Seite:Die Gartenlaube (1889) 160.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Indessen, was half es? Da hieß es zur Schaufel greifen und sich einen Ausweg schaffen. Von der stämmigen Magd unterstützt, machte er sich an die Arbeit. Dieselbe war aber rascher vollendet, als er gedacht hatte, denn schon nach wenigen Schaufelstichen war der Hügel durchbohrt. Es zeigte sich alsbald, daß der Schneefall gar nicht bedeutend gewesen war. Desto stärker hatte der Sturm gehaust, welcher nach seiner Willkür hier und dort den Boden ganz glatt gefegt, an andern Stellen aber den Schnee um so gewaltthätiger aufgehäuft hatte.

Es hatte ausgesehen, als ob man sich nur nach harter Arbeit auf den Weg hinaus durchzukämpfen vermöchte. Dieser lag aber schon nach dem vierten oder fünften Spatenstich offen da.

Der Sturm hatte etwas nachgelassen und die Luft fühlte sich an, als ob wärmeres Wetter im Anzuge wäre.

Unter diesen Umständen wollte der Eisenhans noch einmal die Spur des Luchses verfolgen, bevor er dem Forstmeister eine Nachricht zukommen ließ. Es war nicht mehr so schlecht zu gehen wie gestern. Hatten sich auch hier und dort starke Schneewehen aufgehäuft, so war dafür an vielen Stellen der Schnee zur Hälfte oder ganz weggefegt. Zum Aufspüren war das freilich weniger geeignet, aber das Jägerblut hätte dem Eisenhans nicht eine Stunde mehr Ruhe gelassen.

Er rief seinen Hund „Flott“, verabschiedete sich von seiner Tochter, welcher er sagte, daß sie ihn zur Mittagsmahlzeit nicht erwarten solle, und ging geradeswegs den Tannen des nämlichen Bühels zu, hinter welchem er gestern Schutz vor dem Andrang des Sturmes gefunden hatte.

Während der Förster dort oben immer weiter in den Wald eindrang, hatten die Leute tief unten in der Ebene, dort wo in den Gärten bereits die Knospen der Kamelien aufzuspringen begannen und hier und dort ein blühender Mandelbaum mit seinem weißen Wipfel die Schneehügel der Hochfläche nachahmte, ein wunderliches Schauspiel.

Wenn sie zum Rande der Höhe hinaufschauten, so sahen sie ein daran haftendes Gewölk, welches in der Richtung gegen das Tiefland hin eine Gestalt hatte wie eine schwere Woge, die sich auf flachem Strande überstürzt. Dies bedeutete, daß ein dichter Nebel, welcher durch den Kampf der feuchtwarmen und kalten Luftschichten entstand, sich über den Ternovaner Wald hin auszubreiten begann. Und so war es.

Schier urplötzlich befand sich der Eisenhans, nachdem er eine ziemliche Strecke in steter Aufmerksamkeit auf Wildspuren zurückgelegt hatte, mitten in einem Nebel, welcher so dicht war, daß er kaum fünf oder sechs Schritte weit zu blicken vermochte. In diesem Augenblick war der Förster in einem kleinen Schlage angelangt, in welchem große Haufen von Schnee zusammengeweht lagen. Mit einem Male schien es ihm, als ob er längs des Randes eines dieser Schneehaufen den Abdruck der breitspurigen Tatze des Luchses gewahrte. Auch „Flott“ gebärdete sich unruhig, schnüffelte hastig herum und gab alle Zeichen einer starken Aufregung. Der Eisenhans meinte, daß eine gewöhnliche Hasen- oder Rehspur derlei unmöglich veranlaßt haben könnte.

Er nahm nun den Hund an die Leine und folgte ihm in der höchsten Gespanntheit. Es ging durch dick und dünn. Hier und da sauste ein Rudel Rehe, vom Gekläff des Hundes verfolgt, durch das Dickicht oder an einem Hang hinauf. Manchmal mußte der Förster über einen halbumgestürzten Baumstamm klettern, manchmal hieß es, einen kahlen Hang ansteigen, einen jener Weideplätze, zu welchen am Abend das Wild aus dem Hochwald zur Aesung zieht.

Bald hatte er alle Richtung verloren. Obwohl er das weite Revier besser kannte als irgend einer seiner Amtsgenossen, so mußte er sich doch gestehen, daß er in diesem Nebel keine Ahnung habe, nach welchem Theil des Waldes ihn sein Flott geschleift hatte.

Er machte sich nichts daraus – in seinem Jägereifer kümmerte er sich nur um eins, nämlich den Schlupfwinkel des Katzenthieres auszukundschaften. Mitten in dem hastigen Gange vergaß er es aber nicht, vorsichtig auf den Boden zu schauen. Er wußte nur zu gut, daß derselbe in vielen Theilen des Waldgebietes von Höhlungen, Klüften, Trichtern und Schachten unterbrochen war. Die kleineren derselben konnten von darübergewehtem Schnee bedeckt sein und wehe ihm, wenn er in ein solches Loch hineinstürzte.

