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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

der Eifersucht plagte mich; ich aber plagte Angiolina, obschon ich das arme Kind nur Sonntags sehen konnte, oder wenn ich eine Kundschaft hier überzufahren hatte, was selten genug geschah, der Bora wegen, die sich gern den Spaß macht, zu kommen, wenn man sie am wenigsten erwartet.

Eines Tages aber kam ein Fremder, blond wie Ihr, Herr, und jung, groß und stark dazu, ein Riese, der keine Furcht zu kennen schien und das Ruder fast so gut zu führen wußte wie ich. Nachdem ich ihn einmal nach Muggia geführt, nahm er meine Barke in Accord und ließ sich an jedem heitern Tage mit dem frühesten Morgen herüberfahren, um hier ans Land zu gehen und erst abends zurückzukehren. Nun, er zahlte gut, und so kümmerte ich mich um so weniger um sein Thun, als Angiolina anfangs, wenn sie meine Barke vom Fenster aus bemerkte, zum Strande kam, um mir Gesellschaft zu leisten. Erst als das Mädchen, ein Verbot des Vaters vorschützend, mich den ganzen Tag mit meiner Barke allein ließ, begann ich Verdacht zu schöpfen; Angiolinas Behausung lag auf mäßiger Anhöhe zwischen Bäumen und Strauchwerk; man konnte ungesehen dort ein- und ausgehen.

So schlich ich mich denn eines Nachmittags bis auf Sehweite an und harrte, den Eingang im Auge behaltend, etwa eine halbe Stunde; als die Thür endlich geöffnet wurde, sah ich – o Herr, das Blut schoß mir zu Kopfe, daß sich die Sonne vor meinem Auge verdunkelte – wie der Fremde aus dem Hause trat, begleitet von meinem Mädchen, dem er mit vertraulichem Lächeln zunickte, um darauf, von ihren Blicken verfolgt, hinter Bäumen zu verschwinden. – Also darum die täglichen Fahrten, darum die Lüge des väterlichen Verbotes! Und während ich gleich einem Verdammten nur das Antlitz meines vermeintlichen Engels zu schauen lechzte, lag dieser kosend in den Armen des Fremden, das Spielzeug der flüchtigen Laune eines Niederträchtigen! Die Hölle im Herzen eilte ich zum Strande hinab. Der Mann, der mir das Liebste geraubt, sollte sich nicht lange seines fluchwürdigen Lebens freuen, das stand fest; Messerstoß oder Ruderschlag – es war mir alles gleich, wenn nur meine Rache befriedigt wurde.

Der Fremde erwartete mich schon und machte mir lachend Vorwürfe über die Unvorsichtigkeit, meine Barke unbewacht gelassen zu haben; ich erwiderte nichts, biß die Zähne zusammen und spannte meine Segel.

Es war ein heiterer Tag, Herr, wie heute; als wir jedoch die Bucht verließen, erkannte ich die sicheren Sturmzeichen, und damit war mein Plan gefaßt. Ich war von jeher im Wasser zu Hause wie ein Aal, hatte mich als Knabe schon zum bloßen Spiel in die aufgewühlten Wogen gestürzt; wenn die Barke umkippte und der Fremde ertrank, so war das seine Sache; von mir konnte niemand verlangen, daß ich einen Riesen stundenlang über Wasser erhalte. Der Deutsche war ein guter Ruderer, aber vom Schifferhandwerk verstand er nichts; ich konnte daher, ohne Verdacht zu erwecken, mein Segel so ungeschickt stellen, daß wir nur wenig vom Flecke kamen. Uebrigens kümmerte er sich auch gar nicht um mich, sondern lag im Vordertheil der Barke und blies sorglos den Rauch seiner Cigarre in die Luft, ohne Ahnung, daß die Wuth um so wilder in mir tobte, je länger ich in dieses rosig lachende Antlitz sah, unter dem sich die Seele eines Schurken barg. Dann aber, als die ersten Windstöße kamen und ich bei gerefftem Segel zum Ruder griff, folgte er ruhig meinem Beispiele und führte das seine so kräftig, daß es uns wahrhaftig nicht schwer geworden wäre, den Hafen zu erreichen, wenn auch die Wellen höher und höher stiegen und der Wind wie mit scharfen Krallen über die Planken fuhr.

