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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

unbedingtes Vertrauen in Lesseps aus und erklärte, auf jegliche Zinszahlung vorläufig verzichten zu wollen. Aber die Katastrophe ist eine so ungeheure, daß sich ihre Folgen noch gar nicht übersehen lassen. Jedenfalls hatte Lesseps mit allen ihm zur Seite stehenden Berathern und Ingenieuren sich einer großen Selbsttäuschung hingegeben.

Ueber die Größe der Arbeit hatte man sich ganz irrige Vorstellungen gemacht. Wenn schon die Chagresstrecke recht große Schwierigkeiten aufweist, so sind dieselben in der 16 Kilometer langen Gebirgsstrecke noch viel bedeutender. Denn hier sind Einschnitte von mehr als 100 Metern zu machen und die Böschungen reichen bis zu 170 Meter hinauf. Man erinnere sich, daß der ursprügliche Plan nur 87 Meter als tiefsten Durchstich angenommen hatte.

Zwar konnte man die Masse des auszuhebenden Terrains durch verschiedene Veränderungen im Programme von 120 Millionen Kubikmeter auf 108 Millionen herabsetzen, aber am 2. März 1888 waren davon erst 30 Millionen ausgehoben, denn die heftigen Fluthen der Regenzeit zerstörten wiederholt, was während der trockneren Zeit geleistet worden war. So wurde es denn bereits im Anfang des verflossenen Jahres klar, daß an eine Eröffnung des Kanals am 1. Januar 1889, wie versprochen, nicht gedacht werden könne. Man setzte den Termin nun auf den 1. Juli 1889 fest.

Aber auch für diesen Zeitpunkt war der Kanal nicht nach den ursprünglichen Plänen zu vollenden. Lesseps mußte den Aktionären den Vorschlag machen, die Höhen des Culebra-Kammes vermittelst Schleusen zu überfahren, und zwar sollten 9 Schleusen angelegt werden von Dimensionen, welche es den größten Schiffen ermöglichen, den Kanal von einem Ende bis zum andern zu befahren. Allerdings wollte man den ursprünglichen Plan nicht aufgeben, der Kanal sollte später nach dem früheren Projekt fertiggestellt werden und zwar aus seinen eigenen Einnahmen.

Die Schätzungen dieser Einnahmen haben mit dem Anwachsen der Ausgaben gleichen Schritt gehalten. Anfänglich meinte man, daß man nach Eröffnung des Kanals im Jahre 1889 auf einen Durchgangsverkehr von 7 250 000 Tonnen rechnen könne. Allein der letzte Jahresbericht der Gesellschaft spricht bereits von 17 Millionen Tonnen, ohne zu zeigen, wie diese riesige Zunahme zu erklären sei. Ganz kühle, dem Kanalunternehmen nicht unfreundlich gegenüberstehende Sachverständige glaubten, nur 5½ Millionen Tonnen als voraussichtliche Verkehrsmenge des Kanals annehmen zu dürfen. Diese ansehnlichen Schwankungen in den Schätzungen sind nicht gerade Vertrauen erweckend.

Auch darf der Verwaltung der Vorwurf nicht erspart bleiben, mit den ihr übergebenen Millionen wenig haushälterisch verfahren zu sein. Man hat prunkvolle Gebäude für die Direktoren in Panama errichtet und dieselben dann wieder aufgegeben, mit riesigen Kosten Baggermaschinen, die unbenutzt daliegen, angeschafft u. dergl. m., man hat freilich auch manches Nützliche geschaffen. Auch die Vorarbeiten erforderten außerordentlich viel Zeit.

Tausende von Arbeitern waren anzuwerben und an die vorher zu bestimmenden Arbeitsplätze zu befördern, an denen man umfassende Vorkehrung zu treffen hatte, um Schutz gegen die Hitze der trocknen und die schweren Regengüsse der nassen Jahreszeit zu gewähren. Der Transport der großen Baggermaschinen von ganz besonderer Konstruktion, für die man bis 200 000 Dollars per Stück zahlte, zum Aushub der Erdmassen bot ganz außerordentliche Schwierigkeiten, bis durch Beseitigung der Barre des Chagresflusses dieser dienstbar gemacht worden war.

Mit lobenswerther Vorsicht errichtete man in der neben Colon schnell entstandenen Stadt Neu-Columbus ein Hospital, auf der Insel Taboga eine Heilstätte und warb für die verschiedenen Arbeitsplätze einen Stab von Aerzten an. Und doch starben in dem zweiten Halbjahr des Jahres 1884 nicht weniger als 1100 weiße Arbeiter, der Tausende von Negern, Mulatten und Chinesen gar nicht zu gedenken.

Einen großen Theil der Arbeiten, insbesondere den bedeutendsten Theil der Ausschachtungen, überließ die Direktion an englische, holländische, französische, amerikanische, italienische, kolumbische und schwedische Unternehmer. Aber damit durch Versagen der Maschinen und Geräthe dieser Leute die Arbeiten nicht ins Stocken gerathen konnten, ließ die Gesellschaft überall selbst Maschinen zum etwaigen Eingreifen aufstellen. Das ausgehobene Terrain verdünnte man zu einem flüssigen Brei und lagerte dasselbe auf den sumpfigen Ländereien ab, wo sich dann nach Abfluß des Wassers ein fester und für spätere Benutzung sehr werthvoller Boden bildete.