Als er eben sich anschickte, einen Haufen von Felstrümmern zu überklettern, zwischen welchen langästige Tannen aufragten, verspürte er einen heftigen Ruck. Es war dem Hunde gelungen, sich loszureißen. Im nächsten Augenblicke gab derselbe Standlaut. Er bellte so wüthend, doch zugleich mit solchen Zeichen von Aufregung oder Angst, daß der Förster darüber selbst in Verwirrung gesetzt wurde. War es wirklich der Luchs, der hier seinen Lagerplatz hatte, oder war es nur ein Füchslein, das sich hierher verkroch?

Der nächste Augenblick sollte ihm Aufklärung bringen. Blitzschnell sauste ein Thier, welches wohl über einen Meter lang war, aus dem Geklippe hervor und verschwand im Nebel. Nicht minder rasch hatte der Förster seine Doppelbüchse gepackt und ihm zwei Schüsse nachgesendet. Auch Flott entsprang in der gleichen Richtung. Der Förster stieg nunmehr so rasch wie möglich auf den ebenen Waldboden hinaus und strengte seine Augen an, die vor ihm stehende Nebelwand zu durchdringen. Umsonst! Er sah nicht einmal, ob er Hochwald oder eine Lichtung in unmittelbarer Nähe vor sich habe. Er durchkreuzte die Anhäufung von Felsblöcken, er ging hier und dort hin, er rief dem Hunde, alles vergeblich. Weit um die Felsen herum war der Boden schneefrei. So vermochte er nicht, sich nach irgend einer Spur zu richten.

Endlich setzte er sich auf einen Felsblock, zündete seine Pfeife an und begann über das nachzudenken, was er zu thun hatte.

Daß der Hund den Kampf mit dem Luchs, einem ihm unbekannten Thiere, aufgenommen haben sollte, war mehr als unwahrscheinlich. Es ließ sich vielmehr nur annehmen, daß der Luchs entweder irgendwo in den Wipfel eines Baumes geklettert war, oder daß er angreifend den Hund übel zugerichtet, vielleicht zerrissen hatte, oder aber auch, daß es dem Raubthier gelungen war, durch überlegene Schnelligkeit zu entkommen, vielleicht irgendwo einen Höhlengang aufzufinden, in welchen ihm der Hund nicht zu folgen vermochte. In jedem Falle aber hätte er wohl Laute vernehmen müssen, insbesondere bei der Deutlichkeit, mit welcher sich im Nebel der Schall fortpflanzt. Von einer Blutspur war nirgendwo etwas zu sehen, ein Beweis, daß er das Thier gefehlt hatte. Das Gegentheil wäre wohl ein Wunder gewesen, denn die Schüsse waren buchstäblich in den Nebel hinein abgegeben worden.

Den Eisenhans begann es zu frösteln. Es drängte sich nun eine andere Schwierigkeit an ihn heran, an welche er bis jetzt nicht gedacht hatte. Der kalte Nebel zog sich dichter und dichter zusammen. Er mochte sich anstrengen, so viel er wollte, es gelang ihm nicht, ein einziges Wahrzeichen zu entdecken, durch welches er hätte bestimmen können, wohin er gerathen war. Einmal kam es ihm vor, als hörte er Glockengeläute. Kam es aus der entfernten Stadt von unten herauf oder vom Kirchlein bei seinem Forsthause oder war es das Blut, was in seinen Schläfen hämmerte?

Noch über eine Stunde wartete er in der Umgegend der Steinblöcke, zitternd vor Frost. Alle paar Minuten rief oder pfiff er nach dem Hunde. Aber der Wald blieb regungslos. Manchmal fiel ein Tropfen von der schweren Feuchtigkeit, die sich auf den Aesten angesammelt hatte, von einer der Tannen. Hie und da raschelte es irgendwo im Geäst, vielleicht vom Flügelschlag eines Nußhähers, der sich aus Angst versteckte, weil er einen Raubvogel in der Nähe wähnte.

Es blieb nichts anderes übrig, als aufs Gerathewohl den Heimweg aufzusuchen. Manchmal zwang ihn ein Schneehaufen zur Umkehr, oft betrogen ihn die Augen, indem er aus lichteren oder dunkleren Stellen im Nebel schloß, daß er sich einer ihm bekannten Rodung oder einem ihm gleichfalls bekannten geschlosseneren Theile des Waldes nähere, wo gewaltige Bäume dichter aneinander standen. Das erwies sich aber immer als Täuschung. Nach wenigen Augenblicken hatte der Nebel seine Gestalt wieder verändert.

Endlich – Stunden waren darüber hingegangen – stieß er fast mit dem Kniee gegen einen Gegenstand, welcher sich auf seinem Wege befand. Es war eine Bank. Ein Blick nach oben, dort war die Tafel, welche die Sehnsuchtstanne bezeichnete.

Jetzt war’s gewonnen. Denn die Bank stand in der Richtung gegen Südwesten, gegen das Tiefland, gegen das Meer. Wenn es ihm gelang, diese Richtung festzuhalten, so mußte er binnen kurzer Zeit die Lichtung um das Forsthaus herum erreichen.

Beim Weiterschreiten vernahm er von der Straße her ein Achsenfuhrwerk knarren, und jetzt hatte er gar ein untrügliches Kennzeichen erreicht. Vor Jahren war es ihm eingefallen, versuchsweise in einer kleinen Lichtung einen Nußbaum zu pflanzen. Die

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_160.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)