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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Ammergau“ trägt als ein Geschenk des Malers Defregger, der sie ihm aus den Bergen mitgebracht. Echt sind auch alle die andern Trachten, besonders der Staat der Bäuerinnen.

Das vortreffliche Zusammenspiel ist ebenfalls ein Verdienst der Leitung; es ist anzuerkennen, daß die schauspielerische Eigenthümlichkeit dabei ihr gutes Recht behält, daß nichts von einer peinlichen Dressur zu bemerken ist, die alles über denselben Kamm schert; nur alles Verkünstelte und Affektirte ist ausgeschlossen, derartige überwuchernde Ranken werden abgeschnitten. In den Volksscenen, die ein lebendiges Bild des oberbayerischen Volkslebens vorführen, klappt alles; nichts drängt sich vor, nichts schleppt nach; und dabei hat man nicht das Gefühl, daß vor unsern Augen das Räderwerk eines abgezogenen Mechanismus sich abspielt; es wird mit Lust und Liebe gespielt, und in jedem Mitwirkenden scheint eine Ader des fröhlichen Volkslebens in den Bergen zu pulsiren. Was aber Hofpauers darstellendes Talent betrifft, so ist seine feine Komik, die nur selten ins Groteske übergeht, meist von unwiderstehlicher Wirkung, sein Geißbub Loisl im „Herrgottschnitzer“ ist eine köstliche Genrefigur; sein Stiglschuster im „Austragstüberl“ ein höchst ergötzlicher Vagabund, sein Gemeindediener Schlaucherl im „Prozeßhansl“, den wir auf unserem Bilde sehen, amüsirt nicht minder durch den verwegenen Gebrauch der Fremdwörter, ganz wie sein Urbild, der Gerichtsdiener Holzapfel in Shakespeares „Viel Lärm um nichts“; er besitzt ebenso viel Durst wie Amtsbewußtsein. Daß Hofpauer auch ernste Aufgaben durchzuführen versteht, beweist er als „Geigenmacher von Mittenwald“ in der Dorftragödie dieses Namens.

Als Bühnenleiter hat Max Hofpauer vor allem für ein seiner Auffassung entsprechendes Repertoire und für die geeigneten darstellenden Kräfte gesorgt. Er wurde hierin vom Glück begünstigt; das Gärtnerplatztheater bot ihm von Hause aus einen festen Stamm tüchtiger Künstler und die junge bayerische Dichterschule, angeregt und gefördert durch so lebensvolle Darstellung ihrer Werke, ermüdete nicht in ihrer Schaffenslust und bereicherte stets von neuem das Repertoire der Wanderbühne. Das Theater am Gärtnerplatz hatte bereits früher eine große Zahl von Volksstücken namhafter Autoren wie Anzengruber, Mosenthal Auerbach, Gerstäcker, Arthur Müller u. a. zur Aufführung gebracht, aber die Aera der oberbayerischen Bauernstücke beginnt erst mit 1880. Der Senior dieser Dramatiker ist Herman von Schmid (geb. 30. März 1815, gest. 19. Oktober 1880), den Lesern der Gartenlaube“ ein alter Freund, jahrelang durch einen Vertrag mit Ernst Keil als ständiger Mitarbeiter unserem Blatte verbunden gewesen. Er verdankt der „Gartenlaube“, wie er selbst sagt, seinen Namen und seine Beliebtheit, seit 1865 war er Dramaturg des Münchener Aktientheaters; nachdem an Stelle dieser Bühne 1870 das königliche Volkstheater am Gärtnerplatz getreten, wurde er Direktor desselben. Nichts natürlicher, als daß er einzelnen seiner Erzählungen dramatische Gestalt zu geben suchte, um sie auf seiner Bühne einzubürgern. Von diesen Schauspielen gehört noch jetzt „Die Z’widerwurz’n“ dem Repertoire der Hofpauerschen Truppe an. Das Stück ist eine einfache Idylle mit einer oft selbstgenugsamen Genremalerei von Land und Leuten und behandelt eine schlichte Herzensgeschichte. Eine andere Erzählung von Herman von Schmid „Almenrausch und Edelweiß“ ist von Neuert für die Bühne bearbeitet worden; es ist in diesem Stücke mehr Lyrik und Romantik als in den Bauernstücken jüngsten Datums. Unser stimmungsvolles Bildchen zeigt uns die Sennerinnen in der dichterisch angeflogenen Sennhüttenscene. Den Hintergrund der Handlung bilden die Kämpfe der Wilddiebe mit den Forstbeamten. Auch des angesehenen Bauern und Schulzen Sohn Mentl ist diesem verbotenen Jagdvergnügen mit Leib und Seele ergeben; er geräth mehrfach in Konflikt mit dem gräflichen Jäger. Nun begiebt es sich, daß dieser mit den Wilderern handgemein und bei der einsamen Wanderung durch die Klamm von einem derselben angefallen und gestochen wird. Er nennt als Thäter den Mentl, der zugleich sein Nebenbuhler ist, und dieser wird für schuldig erklärt und zu einer Zuchthausstrafe verurtheilt. Seine Freiheit aber erhält er wieder durch seine Geliebte, die Sennerin Evi, die er zu seiner Frau machen wollte; doch der Vater, ein stolzer Bauer, gab nicht seine Einwilligung zur Ehe des Sohnes mit der „hergelaufenen Dirne“. Evi gelingt es indeß, den wahren Schuldigen in dem verwundeten und verfolgten Wilddieb zu entdecken, der, von ihr versteckt, zuletzt selbst sein Verbrechen eingesteht.

