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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Die Annahme ist, daß es die Vorfahren der jetzt noch in Neu-Mexiko wohnenden Pueblo-Indianer waren, die namentlich in dem fruchtbaren Thal des das Land von Nord nach Süd durcheilenden Rio Grande noch eine ganze Reihe ihrer eigenthümlichen Kolonien haben, wie Taos, Laguna, Isleta, Acoma und Tesuque. Da lebt es, ein durchaus harmloses, friedliches und kindlich glückliches Völkchen, in den kleinen sonderbaren Adobegehäusen, die mit kleinen Thür- und Fensteröffnungen versehen sind.

Welche Bilder bieten sich hier dem Maler! Von der Sonne scharf beleuchtet, hebt sich der weiche graue Ton der Adobemauern bestimmt gegen den tiefblauen Himmel ab. An den Wänden der Häuser hängen Bündel blutrother Pfefferschoten, am Boden liegen goldgelbe Kürbisse von riesiger Größe. Dort an dem grellbeleuchteten Wall zäumt ein von Kopf bis zu Fuß blaß weinroth gekleideter Indianer seinen kohlschwarzen Gaul auf, während drüben eine Anzahl junger hübscher Mädchen, in farben- und ornamentenreiche Navajodecken gehüllt, in glücklichem Geplauder beisammen sitzt. Ein von breitstirnigem Ochsenpaar gezogener Erntewagen schwankt um die Ecke, und jauchzende Kinder tummeln sich in den fahlgelben Maisstauden.

Beiden Geschlechtern gemeinsam ist etwas zu eigen, was ich in gleicher Pracht bei keinem anderen Volke der Erde wiedergefunden habe, die herrlichsten Zähne und die schönsten Augen. Wie untadelhafte Perlenschnüre erglänzen die ersteren, tiefdunkel und schier unergründlich sind die letzteren. Und so sauber die Kleider, so sauber sind auch die Wohnungen. Alles hat seinen richtigen Platz. Auf den Brettern stehen in Reih und Glied die breitbauchigen, vielgestaltigen und originell bemalten Thongeschirre, in den Ecken liegen rothbäckige Aepfel aufgeschichtet, und an langen Stangen dörren kleine, dunkle, süße Trauben. Wie unbefangen, wie herzlich ist das Lachen der Mädchen und Weiber, wie bescheiden und würdevoll das Benehmen der Männer! Leider Gottes aber scheinen die Pueblos ihrem Ende entgegen zu gehen.

Wie die Indianer, so werden auch die Mexikaner langsam aber sicher verschwinden, denn die Gegensätze zwischen der kalten, rücksichtslos vordringenden Energie des Amerikaners und der schläfrig trägen Versumpftheit des romanischen Neu-Mexikaners sind eben zu groß, als daß sie sich je ausgleichen könnten. Diese Gegensätze sind klar und deutlich bemerkbar in all den entlang der Atchison-Topeka- und Santa-Fé-Eisenbahn gelegenen Ortschaften, wo Amerikaner und Mexikaner neben einander hausen. Nehmen wir z. B. den Ort Albuquerque. Neu-Albuquerque, welches der erst wenige Jahre bestehenden Eisenbahn seine Geburt verdankt, hat die alte Stadt längst überflügelt, es stellt sich dar als echte amerikanische Stadt voll geschäftigen Treibens, voller Rührigkeit und Bewegung und unterscheidet sich in keiner Weise von den übrigen aufblühenden Städten des Westens. Alt-Albuquerque, mit seiner jüngeren Rivalin durch eine Pferdebahn verbunden, hat dagegen vollständig seinen spanischen Charakter bewahrt. Da sind überall die einstöckigen aus Lehm gebauten Adobehäuser mit den flachen Dächern und dem hölzernen Vorbau, der auf Säulen ruht. In der Mitte des Ortes ist die Plaza mit der alten, zweithürmigen Kathedrale.

An den Straßenecken hocken runzelige, uralte, häßlichbraune Weiber vor kleinen Obstständen mit wenig einladenden Früchten. Durch den sonnendurchglühten Staub kommt auf häßlichem Pony ein Mexikaner dahergesprengt, den abgegriffenen silberbestickten Hut auf das krause, kohlschwarze Haar gedrückt. Im Gurt stecken zwei blanke Revolver und an den langen Stiefeln klirren die mächtigen Radsporen. Hart hält er den Gaul im Zügel und ruft einige schelmische Worte der Duenna zu, die, ihr Gesicht bis an die feurigen Augen mit dem unerläßlichen schwarzen Schleier verhüllend, an der kleinen Fensteröffnung lehnt. Eine Unzahl jener kleinen, das Dasein von Märtyrern führenden Burros oder mexikanischen Esel, die schwerbepackt und vielgeschlagen durch die Straßen ziehen, vollenden die lebendige Seite des Bildes.

