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verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Neue Romane.

Aus der Geschichte des Alterthums, des Mittelalters und der neueren Zeit, ja aus der Gegenwart wählen unsere Romandichter ihre Stoffe, und alle finden ihr Publikum; ja die Mode schenkt oft den entlegensten Stoffen den wärmsten Antheil.

Wie Georg Ebers die Aegypter, Hamerling die Griechen, Felix Dahn die alten Deutschen, so bevorzugt Ernst Eckstein die Römer. Das beweisen seine Romane „Die Claudier“, „Prusias“ und sein neuestes Werk „Nero“ (Leipzig, Karl Reißner). Schon der Stoff der „Claudier“ war der römischen Kaisergeschichte entnommen; in „Nero“ macht der Dichter den berüchtigten Cäsar selbst zum Helden seines Romans, im Widerspruche mit dem oft aufgestellten Grundsatze, daß wohl die Dramatiker, aber nicht die Romandichter die großen geschichtlichen Charaktere in den Mittelpunkt ihrer Dichtungen stellen sollen. Doch Eckstein will uns eben ein Seelengemälde des Cäsars vorführen; er will, was eigentlich Aufgabe geschichtlicher Forschung wäre, nachweisen, wodurch sich der ursprünglich so milde, unverdorbene, groß und edel angelegte Nero in das unmenschliche Ungeheuer verwandelt hat, von dem uns die alten Schriftsteller so unbegreifliche Dinge erzählen. In der That hat er im Verlaufe der Darstellung manchen treffenden Gesichtspunkt hervorgehoben, uns manchen Blick in das Herz des Cäsars und auf die Entwicklung seines sich steigernden Cäsarenwahnsinns gestattet. Doch wird kaum für alle Leser die Darstellung überzeugend sein, um so weniger, als Eckstein der Geschichte gegenüber sich doch manche unverbürgte oder im Widerspruch mit den überlieferten Thatsachen stehende Milderungen erlaubt hat. Bei Eckstein erfährt Nero erst später, daß seine Mutter Agrippina seinen Stiefbruder Britannicus hat vergiften lassen: die Geschichtschreiber erzählen uns, daß dies auf Neros Befehl geschehen sei. Seine Gattin Poppaea Sabina ist nach allen Ueberlieferungen durch eine Mißhandlung, die sie von seiten Neros erfahren, getödtet worden: in Ecksteins Roman stirbt sie infolge eines unglücklichen Zufalls. Der Dichter hat die Thatsachen, die ihm unbequem waren, einfach aus dem Wege geschafft. Deshalb deckt sich aber auch sein Nero nicht ganz mit dem historischen. Gewiß haben ihn die Intriguen der Agrippina, die ihm seine geliebte Sklavin Acte rauben ließ, die Zuflüsterungen des schändlichen Tigellinus, die Mordgelüste einer Poppaea Sabina, die ihn durch ihre Reize und verbrecherischen Rathschläge beherrschte, immer tiefer in den Abgrund gelockt; doch die Lösung des Räthsels, die uns das moralische Ungeheuer erklärt, ist wohl wo anders zu suchen als in diesen äußeren Einwirkungen. Ein phantastisch überreizter Charakter, mit einer unerhörten Machtfülle ausgestattet, wird zuletzt dahin kommen, Traum und Leben, Schein und Wahrheit zu verwechseln und zu vermischen, seinen wüstesten Traumgesichten durch die nur leise angelegte Thür den Weg ins wirkliche Leben zu eröffnen. Der Komödiant Nero erklärt den Tyrannen Nero; doch gerade das schauspielerische Auftreten des Cäsars wird von Eckstein nur gelegentlich erwähnt, während der Cäsarenwahnsinn allerdings in einzelnen Selbstgesprächen des Kaisers einen bedeutsamen Ausdruck findet.

Die Vorzüge des Ecksteinschen Romans bestehen in dem glänzenden Kolorit der Schilderungen; er vereinigt hier Makart und Piloty. Was die Darstellung des goldenen Hauses, des Mordes der Agrippina, des Festes in der Arena betrifft, so hat Eckstein freilich in Hamerling einen nicht minder phantasievollen Vorgänger. Ueberall, wo der Held des Romans eine geschichtliche Größe ist, bleibt der freien Erfindung nur ein geringer Spielraum übrig. Eckstein hat diesen freien Spielraum zu manchem fesselnden Randbild benutzt; es ist ein poetischer Zug, daß die Christensklavin Acte, Neros Herzensliebe und auch ihrerseits dem Wütherich treu ergeben, sie, die er für verloren hielt, zu dem Verlassenen, Todgeweihten wieder zurückkehrt. Es ist des Grausamen und Gräßlichen viel in diesem Roman; doch bewegt sich alles auf der gegebenen Grundlage des Neronischen Zeitalters. Die Scene, wo die hingeopferten Christen, die brennenden Fackeln, zu sprechen anfangen, während sich die Gewalthaber mit ihren Frauen und Geliebten in wilden Orgien berauschen, ist eine der schauerlichsten; sie zeugt in ihrer tiefdunkeln Schattengebung und grellrothen Beleuchtung für die effektvolle Pinselführung eines Dichters, dessen schönes Talent sich auch bei diesem die Poeten und Künstler unserer Zeit in so seltener Weise anziehenden Stoffe wieder bewährt.

