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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Wasserschichten empor, nähern sich der Küste, dringen ein in alle Straßen, Sunde und Fjorde und erfüllen die Oberfläche des Meeres auf viele Meilen hin mit ihrer Menge. So dicht schwimmen die nur von einem Gefühle beseelten, gleichsam sinnbethörten Fische, daß das Boot buchstäblich zwischen ihnen sich Bahn brechen muß, daß das Netz, überfüllt von ihrer Last, der Reckenkraft der fischenden Männer spottet oder zerreißt, daß ein zwischen die aneinander gepreßten Fische senkrecht eingestoßenes Ruder einige Augenblicke lang in seiner Lage erhalten wird, bevor es sich zur Seite neigt. Soweit die Felseninseln freigewaschen wurden von der tosenden Hochfluth, von der mittleren Fluthmarke an bis zum unteren Rande der jenen Gipfel überlagernden Dorfschicht, deckt den nackten Felsen ein ununterbrochener Ring von zerspaltenen Fachen welche hier zum Trocknen ausgelegt wurden, während darüber Gerüste sich erheben, an denen man andere Fische zu gleichem Zwecke der scharfen und dennoch dörrenden Luft preisgab.

Monatelang währt das Getriebe, monatelang ein ununterbrochener Markte; monatelang tauschen der Süden und der Norden ihre Schätze aus. Erst in den Tagen, in denen um die Mittagszeit heller Schein im Süden der noch verborgenen Sonne vorausgeht, oder in denen diese selbst einen kurzen Blick wirft auf das Land, endet allmählich der reiche Fang. Aus den gefüllten Speichern hinab zu den Schiffen trägt man den getrockneten Stock- oder Klippfisch, füllt alle Räume vom Kiel bis zum Deck und rüstet sich zur Heimkehr oder zur Fahrt in alle Welt.

Stiller wird es im Norden, einsamer das Land, öder das Meer. Endlich, um die Frühlings-Tag- und Nachtgleiche, haben fast alle fremden Schiffer die Erntestätte verlassen und alle Fische wiederum nach dem tiefen Grunde des Meeres sich zurückgezogen. Aber schon sendet das Meer neue Kinder aus, um wiederum die Sunde, Buchten und Fjorde, und nicht sie allein, sondern auch die Schären und Inseln zu beleben, und bald schauen Millionen von hellen Vogelaugen von denselben hinab auf das Meer.

Es ist ein tiefergreifender Zug des Lebens aller eigentlichen Seevögel, daß nur zweierlei Ursachen sie bewegen können, das Land zu besuchen; das freudige Gefühl der alllenzlich neu erwachenden Liebe und die düstere Ahnung des nahenden Todes. Wenn mit dem ersten Aufleuchten der Sonne in ihrem Herzen die Liebe sich regt, dann strebt alt und jung, und ob auch Tausende von Seemeilen durchschwammen und durchflogen werden müßten, der Stätte wieder zu, aus welcher sie zuerst das Licht der Welt erblicken. Und wenn inmitten des eisigen Winters, nachdem jene Brutstätten seit Monaten verödet lagen, ein Seevogel den Tod im Herzen fühlt, dann eilt er, so lange seine Kräfte nicht versagen, womöglich derselben Stätte zu, um da zu sterben, wo seine Wiege stand.

Die alljährlichen Versammlungen zahlreicher Vögel auf den Brutplätzen sind es, welche diese monatelang in unbeschreiblicher Weise beleben. Verschieden wie die Vögel selbst, sind die Vereinigungen, verschieden auch die Plätze oder, wie der Normann sagt, die Berge, welche sie bevölkern. Während die einen nur solche Schären zu Brutplätzen wählen, welche eben über die Hochfluthmarke sich erheben und nicht mehr Pflanzen hervorbringen, als erforderlich sind, um das im ausgeworfenem Tange eingemuldete Nest nothdürftig auszukleiden, müssen andere solche Eilande erkiesen, welche schroff und steil Hunderte von Metern über das Meer sich erheben und entweder reich an Vorsprüngen, Gesimsen, Höhlen, Spalten und sonstigen Schlupfwinkeln sind der von einer dicken Decke aus vertorften Pflanzenresten umhüllt werden. Jene niederen Schären pflegt der Normann den auf ihnen mit besonderer Vorliebe gehegten werthvollsten oder, was dasselbe, nutzbarsten aller Seevögel zuliebe, „Eiderholme“, zu deutsch „Eidervogelhügel“, zu nennen, während er unter „Vogelbergen“ gemeiniglich nur die steiler dem Meere entsteigenden, höheren, der Hauptsache nach von Alken oder von Möven bewohnten Inseln versteht.

Einer von den Vögeln , welche alllenzlich zu denselben Brutinseln zurückkehren und sie und ihre Umgebung in wunderbarer Weise schmücken helfen, ist der Eidervogel. Drei Arten dieser prachtvollen Enten bewohnen oder besuchen Europas Gestade; eine von ihnen, der Eidervogel selbst, allsommerlich sogar die nordwestlichen Inseln Deutschlands, insbesondere Sylt. Ihr Gefieder ist ein treues Spiegelbild des hochnordischen Meeres. Schwarz und roth, aschgrau, eisgrün, weiß, braun und gelb sind die Farben, welche auf ihm sich vereinigen. Der Eidervogel ist der am wenigsten schöne unter ihnen, immerhin aber noch ein prächtiger Vogel.