Was den Panamakanal wesentlich von seinem großen Vorläufer und Vorbild, dem Suezkanal, unterscheidet, das sind die Niveauverhältnisse der Meere, welche er verbindet. Während sie bei dem letzteren völlig gleich bleiben, sind sie bei dem ersteren infolge der Ebbe und Fluth und des ungleichmäßigen Eintretens derselben völlig verschieden. Der Unterschied der Gezeiten beträgt bei Colon nur 0,58 Meter, bei Panama dagegen 2 bis 4, ja zu Zeiten sogar 6 Meter. Ferner tritt die Fluth in Panama bereits neun Stunden früher ein als in Colon. Um daher starke Strömungen im Kanal selbst zu verhindern, welche die Durchfahrt periodisch sehr erschweren, wenn nicht hemmen, auch den Kanal selbst gefährden würden, hatte man sich mit dem Plan befreunden müssen, bei Panama am Ausgang des Kanals drei mächtige Fluththore zu errichten.

Aber vor dem Suezkanal hat der Panamakanal das voraus, daß ihn weder hüben noch drüben eine enge, nur mit Dampfern zu befahrende Meeresstraße, wie das Rothe Meer, erwartet, daß er also auch für Segelschiffe benutzbar sein wird.

Die Länge der wichtigsten Verbindungsstraßen wird der Kanal aber sehr bedeutend abkürzen und so durch ermöglichte Beschleunigung und Vermehrung der Geschäfte wie durch Verminderung der Assekuranz den Reedern große Vortheile zuwenden. Nehmen wir als Ausgangspunkt den britischen Kanal, so berechnet sich die Entfernung

um das Kap Horn durch den Panamakanal
nach Valparaiso 20 000 km 13 000 km
Callao 22 000 11 000
Panama 23 500 8 500
San Francisko 27 500 13 000

Was die Verbindung mit Ostasien und Australien anlangt, so würde die Linie Liverpool-Auckland (Neuseeland) durch den Panamakanal um 1850 km kürzer sein als via Suez, und um 820 km kürzer als via Kap Horn. Von New-York würde man gegen die Suezkanalroute nach Yokohama nicht weniger als 6250 km ersparen, und nach Auckland gegen die jetzt kürzeste Route um das Kap Horn 4220, nach Melbourne, der Hauptstadt der englischen Kolonie Viktoria in Australien, 4670 km.

Den Vereinigten Staaten würden also die größten Vortheile durch Vollendung des Kanals erwachsen. Indessen hat man dort nie aufgehört, Konkurrenzprojekte zu planen, namentlich seitdem die von Washington aus erhobenen Ansprüche auf eine der Union ausschließlich zustehende Kontrolle der Durchfahrt, welche man durch die Anlage von Forts an beiden Meeren zu beherrschen dachte, von England und in der Folge von den übrigen europäischen Mächten zurückgewiesen wurden. Die Amerikaner haben dem Unternehmen des Panamakanals seitdem immer feindlich gegenüber gestanden. Vergeblich hat Lesseps durch persönliche Agitation den amerikanischen Geldmarkt zu gewinnen gesucht, vergebens hat er jährlich anderthalb Millionen zur Dotirung des „amerikanischen Komitees“, das heißt zur Beeinflussung der Presse und maßgebenden Persönlichkeiten, in den Vereinigten Staaten verwandt. Die Amerikaner wollen nichts von einem internationalen Kanal wissen in einem Gebiet, das sie als ausschließlich ihrer Interessensphäre anheimfallend betrachten. Ganz besonders hat die Amerikaner der Gedanke erregt, daß eine der europäischen Regierungen den Bau des Kanals in die Hand nehmen könnte, eine Möglichkeit, die nach dem Zusammenbruche der Panamagesellschaft vorübergehend allerdings zur Erörterung kam. Sie würden ein solches Eingreifen Enropas als den gerechten Interessen der Union nachtheilig und als eine Bedrohung ihres Wohls betrachten, wie dies Anfang dieses Jahres in einem Beschluß des Senats zu Washington zum Ausdruck kam und sämmtlichen europäischen Regierungen mitgetheilt wurde. Sie haben daher dem Panamakanalprojekte zwei eigene entgegengestellt, von denen eins bereits in die ersten Stadien der Verwirklichung eingetreten ist.

Das eine Projekt, herstammend von dem berühmten Baumeister Eads, bezweckt die Beförderung der Seeschiffe in besonders konstruirten Fahrzeugen auf einer Eisenbahn von einem Meer zum andern, das andere plant die Durchstechung der Landenge von Nicaragua mit Benutzung der Flüsse San Juan und Rio Grande und des Nicaraguasees. Und dies letztere Projekt ist es, welches

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_078.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)