Das bekannteste Zugstück der Münchener ist indeß „Der Herrgottschnitzer von Ammergau“, von Ganghofer und Neuert verfaßt. Wie Herman von Schmid steht auch Ganghofer der „Gartenlaube“ nahe; unsere Leser haben sich an seinen größeren und kleineren Erzählungen, an seinen frischen Skizzen aus dem Alpen- und Jagdleben öfters erfreut; wir brachten vor kurzem (im Jahrgang 1887) eine Lebensbeschreibung und Charakteristik des Dichters. Ludwig Ganghofer, geboren am 7. Juli 1855, ist ein Liebling unseres Lesepublikums. Mit Recht sagt ein Wiener Kritiker von ihm, daß seine Erzählungen Waldgeruch haben und daß man in allen seinen Geschichten etwas von der Bergluft spürt. Hans Neuert ist auch Mitarbeiter fast aller der anderen Autoren. Er ist der oberbayerische Dramaturg; er versteht sich auf die dramatische Technik; er weiß alles zuzustutzen und knapp zusammen zu fassen für die bühnenmäßige Wirkung, dies oder jenes wirksame theatralische Moment einzufügen und, da er selbst ein begabter Charakterdarsteller ist, auch der schauspielerischen Kunst in einzelnen Scenen willkommene Aufgaben zu stellen. Er wurde im Jahre 1838 in München geboren und machte seine ersten theatralischen Versuche in Volksschauspielen in Schongau, dann am Münchener Vorstadttheater. Eine Zeitlang war er in Regensburg Regisseur des Stadttheaters; seit 1872 ist er Schauspieler am Münchener Volkstheater, seit 1877 Dramatiker.

Der große dramatische Treffer der Verbündeten Ganghofer und Neuert, „Der Herrgottschnitzer von Ammergau“, erinnert an die berühmte „Geyerwally“; den Inhalt desselben bildet die zum Tode betrübte und himmelhoch jauchzende Liebe eines jungen Paares, welche durch anscheinende gegenseitige Feindseligkeit hindurch zuletzt zur vollen Hingebung führt. Des Stückes Heldin, die Loni, hat eine Aehnlichkeit mit der Königin Elisabeth, die ihrem geliebten Essex vor versammeltem Kriegsvolk eine Ohrfeige giebt; nur daß die Loni ihren Pauli, den sie so königlich behandelt, nicht hinrichten läßt, sondern ihn um Verzeihung bittet und ihm schließlich ihre Liebe erklärt. Aehnlich wie in den neufranzösischen Schauspielen rafft sich die Handlung im dritten und vierten Akte aus der Reihenfolge von Genrebildern, aus der sie bisher bestand, zu zwei großen Scenen auf. Eine Wiedererkennungsscene spielt mit herein: Vater und Tochter finden sich; denn Loni ist das Kind des alten Pechlerlehnl, des Dorfbettlers. Auf dem figurenreichen Mittelbilde aus dem zweiten Akte sehen wir fast alle Mitwirkenden, links im Vordergrunde den Pechlerlehnl mit seiner Loni, dahinter den Maler, den Herrgottschnitzer, in der Mitte seine Mutter und den köstlichen Geißbuben, der zur Sennerin emporblickt.

Das zweite Repertoirestück von Ganghofer-Neuert, „Der Prozeßhansl“, hat zum Helden einen eigensinnigen Bauern, Lahndorfer, der an Prozeßwuth leidet und durch einen Lawinensturz gebessert wird. Damit hat es aber folgende Bewandtniß: Lahndorfer verstößt gegen das Gesetz, welches verbietet, an bestimmten, durch Lawinen gefährdeten Stellen abzuholzen. Da kommt die Lawine eines Tages hernieder und begräbt seinen vor kurzem wiedergefundenen Sohn. Dieser wird anfangs für todt gehalten, was den Alten in Verzweiflung versetzt; doch der Sohn kommt wieder zu sich. Der Vater macht dann aber eine kurze Krankheit durch, und als er wieder genesen ist, da hat er den Prozeßhansl ausgezogen und ist ein vernünftiger Mann geworden. Er heirathet die Botenlisl, die Mutter seines Toni; alle Liebeshändel im Stücke führen zum gewünschten Ziel. Das Motiv ist in den mittleren Akten des Stückes sehr wirkungsvoll ausgebeutet; im übrigen zersplittern sich der erste und der letzte Akt.

Weit schwächer als diese beiden Dramen ist das dritte der Genossen: „Der Geigenmacher von Mittenwald“; es ist eine ins Oberbayerische übersetzte neufranzösische Komödie oder, wenn man will, Tragödie. Die Afra, die den Geigenmacher Loni heirathet, liebt den jungen Vitus, der unverhofft zu ihrer Hochzeit zurückkehrt. Die beiden umarmen und küssen sich, aber nur, um auf immer Abschied zu nehmen. Der Gatte belauscht sie; er ist kein Othello, aber er fühlt seitdem sein Leben zerstört und hegt Selbstmordgedanken. Er wird indeß von einem anderen, einem frei umherlaufenden Mörder, mit dem er zusammengeräth, getödtet. Vitus und Afra können sich lieben, ohne durch den Schatten eines Selbstmörders gestört zu werden.

Ebenfalls ein Dichter der Münchener ist Maximilian Schmidt, der durch seine Erzählungen aus dem oberbayerischen Walde (1863) sich zuerst einen Namen machte. Dort in Eschlkamm

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_174.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)