Von den Römern am Tiber führt uns zu den Hunnen an den Ufern der Theiß ein anderer Roman: „Attila“ von Felix Dahn (Leipzig, Breitkopf und Härtel), in welchem sich nicht minder Grausames und Gräßliches zuträgt, nur daß hier die Grausamkeit aus der wilden Rohheit der Naturvölker, nicht aus dem Raffinement der Ueberbildung hervorgeht; der Roman führt uns von den brennenden Fackeln Neron zu den auf spitzigen Pfählen sich windenden Opfern Attilas. Felix Dahn entwirft uns in seinen kleineren Romanen („Attila“ ist der achte derselben) ein Kulturgemälde aus den Zeiten der Völkerwanderung. Das Bild der „Gottesgeißel“ zeigt manchen großartigen Zug; wir lernen begreifen, wie dieser kleine unansehnliche Mann eine solche Macht über sein Volk gewinnen konnte, indem er alle Instinkte desselben in sich vereinigte und zu schreckhafter Bedeutung ausbildete. Das Leben und Treiben der Hunnen in der Hofburg Attilas, die Verschwörung der deutschen Fürsten, der Besuch der Gesandtschaften, vor allem die wilden Vorgänge und Kämpfe nach Attilas Tod sind sehr lebendig geschildert. Wie es bei diesen Hunnen zugeht, das erzählt uns gleich bei Beginn ein deutscher Fürst. Noch hört er die Gepfählten brüllen vor Schmerz, den greisen Vater, den Bruder, die ganz schuldlose Mutter, sieht seine vier schönen Schwestern zu Tode gequält von den Roßknechten. Ihm selbst hatte Attila das Antlitz auf den zuckenden Leib des Vaters gestoßen und dabei ausgerufen: „So endet Untreue wider Attila!“

Nach diesen Schrecknissen aus den Zeiten der Völkerwanderung kehren wir gern in eine trauliche deutsche Reichsstadt des fünfzehnten Jahrhunderts ein, wo Handel und Bürgersinn in Blüthe stehen, wenngleich es auch hier nicht an bedenklichen Händeln fehlt. In eine solche Reichsstadt, das mittelalterliche Nürnberg, führt uns Georg Ebers in seinem neuen Roman „Die Gred“ (Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt) und niemand wird diesen Roman lesen, ohne sich mit Behagen in das Leben des alten Nürnbergs zu versenken. Freilich, wer von einem Roman fieberhafte Spannung verlangt, eine verwickelte Handlung und merkwürdige Enthüllungen und Ueberraschungen, der wird bei diesem neuen Roman von Ebers nicht auf seine Rechnung kommen. Der Dichter entrollt uns in einer Reihe von Familien- und Genrebildern ein Gemälde des damaligen Nürnberger Lebens, nicht ohne daß die Schicksale der geschilderten Personen unsern Antheil erwecken. Auch geschichtliche Streiflichter sind dem Bilde aufgesetzt, und es fehlt nicht an einem Blicke in die Weltweite, besonders nach der Marmorstadt Venedig hinüber und dem Orient, und bis in die Heimath der Ebersschen Muse, nach Aegypten, führt uns, wenn auch nur zu flüchtigem Besuch, der Gang der Ereignisse. Es ergiebt sich das ungezwungen aus den Handelsbeziehungen Nürnbergs, welche weithin über die Meere reichten. Die Gred ist eine Nürnberger Patrizierstochter und ihre handschriftlichen Aufzeichnungen, welche der Verfasser in Venedig gefunden haben will, bilden den Inhalt der Erzählung. Wir wissen nicht, inwieweit die Grundlage eine geschichtlich gegebene ist; jedenfalls gehört die Einkleidung und Ausarbeitung ausschließlich dem modernen Dichter an. Doch wenn die Gred selbst spricht, durfte sie nicht ganz wie eine moderne Schriftstellerin erzählen; es durften die alterthümlichen Anklänge nicht fehlen, welche uns einigermaßen in jene Zeit zurückversetzen. Der Autor ist dabei sehr maßvoll zu Werke gegangen, hat nur hin und wieder durch einzelne Wörter und Wendungen diese alterthümliche Färbung angedeutet und sich gehütet, uns gleichsam die Blätter einer vergilbten Chronik in die Hand zu drücken. Die Dekorations- und Sittenmalerei führt uns das alte Nürnberg wie ein sauberes Schmuckkästlein vor, in welchem es auch an dichterischen Kleinodien nicht fehlt.

„Die Gred“ heirathet zuletzt ihren Jugendgeliebten, der, von den Eltern verstoßen, es im Orient durch Thatkraft und Tüchtigkeit zu hervorragender Stellung gebracht hat. Ein früherer Verlobter war durch einen Unfall ums Leben gekommen. Abenteuerlicher werden die Geschicke der zarten geschmeidigen Ann, der Freundin der Gred, die, nicht den Patriziergeschlechtern angehörig, doch den Bruder der Gred liebt, den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1889, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_214.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)