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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Bogen spannen. Auch daraus hat man eine katholische Kirche, Nuestra Señora del Transito, gemacht; aber sie steht ebenfalls leer und ist von einer Bevölkerung nicht mehr benutzt, die in der kolossalen Kathedrale mehr als genug an Raum hat. Die Juden aber konnten ihr altes Gotteshaus nicht mehr besuchen; es gab keine Israeliten mehr in Spanien, seitdem Isabella die Katholische zu Ehren des Sieges von Granada sie alle aus dem Lande trieb, damit es nicht länger durch die Anwesenheit dieser „Ungläubigen“ befleckt werde. Es sollen nach den einen 160 000, nach anderen 800 000 Juden gewesen sein, die damals Spanien verließen, und bis in die neuere Zeit wurden sie daselbst nicht geduldet.

Man behauptet in Toledo, daß der Fremde ein ganzes Jahr zum Studium der künstlerischen Schätze und architektonischen Alterthümer in der Stadt verwenden könnte. Man braucht nur den weißen Mörtel von einer Mauer abzulösen, um auf ein Figurenwerk von Stein aus der Maurenzeit oder der spanischen Gothik zu stoßen. So mancher Raum, der heute als Werkstatt dient, war einst der Prunksaal eines Vornehmen, wie die Steinhauerhallen del Moro, wo Meisterwerke arabischer Architektur von den Decken auf die Arbeiter herniederblicken. So manches nur halb bewohnte Privathaus von unscheinbarem Aeußeren birgt in seinem Innern die Marmorsäulen eines maurischen Harems und die Freskomalereien oder ciselirten Bronzezierden, die der spanische Große in den verlassenen Räumen des arabischen Palastes anbringen ließ. Stattliche Schlösser noch aus der Gothenzeit und Alcazars der Mauren sind mitten in dem bergigen Gassenlabyrinth die mächtigen Behausungen der Hospitäler, Klöster und Lehranstalten geworden und in ihre nüchternen Räume gelangt man durch Prachtportale aus der Renaissanceepoche. Sagen umspielen fast jedes alte Haus, jede Ruine, jeden Bergkopf bei Toledo, auf dem noch ein plumper Thurmrest sichtbar ist.

Von der flüsternden Sage begleitet, steigt man zur Höhe der Stadt hinauf, welche die Ruinen der Burg Karls V. trägt, des Alcazars nach der arabischen Bezeichnung, die an ihm haften geblieben ist. Seit der verhängnißvollen Nacht vom 9. auf den 10. Januar 1887, in der ein großer Brand das Schloß heimsuchte, ist auch der letzte Rest seiner alten Herrlichkeit in Trümmer gesunken; es hatte zuletzt als Militärschule gedient. Wie Karl V. sich in die Alhambra zu Granada einen Kaiserpalast hineinbauen ließ, welcher heute mit seinen vier Mauern als eine prächtige Ruine dasteht, so ließ er auch auf dem Platz der alten Königsresidenz in Toledo, auf den Grundmauern aus der Gothenzeit und mit dem Marmorstein der darauf errichteten und wieder zerstörten Maurenburg, ein neues Schloß aufführen, viereckig und von gewaltigem Umfang, mit einem starken Thurm an jeder Ecke, einer Festung gleich. Seine ernste Fassade mit den gemeißelten Arabesken, das Portal, der Hof mit seinen Arkaden, die Marmortreppen, die großartigen Stallungen im Erdgeschoß, sie alle sind nun auch zerstört, Toledo ist um eine stolze Ruine reicher. In Nr. 6 des Jahrgangs 1887 der „Gartenlaube“ finden die Leser eine Beschreibung der dahingegangenen Herrlichkeiten, auch eine Abbildung, welche die beherrschende Lage dieses großartigen Baues veranschaulicht.

Von der Höhe des Alcazar bietet sich ein entzückendes Panorama dar. Zu Füßen die hundert Zickzacklinien der Gassen und Giebel von Toledo mit der kolossalen Kathedrale, mit der imposanten Terrasse von San Juan de los Reyes, mit dem orientalischen Zinnenkranz der Bastionen, mit der Arena für die Stierkämpfe; dann die Puerta del Sol und das Thurmthor der Brücke von Alcantara abwärts nach dem Tajo zu, der wie eine Silberschlange in der Felsenschlucht sich windet. Und drüben auf den Höhen alte Gothenthürme und zerbrochenes Mauerwerk maurischer Burgen. Dann Wiesen und Felder und wellige Linien bis in die Ferne, wo die sinkende Sonne schon alles in Golddunst taucht.

Versunken in Träumerei blickt man dahin wie vom Himmel auf die Erde. Laue Lüfte umfächeln die Wangen. Da flüstert die Sage uns ins Ohr: „Einst kam auch in seinen Jünglingsjahren Karl der Große hierher, groß und stattlich, eine nordische Königsgestalt, goldlockig und mit rothblondem, wallendem Bart. Zum Maurenkönig Galafro kam er und war hier Gast im Alcazar. Er sah des Königs Töchterlein, die liebliche Galiana mit den blauschwarzen Haaren um die leuchtende Stirn, mit den stolzen Bogen über den großen, gluthvollen Sammetaugen, mit dem rosigen Mund – eine herrliche Maid, in der arabische und gothische Schönheit sich harmonisch vereinigt. Heiße Liebe erfaßte den fränkischen Herrscher zu ihr und sie litt es wohl, aber mit Kummer im Herzen. Denn der Maurenkönig von Guadalajara freite um sie, ein gewaltiger Recke und gefürchtet weit und breit mit seinem siegreichen Schwert, sie aber liebte ihn nicht. Nun kam auch der Maure wieder einmal nach dem Alcazar des Königs Galafro während der Anwesenheit des jungen Frankenkönigs und minnete vor dessen Augen um der Prinzessin Gunst. Darob ergrimmte Carolus und forderte furchtlos den Maurenfürsten zum Zweikampf. Er überwand ihn und streckte ihn todt in den Sand, schnitt ihm dann den Kopf ab und brachte ihn Galiana. Das Mädchen freute sich darüber und war nun glücklich. Der Vater aber sah ein, daß er ihrem Glück nichts in den Weg stellen dürfe; er ließ sich den Frankenkönig als Eidam gefallen, die Prinzessin nahm den christlichen Glauben an aus Liebe zu ihrem Gemahl und folgte ihm nach dem Lande der Franken.“




