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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

geheftet wurde. Dann erst begann das programmmäßig angeordnete Narrenfest, gewöhnlich ein heiteres Spiel zum Ergötzen der Menge, sodann natürlich ein Festschmaus in der Narrenherberge und abends ein Bankett mit Tanz.

Am andern Tage aber, dem „moralischen Aschermittwoch“, versammelten sich nachmittags um vier Uhr die Narren abermals vor der Narrenherberge, um „die Fastnacht zu begraben“. Unter Vortritt zweier jungen Narren mit riesigen Schlüsseln, den Narrenschlüsseln, mit welchen „der Himmel der Narrheit auf- und zugeschlossen wurde“, setzte sich der paarweis geordnete Zug der Narrenräthe in Bewegung und schlug den Weg nach dem Narrenbaum ein. Hinter den Schlüsselträgern schritt der Narrenwart, welcher das Zeichen seiner Würde, einen mit dem Brustbild des Hans Kuoni geschmückten zweifarbigen Stab trug; ihm nach wurde von zwei „Narrenschatzhütern“ eine uralte geschnitzte Truhe getragen, „die Narrenlade“, in welcher das Narrenbuch und die Narrengerichtsprotokolle aufbewahrt wurden. Unmittelbar hinter ihnen schritt der „Narrenvater“ einher, zu welcher Würde gewöhnlich der älteste Bewohner der Stadt erwählt wurde. Dann erst folgten die übrigen Narren, schweigend, mit gesenkten Köpfen, wie es sich bei einem Begräbniß ziemt. Beim Narrenbaum angekommen, umschritten sie diesen dreimal, dann – begaben sich alle nach Hause und mit der Narrheit war es für ein Jahr vorüber.

Dies waren, in Kürze berichtet, die mit der Abhaltung der Stockacher Narrengerichte verbundenen Gebräuche und Förmlichkeiten, wie sie sich seit nahezu sechs Jahrhunderten bis in die neuere Zeit erhalten haben.

Anfänglich waren diese seltsamen Rügen menschlicher Thorheit und Schwäche fast immer nur scherzhafter Natur, später aber verloren sie nur allzu häufig die ursprüngliche Harmlosigkeit und nahmen mehr und mehr den Charakter der Gehässigkeit an sowohl gegen einzelne Persönlichkeiten als auch gegen mißliebige öffentliche Einrichtungen, so selbst gegen die Behörden. So wagten z. B. im Jahre 1734 die Narren, das verhaßte österreichisch-nellenburgische Landgericht, unter dessen Jurisdiktion Stockach damals stand, dadurch lächerlich zu machen, daß sie alle die umständlichen Formalitäten und insbesondere den schwülstigen Geschäftsstil jenes Gerichtes in satirisch witziger Weise bei ihren eigenen Narrengerichten einführten. Dadurch fühlte sich natürlich das Landgericht an seiner Würde verletzt und führte Klage gegen die Stockacher Bürgerschaft. Der Urtheilsspruch der zuständigen Behörde fiel jedoch – fast wider das allgemeine Erwarten – zu Gunsten der Narren aus, wenngleich er auch der seitherigen Ungebundenheit dieser einige wohlverdiente Schranken setzte. „Man soll“ – so lautete das Urtheil – „die Bürger bei ihrem Herkommen lassen, doch mit Abstellung der Mißbräuche.“

Wie leicht erklärlich, wurde nun von seiten des Landgerichts der Begriff „Mißbrauch“ unendlich dehnbar erfunden und es beschränkte daher mit seinen unantastbaren Verfügungen die Gerechtsame der Narren mehr und mehr. Dadurch wurden die letzteren immer „zahmer“, und der einstige Grundgedanke ihrer Gerichte, die Geißelung menschlicher Schwäche und Thorheit, verlor sich mit der Zeit fast vollständig. Statt der derbkomischen, in den meisten Fällen jedoch auch „groben“ Art und Weise, wie die Amtsnachkömmlinge Hans Kuonis „über kluge Leute zu Gericht saßen“, wurde in neuerer und neuester Zeit nur mehr ein harmloses Maskenspiel, „ein Mummenschanz“, ohne jegliche Beziehung auf irgendwelche Personen zur Aufführung gebracht. Die fortschreitende Civilisation und die allmähliche Verfeinerung der Sitten hat eben sogar den – Narren einen gewissen Geist der Milde aufgenöthigt.

Heutzutage findet in Stockach nur noch „das Begraben der Fastnacht“ am Aschermittwoch statt. Es unterscheidet sich dieser noch immer vielbesuchte Akt kaum von den Maskenscherzen anderer Städte.

Als einziges Ueberbleibsel aber von den alten „Narrengerichten in Deutschlands Narrenresidenz“ ist es immerhin noch ein merkwürdiges und interessantes Stück deutscher Sittengeschichte.

Begraben der Fastnacht in Stockach.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_141.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)