Die Bora war wohl noch nie einem Menschen so willkommen gewesen wie mir in jener Stunde; ja, die Wuth der Eifersucht hatte meine Seele so ganz und gar erfüllt, daß ich mit Frohlocken des Augenblicks harrte, um dem Verführer Angiolinas, wenn er vergeblich mit den Wogen ringen würde, ein höhnisches ‚Addio‘ zuzurufen. Und endlich kam er; eine riesige Welle erhob sich vor uns, ein kräftiger falscher Schlag meines Ruders, und statt uns auf deren Rücken zu erheben, wurde die Langseite der Barke erfaßt und diese sammt uns unter dem Wasserberge begraben. Aus dem tosenden Schwalle auftauchend, sah ich dicht neben mir das Antlitz des Fremden, wie es mir schien, lachend und rosig wie sonst. Wüthend öffnete ich die Lippen, um dem Verhaßten das Todesurtheil zuzurufen; doch Madonna fügte es anders, denn in demselben Momente traf mich ein Stoß der aufstrebenden Barke am Hinterkopfe mit solcher Wucht, daß mir die Besinnung schwand und ich versinkend nur noch das Brausen der über mir zusammenschlagenden Wellen vernahm. Wie lange diese Bewußtlosigkeit gedauert, weiß ich nicht zu sagen; als ich aber erwachte, stand der Fremde wohlbehalten und lachend vor mir und meinte: ‚Nun, Freund Chiotti, Dein Kopf ist noch ganz, wie ich sehe, und somit hat die Sache nichts weiter zu bedeuten; denn um Deine Barke darfst Du nicht trauern, Du sollst in Zukunft eine bessere führen.‘ Damit ging er, und erst von den Umstehenden erfuhr ich, daß mich der junge Riese ans Ufer gebracht, ohne von solcher Leistung sonderlich erschöpft zu scheinen. Gleich einem geschlagenen Hunde ging ich heim; dem gegenüber, der mir das Leben gerettet, war ich machtlos; der Grimm darüber aber reifte den Gedanken, mein heißes Verlangen nach Rache wenigstens an der Treulosen zu stillen. Meine Barke war noch ein leckes Wrack, ich ging darum, sobald es meine Kopfbeule erlaubte, zu Fuße nach dem wohlbekannten kleinen Hause. In die Thür tretend, wurde ich von Angiolina mit einem Freudenschrei empfangen; doch wich sie entsetzt zurück, als sie meinen zornfunkelnden Blick und das Messer in meiner Hand gewahrte. Ich war halb von Sinnen, Herr; aber dennoch, wie das liebe Mädchen dastand, so sanft und wehrlos wie ein Lamm, da sank mir der Muth, und ich wäre spornstreichs davongerannt, hätte nicht ein neuer Gegenstand meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ein Winkel des kleinen Raumes nämlich war durch einen von der Decke herabfallenden Vorhang den Blicken entzogen. Ich hatte es bisher nie bemerkt, es mußte aber meinen Verdacht um so mehr erwecken, als sich Angiolina, die Richtung meines Blickes verfolgend, mit allen Zeichen der Angst wie abwehrend mir entgegenstellte. Alles vergessend stürzte ich mit erhobenem Messer auf die Stelle los, riß den Vorhang bei Seite und – stand vor einem Bilde, nein vor der gebenedeiten Madonna selbst, welche mit den süßen Zügen Angiolinas mild und doch wie zürnend auf mich herabsah. Seht, Herr, damals war es, daß es wie Schuppen von meinen Augen fiel, daß ich plötzlich erkannte, wie schlecht ich war. Angiolina hatte – nur um das Ziel unserer Wünsche rascher zu erreichen – eingewilligt, dem fremden Herrn als Modell für das heilige Bild zu dienen; ich fiel ihr zu Füßen und bat um Verzeihung für meinen ruchlosen Verdacht.

Das gute Mädchen! Es vergab und vergaß meine Tollheit, den Fremden dagegen sah ich nicht mehr. Er hatte das Bild Tags zuvor vollendet und kehrte in die Heimath zurück, nachdem er Angiolina weit mehr als die bedungene Summe übergeben, um, wie er sagte, auch mich für die Kopfbeule schadlos zu halten. Ja, Herr, so that der Fremde. Angiolina wurde Dank seiner Großmuth wenige Monate später mein, und mein Erstgeborener trägt seinen Namen. Weder auf meinem Anwesen noch auf dieser schönen Barke lastet eine Schuld, nur meine Seele ist um so schwerer belastet. Diese Last wird nicht von ihr genommen, bis – o, ich wollte –“

Chiotti, welcher bisher mit der dramatischen Lebhaftigkeit und Zungengeläufigkeit des Romanen gesprochen, ließ den Kopf wieder auf die Brust sinken mit einem Ausdrucke von Trostlosigkeit, der mir jetzt noch räthselhafter war denn zuvor.

„Ich begreife Euch nicht, Freund Chiotti,“ versetzte ich, als er hartnäckig schwieg; „wahr ist’s, Ihr habt, von Leidenschaft verblendet, Schlimmes beabsichtigt; der Himmel fügte es jedoch, wie Ihr selbst sagtet, zum Besten, Euere Reue aber –“

„Zum Besten?“ fiel Chiotti jetzt dumpfen Tones ein, „nein, nur anders fügte er es, wie Ihr gleich hören werdet. Wenige Tage nach der Abreise des Fremden erhielt Angiolina ein Schreiben aus einer großen Stadt im Norden, worin er mit kurzen Worten anzeigte, daß er – merkt wohl auf, lieber Herr! – daß er infolge eines Stoßes in der Brustgegend, welchen er gelegentlich des Sturmes auf der Adria durch den Anprall meiner umgekippten Barke erhalten, aber nicht beachtet habe, auf der Heimreise schwer erkrankt sei; das Bild würde im Falle seiner Genesung durch einen bevollmächtigten Kommissionär abgeholt und verpackt werden, andernfalls aber sollte Angiolina dasselbe nach Jahresfrist einer Kirche weihen. O Herr, nie in meinem Leben betete ich so inbrünstig für das Wohl eines Menschen wie damals für das des großmüthigen Fremden; allein der Kommissionär kam nicht, und ein Jahr später blickte die Madonna von geweihter Stelle

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_114.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)