Frühlingsabends – es liegt doch in diesen Blicken der tiefen Augen eine innige stille Freude über die Schönheit rings um sie her.

„Onkel, wie schwer wird uns der Abschied werden!“ sagte sie eben. –

„Ja, Lorchen, das soll wohl sein, aber wir kommen wieder.“

Sie lachte plötzlich hell und fröhlich. „O, Onkel, ich? Wie sagtest Du doch früher immer – pauvrette!“

„Hm, Lore, Du wolltest ja nicht, daß ich von Deinem nun bald ci-devant Gemahl etwas für Dich herausschlagen sollte!“

Sie sah ihn lächelnd an. „Ja, Du wärst der Richtige gewesen, Onkel, es herauszuschlagen, und ich die Rechte, es anzunehmen.“

„Hast recht, mein Deern!“

„Wie immer, Onkel,“ neckte sie, „und nun bitte, sprich nichts mehr davon; sieh doch, wie wundervoll! Ich sage Dir, Onkel, das Herz wird täglich gesunder, wenn man so etwas schauen darf.“ Und sie wies auf das Bild, das sich vor ihnen ausbreitete – Rom, im Goldflimmer des Abends.

Sie nahm seinen Arm und ging schweigend weiter. Hin und wieder flog ein stolzer Blick von ihm zu ihr, wenn bewundernde Augen die schöne Begleiterin streiften. Gemächlich wanderten sie an der französischen Akademie vorüber und hinunter zu der Piazza del Popolo und schlenderten den Corso entlang. Lore träumte mit offenen Augen; der gute alte Onkel wich dabei in ihren Gedanken einem andern, der ihr der Liebste war auf der Welt.

Das wäre ein Glück ohnegleichen, auf dem Meer dieser Schönheit zu segeln mit ihm, sich belehren zu lassen von ihm, miteinander zu schwärmen, zu genießen – allein mit ihm in dieser wundervollen Fremde, wo kein Mensch sie kannte!

Sie erschrak förmlich, als der General jetzt fragte. „Ob wir Briefe vorfinden?“ Und er kniff ein kleines freches gluthäugiges Ding in die Ohrläppchen, das, ihn verfolgend und unermüdlich seine Veilchensträuße anbietend, jetzt eins davon in seine Rocktasche experimentirt hatte und nun mit zeternder Stimme das Geld dafür verlangte.

„Gottloses Gesindel!“ schalt er, warf ein großes Kupferstück in das Körbchen des Kindes und bot dann Lore den Strauß.

„Ob wir wohl Briefe haben?“ wiederholte er.

„Ich hoffe es, Onkel, hoffe es sehr, von Mama fehlt mir seit acht Tagen jede Nachricht, und ich habe immer Angst, sie könnte krank geworden sein.“

„Wäre kein Wunder! Aber Du darfst nicht daran denken, Kind. Uebrigens der Dachs, die Käthe, muß ihr Examen machen in diesen Tagen; wenn sie durchkommt, schenke ich ihr etwas. He, Lore, willst Du auch fahren, es ist noch weit bis daheim und Deine Füßchen sind sicher so müde wie meine großen Spreekähne.“

Er winkte einer Droschke und sie fuhren durch die belebten Straßen heim.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_252.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)