Blätter und Blüthen.

Der Große Kurfürst auf Rügen. (Mit Illustration S. 120 und 121.) Mit weitem Blicke, mit jener Vorahnung, welche den Männern von geschichtlicher Bedeutung eigen ist, hatte der Große Kurfürst bereits nach allen Seiten hin gleichsam das Maß genommen für des Staates künftiges Wachsthum; ja einiges von dem, womit er vorschauend den Anfang machte, schien bald nach seinem Tode wieder eingeschlafen zu sein; es schlummerte fast anderthalb Jahrhunderte hindurch, um dann von neuem zu erwachen und in einer glänzenden Auferstehung ein dauerndes Leben zu gewinnen. Der Fürst hatte den Instinkt gehabt, einen Lebenspuls seines jungen Staates herauszufühlen; das heutige Preußen und Deutschland hat ihm Recht gegeben. Seine brandenburger Marine, die selbst für den Großen Friedrich ein verschollenes Märchen war, ist jetzt wiedergeboren worden als deutsche Reichsmarine, welche die preußischen Küsten und den deutschen Handel in allen Welttheilen schützt. Ja selbst für die neue Kolonialpolitik finden wir die Vorläufer unter des Großen Kurfürsten Regierung. Damals waren die Pläne, die seinen weitblickenden Sinn beschäftigten, verfrüht, aber es waren Anweisungen auf die Zukunft. An der Küste von Guinea wurde 1682 eine brandenburgische Handelsniederlassung gegründet; schon im Jahre 1650 wollte er eine solche auf der Coromandelküste in Ostindien errichten und verhandelte deshalb mit Dänemark. Die afrikanische Handelskompagnie machte im Jahre 1682 schlechte Geschäfte; der Kurfürst übernahm dann die Kompagnie auf den Staat, doch ohne Erfolg. Es fehlte dem kleinen Brandenburg an Kapitalien und an Unternehmungsgeist, und der Große Kurfürst mußte die Aufgabe, die er sich gestellt, die Betheiligung seines Staates am Welthandel, ungelöst seinen Nachfolgern übergeben.

Nicht so unbedeutend war die brandenburgische Kriegsflotte, die der Fürst begründet hatte und die im Jahre 1681 dreißig größere und kleinere Schiffe zählte; sie hatte ihm im Kriege mit Schweden große Dienste geleistet, besonders in den Kämpfen um Vorpommern seit 1675, bei Eroberung der Inseln Usedom und Wollin.

So sehen wir auf unserem Bilde den Großen Kurfürsten, wie er, von seiner Flotte unterstützt, die Insel Rügen den Schweden zu entreißen sucht. Seine Flotte hat beim Bombardement der Küsten ihre Schuldigkeit gethan, ebenso bei dem Transport der Truppen. Jetzt landet das Heer vor seinen Augen. Ein Wald von Masten und Flaggen im Hintergrunde; Reiter und Rosse entsteigen dem Schoß der Schiffe und dringen durch die seichtere Fluth ans Land. Dort ordnen sich die Schwadronen. Hoch zu Roß, mit scharfem Blick und allgegenwärtigem Geist, hält der Kurfürst vor seinen Generalen, der glorreiche Sieger von Fehrbellin, der Begründer der hohenzollernschen Machtstellung in Europa, eine imponirende Herrschergestalt, ein mächtiger Gebieter zu Land und See.

Von der Wiege bis zum Grabe nennt sich eine Folge von zwei- und vierhändigen Tonstücken des bekannten Kapellmeisters Karl Reinecke, die zu den liebenswürdigsten Erscheinungen der neueren Klavierlitteratur zählen. Voll zarter Innigkeit schlingen sich reizende Melodien zum Kranze, der die einzelnen Lebensbilder: Kindheit, Jugendleben, Liebe, Hochzeit und alles, was das Menschenleben Holdes und Schweres bringt, umschließt. Von besonderem Liebreiz sind „Kindesträume“, „Schöne Maiennacht“, „Im Silberkranze“ und das feierliche „Ad astra“, wo der sich lösenden und aufwärts ziehenden Seele noch einmal wie ein leiser Hauch die Liebesweise jener Maiennacht durch die Erinnerung zieht. Auch der originelle Hochzeitsmarsch wird sich sicher bald einer großen Beliebtheit erfreuen, da er, wie beinahe alle Stücke der Sammlung, ohne besondere Schwierigkeiten auszuführen und daher allen jenen zugänglich ist, die auf die Ausübung schwerer Bravourstücke verzichten müssen. Und hierin erblicken wir einen Hauptvorzug des schönen Werkes. Die Anforderungen an die Spielfertigkeit sind heutzutage in einer Weise gesteigert, daß oft

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_131.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)