Keine andere Entenart ist in so vollgültigem Sinne Meeresbewohner wie die Eiderente, keine watschelt schwerfälliger am Lande dahin; keine stiegt minder gewandt, keine schwimmt rascher; keine taucht geschickter und tiefer als sie. Bis fünfzig Meter sinkt sie der Nahrung halber unter die Oberfläche hinab, und bis fünf Minuten, eine außerordentlich lange Zeit, soll sie unter Wasser verweilen können. Vor Beginn der Brutzeit verläßt sie die hohe See entweder gar nicht oder nur in Ausnahmefällen, mehr einer Laune als der Notwendigkeit folgend. Schon gegen Ausgang des Winters aber haben sich die Schwärme, welche auch diese Art bildete, in einzelne Paare getrennt, und nur diejenigen Männchen, dessen es nicht gelang, ein Weibchen zu erwerben, schwimmen noch in kleinen Trupps umher. Unter den Gatten des Paares herrscht beiderseits beglückende Eintracht. Nur ein Wille, inzweifelhaft der der Ente, ist maßgebend für beider Thun. Erhebt sich die Ente vom Wasserspiegel, um fliegend einige hundert Meter zu durchmessen, so folgt ihr auch der Entvogel, taucht sie hinab in die Tiefe, so verschwindet unmittelbar später auch er, wohin sie sich auch wenden mag, er folgt ihr getreulich, was sie beginnt, entspricht seinen Wünschen. Noch lebt das Paar draußen auf hoher See, wenn auch nur da, wo deren Tiefe nicht über fünfzig Meter beträgt, und immer nur an flachen Stellen, wo Mies- und andere Muscheln in reicher Menge die Felsen oder den Grund bedecken. Diese Weichtiere sind es, welche die oft ausschließliche Nahrung unserer Enten bilden ihrethalben tauchen sie in die bedeckende Tiefe hinab; diese Muscheln aber bewahren sie auch jederzeit vor dem Mangel, welcher so viele andere Enten zuweilen hart bedrückt.

Im April, spätestens im Anfange des Mai, nähern sich die Paare mehr und mehr dem Schärengürtel und damit der Küste. Im Herzen der Ente regen sich Muttersorgen, und ihnen ordnet sie alle übrigen unter. Draußen auf hohem Meere war das Paar so scheu, daß es niemals Annäherung eines Schiffes oder Bootes abwartete, jetzt, in der Nähe der Inseln, ändert sich das Benehmen vollständig. Nur dem mütterlichen Drange gehorchend, schwimmt die Ente an eine der Brutinseln heran, ohne auf den Menschen ferner zu achten, watschelt sie auf das Land hinaus. Besorgt folgt ihr auch jetzt noch der Entvogel, nicht ohne sein warnendes „Ahua, Ahua“ erschallen zu lassen, nicht ohne immer ersichtlicher zu zögern, zeitweilig zurückzuleiben, lange sich zu besinnen und dann erst wieder vorwärts zu schwimmen. Die Ente achtet all dessen nicht. Unbekümmert um die ganze Welt um sie her, wandert sie über die Insel, um einen passenden Brutplatz zu suchen. Eigenwillig wie sie ist, begnügt sie sich keineswegs mit dem ersten besten Tanghaufen, welchen die Hochfluth an das Land warf, mit dem niederen Wachholderstrauche, dessen auf dem Boden hinrankendes Gezweige einen sicheren Versteckplatz bietet, mit der halbzerbrochenen Kiste, welche der Besitzer der Insel als Schutzdach aufstellte, mit dem Geniste und Reisighaufen, den er, sie einladend, zusammentrug; sie nähert sich auch furchtlos, als ob sie ein Haustier wäre, der Wohnung des Besitzers, tritt in das Innere derselben, durchmißt den Flur, beebgt die Hausfrau in Küche und Gemach, ersteht, launenhaft und starrsinnig, gerade das Innere des Backofens zu ihrer Niststelle und zwingt dadurch die Hausfrau, monatelang ihr Brot auf einer anderen Insel zu backen. Mit erkennbarem Entsetzen folgt ihr der treue Enterich soweit als möglich, wenn sie aber nach seiner Meinung alle Sicherung gänzlich aus den Augen setzt und sich vermißt, mit dem Menschen unter einem Dache zu wohnen, versucht er nicht länger gegen ihre Laune anzukämpfen, sondern läßt sie einfach gewähren und stiegt zunächst auf das sichere Meer hinaus, hier mit Sehnsucht ihrer alltäglichen Besuche harrend.

Unsere Ente läßt sich auch hierdurch nicht beirren, schleppt etwas Reisig und Genist zusammen, gestattet gern, daß der Normann sie unterstützt, schichtet die Neststoffe, außer Reisern namentlich auch Tange, zu einem Haufen, gräbt, mit den beiden Rudern arbeitend, eine Mulde aus, rundet dieselbe unter beständigem Drehen mit der glatten Brust und beginnt nunmehr die eigentliche Ausfütterung zu beschaffen und dem Neste einzuverleiben. Nur ihrer Brut gedenkend, rupft sie sich die unvergleichlich weichen Dunen

von ihrer Brust, bildet aus ihnen einen Filz, welcher die ganze

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