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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


Die Frau Pastorin murmelte irgend etwas, dann horchte sie auf; eben klang die Schelle und ein rascher Männerschritt näherte sich ihrer Thür. Mit einem „Guten Tag, Mutter!“ trat der junge Doktor über die Schwelle.

„Gu’n Dag!“ war die Antwort, „dat regnet ja?“

„Es ist nur Nebel, Mutter; dafür haben wir Oktober. Wie geht es denn, hast Du das Wochenblatt schon gelesen?“

„Ja! Da steht ordentlich drin, daß bei Beckers Ball gewesen ist! Die werden ja woll noch überspönig, wenn die Westenberger thun, als seien sie Königs selber. Und nun guck einmal – da fährt ja richtig die Beckern in ihrer Kalesche vor und holt das alte schrullige Puppenfrölen ab! Nun, es wird ja wohl so sein, wie die Kontrolörin sagt, daß da ein Brautpaar zustande kommt.“

Der Doktor hatte eben den Hut abgelegt und es sich am Tische auf dem Sofa bequem gemacht, wo er gewöhnlich seinen Thee zu trinken pflegte, wenn er nachmittags aus der Schule kam. Nun hob er den Kopf. „Was sagst Du, Mutter? – Bitte doch lieber die Kontroleurin, daß sie sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmert.“

„Na, uns kann es ja gleich sein, mein Jung. Da fahren sie richtig ab, das Frölen hat ihren pensee Stürmer auf mit den gelben Rosen, das läßt sich nach was an!“

Der Sohn war ans Fenster getreten und sah den Wagen vorüberfahren. Es war ein elegantes Coupe, hinter den spiegelnden Scheiben tauchte richtig der verschossene stadtbekannte Hut des Fräulein Melitta von Tollen auf, der seit Jahren jeden Sonntag im Kirchstuhl zu St. Marien sichtbar war. Auf dem intelligenten, von einem blonden Vollbart umrahmten Gesicht des Doktors spiegelte es sich wie leise Schadenfreude.

„Wetten?“ sagte er, „die fahren zu Majors und machen dort einen Besuch. Nur zu!“

„Das ist schlau,“ bemerkte die Pastorin. „Es macht sich ganz gut, so eine vornehme Equipage vor dem Hause. Das wird dem gnädigen Fräulein Lore schon einleuchten.“

Er schaute, herzlich belustigt, auf die kleine mürrische Frau hinunter. „Meinst Du?“ fragte er.

„Jung, thu nicht so dumm! Die Tollens können weder schwimmen noch baden, und wenn da ein noch größerer Esel käme als der Adalbert von drüben –“

Jetzt lachte er halblaut. „Daß Ihr Frauen Euch gegenseitig immer so schlecht beurtheilt!“ sagte er. „Aber, da ist ja mein Thee!“

Er setzte sich in voller Seelenruhe an den Tisch, den das Mädchen mit einer blendend weißen Serviette bedeckt hatte, und begann zu trinken.

„Du liebe Zeit!“ murmelte die alte Frau, „Noth bricht Eisen – es hat schon manche geheirathet, um aus dem Elend zu kommen.“

„Sie hat nur nicht Lore von Tollen geheißen!“ erwiderte er ernsthaft.

Die Mutter wandte rasch den Kopf und schob die Brille auf die Stirn, um den Sohn besser sehen zu können.

„Ei du meine Güte – na, Du willst sie doch nicht etwa heirathen?“

Er rückte die Tasse etwas zur Seite und kam wieder zu ihr herüber. „Warum denn nicht?“ fragte er und zupfte neckend an den breiten steifgestärkten Spitzen der Haube.

„Du bist nicht bei Troste!“

„Ei! Gefiele Dir denn das liebe Mädel nicht als Schwiegertochter?“

„Um Gotteswillen, Jung, schweige rein still!“ rief die alte Frau.


Die Gralsburg. Nach Oelgemälde von F. Knab.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_056.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)