Verlieren wir uns in die äußerst engen Seitengäßchen, so ist es stille um uns wie in einer ausgestorbenen Stadt. Wollen wir unsere Leser in die Kunst, Lehmgebäude nach dem Muster derer von Albuquerque zu errichten, einweihen, so geben wir ihnen am besten nachstehend das Adobebau-Rezept wie es ein den Südwesten bereisender Korrespondent seiner Zeitung schickte. Es lautet also: „Sucht der Land-Mexikaner die Nähe des Wassers, so hingegen der Stadt-Mexikaner die dürrsten Kämme und Hügel. Auf diesen letzteren findet er den besten Boden zu seiner Adobepflanzung. Derselbe besteht aus einem grobem, sandigen Lehm, in welchem sich, mit liberaler Hand eingestreut, Steine bis zur Größe einer fünfzigpfündigen Geschützkugel finden. Es ist wünschenswerth, ja nach der Meinung besonders anspruchsvoller Adobebauern unerläßlich, daß sich in der Nähe auch nicht die geringste Spur einer Vegetation zeige, kein Strauch, keine Blume, kein Grashalm, kein Moos. Auf diesem festen, dürren Grunde gedeiht das viereckige „Schmutzhaus“ am besten. Denn das und nichts anderes ist das Adobehaus. Es besteht ganz und gar aus getrocknetem Schmutz, mit Ausnahme der Thüre, der Fenster und der Pfosten, welche das Dach zusammenhalten und zugleich den zur Regenzeit höchst wichtigen Dachrinnen zur Stütze dienen. Aber nicht genug, daß es Schmutz ist, es ist auch nothwendig, daß es eine besonders häßliche Art Schmutz sei. Zu diesem Zweck wird behufs der Herstellung von Adobeziegeln und Adobekuchen die Erde in möglichster Nähe des beabsichtigten Hauses aufgegraben und das Ganze, wie es da ist, Erde, Kies und kleine Steine, mit Wasser vermischt. Die Folge ist, daß die Wände des neuen Baues allerlei Dinge aufweisen, die gar nicht hinein gehören, und die, wenn sie bei zunehmender Sonnentrocknung herausfallen, noch viel weniger hinein gehörige Löcher, Höhlungen, Risse und Schrammen zurücklassen. Vor dem Hause wird zum Schluß dann noch ein runder Ofen nach indianischem Muster aus etwas sorgfältiger sortirtem Schmutz zusammengebacken. Ist dies geschehen, so ist das Etablissement fertig. Es erübrigt nur noch, einige der häßlichen Hunde, die sich in diesem Lande so trefflich groß zu hungern verstehen, um das trotz seiner Neuheit schon am ersten Tage wie ein hundertjähriges vergessenes Stück Erdwerk aussehende Haus herum auszustreuen, in sein Inneres aber eine Anzahl Männer, Frauen und namentlich Kinder hineinzustecken, um ihm die letzte Weihe der Vollendung zu geben. Wo es etwas vornehmer zugeht, pflegt man das Adobehaus vierflügelig einzurichten und um einen offenen Hofraum herumzubauen. Da aber in den nördlichen Vorpostenorten der altspanischen Besiedelung die Mittel, sich so viel Haus auf einmal zu gestatten, ziemlich selten sind, so pflegen sich verschiedene Hausgründer zu einem regelrechten Verband zusammenzuthun und den von ihren Häusern eingeschlossenen Hofraum gemeinsam zu benutzen und mit so viel Menschen und Thieren zu bevölkern, wie sie nur aufzubringen vermögen.“

Eine gleiche, nur etwas vornehmere Adobestadt wie Alt-Albuquerque ist auch la Villa Real de Santa Fé, die älteste Stadt der Vereinigten Staaten und die „Capitale“ von Neu-Mexiko. Hier war bereits ein volkreicher Ort, als Columbus die Neue Welt entdeckte, und wo jetzt der langgestreckte „Palacio del Gobernador“ sich erhebt, war vor undenklichen Zeiten der Regierungssitz eines aztekischen Kaziken.

Kaum eine Stadt der Union hat eine so wildbewegte, blutige Vergangenheit wie Santa Fé, kaum eine ist der Schauplatz so schrecklicher Kriegsstürme, Verbrechen und entsetzlicher Geheimnisse gewesen wie die „Stadt des heiligen Glaubens“. Erst seitdem Neu-Mexiko durch den Vertrag von Guadalupe im Jahre 1848 an die Vereinigten Staaten fiel, ist Ruhe eingetreten und Neu-Mexiko der Kultur und Civilisation wiedergegeben worden.

In einer eintönigen, 7000 Fuß über dem Meeresspiegel gelegenen Steppe liegen reizlos, wie in der Sonne zum Trocknen ausgebreitete Lehmziegel, die elenden grauen Adobegebäude von Santa Fé, von einigen Kirchthürmen überragt. Der öffentliche Platz befindet sich in dem Mittelpunkte der Stadt, an ihm liegen das Gouvernementsgebäude und der erzbischöfliche Palast. Die meisten Häuser haben einen überdachten, nach vorne offenen Vorsprung, eine Veranda, wodurch die Straße bis auf 25 Fuß verengt wird. Von Baumanlagen oder Gärten findet sich keine Spur, nur die mit einem Denkmal zum Andenken an die in der Schlacht zu Valverde gefallenen Bundessoldaten geschmückte Plaza ist mit Blumenbeeten versehen und mit Bäumen bepflanzt.

Daß es in der „Stadt des heiligen Glaubens“ nicht an kirchlichen Bauten fehlt, ist selbstverständlich; geschichtlich am merkwürdigsten ist das allmählich verfallende Adobekirchlein San Miguel, dessen Erbauung bereits in das Jahr 1582 fallen soll.

Zwischen die uralten mexikanischen Lehmgehäuse schieben sich nun von Jahr zu Jahr immer mehr Backsteinwohnungen der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_194.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)