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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

daß sie das Opfer eines ungeheuren Bubenstreiches geworden war; daß sie vor der Welt nur eine Düpirte blieb, die keinerlei Anspruch auf die Rechte der Gattin, selbst die der geschiedenen besaß, wenn es nach Recht und Gesetz zugehen sollte.

„Ja, er wird sie aufgeben, Lore, wenn Du es willst,“ sagte er. „Wenn mich nicht alles täuscht, Lore, liebst Du ihn nicht; Du kannst ja so einen Kerl gar nicht lieben, he, alte Maus? Oder sollte ich etwa ein schlechter Herzenskenner geworden sein?“

„Ich, Onkel? Ich hätte die Gemeinschaft mit ihm nicht ertragen, lieber wäre ich –“ Sie verstummte und senkte die Augen.

Ob er sie ganz verstand? Er sah plötzlich mit förmlichem Erschrecken auf ihr Gesicht, das bei diesen Worten einen Ausdruck von Entschlossenheit angenommen hatte. „Nun, dann wird Dir die Trennung nicht schwer werden, Lore,“ sprach er langsam weiter, „und über das bißchen Geträtsche in dem kleinen Neste hier kommst Du auch weg. Später verschaffen wir Dir auch Deinen Mädchennamen wieder.“

„Geht das, Onkel?“

„O ja, durch besondere Gnade wird das genehmigt. Vorerst aber gehen wir nach Rom, gelt? Und zu allererst schlafen wir – dixi. Gute Nacht!“

Sie lag mit großen sanften Augen in den Kissen. „Onkel, wie schön, daß Du hier bist; es ist wie ein Wunder, daß Du heute kommen mußtest. Gute Nacht, Onkel! Gute Nacht! – Wo ist denn Mama?“

„Mama ist hinuntergegangen, ich will sie Dir schicken. Ich bin recht müde, will gleich ins Hotel.“

Drunten im Eßzimmerchen stand der alte Herr noch ein paar Minuten, die Hände in die Seiten gestemmt, vor seiner Schwägerin.

„Es stimmt,“ sagte er nicht allzu freundlich, „der Schuft ist getraut mit der kleinen Amerikanerin. Die alte aufgeputzte Jahrmarktstante dauerte mich schließlich, als sie den Beweis fand von dem Bubenstück. Sie war wie Kartoffelbrei so weich auf einmal und sah jammervoll aus. Aber nun stillschweigen, Marie, um Gottes willen, stillschweigen! Lore muß in dem Glauben gehalten werden, daß sie rechtmäßig verheirathet war und rechtmäßig geschieden wird. – Verstanden?“

Frau von Tollen faßte ihren Kopf mit beiden Händen. „Wilhelm!“ schrie sie auf; „ach Gott, Wilhelm!“

„Ja, ja, hättest Du lieber den Bengel nach Amerika laufen lassen, anstatt das arme Mädel zu beschwatzen zu so einer Heirath,“ wollte er sagen, aber er unterdrückte es, die Frau war zu verzweifelt in ihrem Schmerz.

„Na, Kopf hoch!“ redete er ihr gutmüthig zu, „wollen Gott danken, daß es so abläuft! Wenn nun das Mädel eines Tages aus Verzweiflung über die Gemeinschaft mit dem Kerl ins Wasser gegangen wäre, he?“ Er dachte an Lores Aussehen vorhin.

Die Majorin blickte ihn entsetzt an.

Er nickte ernst; dann sagte er rasch. „Geh jetzt hinauf zu Lore; und nun gute Nacht, Marie! Die Sache hat mich doch verteufelt müde gemacht.“

Im Hotel angekommen, beschied er noch in der zehnten Stunde Missis Becker in das Gastzimmer herunter.

„Madame,“ sagte er, „Sie reisen auf meinen Rath unverzüglich zurück; geht der Dampfer in den nächsten Tagen nicht, so halten Sie sich in Hamburg auf; hier können Sie nicht bleiben. Die Sache wird sich übrigens ordnen; Sie werden Ihren Herrn Gemahl zurückerhalten, meine Nichte macht keinerlei Ansprüche auf ihn.“

„Ah, ich wollen nicht wieder mit ihm leben,“ sagte sie traurig, „nur anerkennen soll er mich und das Kind erziehen lassen als seinen Sohn. Ich will nichts mehr von ihm, ich bin zuwider ihm – lange – lange! Ach, die arme schöne Miß, die er so betrog!“

„Ich bitte Sie ferner, Madame, zu keinem Menschen ein Wort über die Sache zu reden, hier nicht und dort nicht, sonst erleben Sie, daß der Vater Ihres Sohnes ins Gefängniß wandert.“

„O sicher nicht, Herr General!“

Der alte Herr empfahl sich rasch. Armes Weib! dachte er, wie wird dich der Schuft empfangen! – Und im Geiste lud er eine Pistole und zielte auf den dickköpfigen breitspurigen Burschen, dessen Bild er heute in dem Zimmer der Frau Elfriede gesehen. „Wie einen tollen Hund,“ sagte er halblaut, daß der kleine Kellner, der ihm die Lichter in seinem Zimmer angezündet, sich erschreckt umwandte – „wie einen tollen Hund,“ wiederholte er, „es müßte eine Wohlthat sein!“




Der März war in das Land gekommen. Verführerisch blauer Himmel, greller Sonnenschein und eine unendlich weiche warme Luft weckten den Glauben an baldigen Lenz, an Blühen und Grünen.

Der Linde im Tollenschen Garten schwollen die braunen Knospen, und in die Staarkästchen waren die gefiederten Herrschaften wieder eingezogen und erzählten und schwatzten von ihren Reiseerlebnissen im fernen Süden. Möglich, daß sie die Mär mitgebracht hatten, die jetzt in ganz Westenberg umherschwirrte, die Mär, daß Lore von Tollen von ihrem Mann geschieden werde, daß er, ihrer ewigen Vornehmthuerei müde, diese Trennung wünschte. Ach Gott, was wußten die guten Westenberger nicht alles! Man konnte es dem Mann ja nicht verdenken; gleich nach der Hochzeit hatte sie sich geweigert, ihn nach Amerika zu begleiten – sie wollte nicht in das Krämerland, sollte sie erklärt haben. – Liebe Zeit, wenn er doch sein Geschäft einmal drüben hatte! Es mochte freilich sehr viel vornehmer sein, in Rom den Winter zu verbringen mit einem Onkel, der „Excellenz“ ist! Der armen Frau Becker war schließlich nichts weiter übrig geblieben, als zu ihrem Sohne zu gehen, damit er doch wenigstens eine Häuslichkeit habe. – Na, die Tollens überhaupt!!

Heute war nun wirklich an der Beckerschen Villa, dicht am verschlossenen Gitterthor, eine Tafel angebracht, darauf stand: „Diese Besitzung ist sofort zu verkaufen.“

Das war die Folge davon; dem Besitzer dieses schönen Grundstückes mochte wohl die Lust gänzlich vergangen sein, wieder hier zu wohnen.

Frau von Tollen wußte es, was die Leute sich zuraunten, was laut in allen Kaffeekränzchen erörtert wurde. Sie litt furchtbar darunter um ihres Kindes willen, aber einmal mußte es ja verstummen, das alberne Geklatsch und Geträtsch. Und Lore war Gott sei Dank weit von hier und brauchte es nicht zu hören.

Und heute nun mit dem goldenen Sonnenschein fiel auch ein Strahl von Hoffnung auf bessere Zeiten in das kleine Häuschen und in ihr Herz.

Der Briefbote hatte ein Schreiben abgegeben von Rudolf, und die besorgte Miene der Majorin, als sie es öffnete, wich einem freudigen Erschrecken, als sie den Inhalt las:

„Liebe Mutter!

Gestern habe ich mich verlobt mit Lieschen Maikat; die Thränen meiner Braut besiegten endlich den energischen Widerstand ihres Vaters.

Ich komme durch diese Heirath nicht nur in eine sorglose, sondern in eine glänzende Lage; außerdem ist meine künftige Frau liebenswürdig und gut von Herzen. Du siehst, Dein leichtsinniges Sorgenkind hat mehr Glück, als es verdient.

Ich werde nun auch sehr bald imstande sein, meinen Verpflichtungen gegen Becker, sowie gegen Viktor nachzukommen; Heinemann und Levy geben mir auf meine Verlobung hin Kredit. – Es ist doch ein famoses Gefühl, wenn man eines Morgens aufwacht mit dem angenehmen Bewußtsein, kein Bettler mehr zu sein und weder den Herrn Bruder noch Se. Excellenz in Rom um eine milde Gabe ansprechen zu müssen.

Sobald ich verheirathet bin – und ich hoffe, mein Schwiegervater willigt in die Hochzeit nach dem Manöver – werde ich auch suchen, Deine Lage etwas zu bessern, liebe Mutter.

Entschuldige, daß ich schließe. Man hat so seine volle Beschäftigung, wenn man neben dem Dienst der aufmerksame Bräutigam sein will.

Grüße Käthe und sei gegrüßt von
 Deinem treuen Sohn Rudolf.“

Die Brust der alten Dame hob sich wie befreit von einem furchtbaren Druck. Die Prosa in dem Schreiben berührte sie nicht; sie betrachtete schon längst den Reichthum als die Basis jeglichen Glückes. Sie ging zur Thür und rief nach Käthe. Das junge Mädchen, das bald darauf in das Zimmer trat, welches die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_232.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)