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verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Zeitlang austoben, bis der Rausch vorüber war. Dann schickte der tugendhafte Advokat von Arras die Veranstalter dieser großartigen Volkskomödie aufs Schaffot und feierte selbst das Fest des höchsten Wesens, das ebenfalls mit großen Umzügen, glänzendem Pomp und symbolischen Schaustellungen begangen wurde.

Ein schönes Weib sollte die Göttin der Vernunft vertreten; in Paris war es beim ersten Festzug die Schauspielerin Maillard, welche in der duftigen Tunika, den Speer in der Hand, auf hohem Thronsessel durch die Straßen getragen wurde, vom Jubel des Volkes begrüßt; wir sehen sie im Mittelpunkte unseres Bildes, mit der Haltung einer Viktoria, stolz herabsehen auf die vielköpfige Menge. Ein Geleite von Frauen und Mädchen in weißen Gewändern, mit luftigen Schleiern, umgiebt sie; doch es fehlen auch im Zuge nicht die Furien der Guillotine, nicht die wildesten, blutdürstenden Jakobiner. Voraus zieht die Bürgergarde; ihr Musikcorps beginnt den Zug und mischt seine schmetternden Klänge in das Jauchzen des Pöbels. Wo dieser sich zu weit vordrängen will, hemmen ihn die Stadtmilizen und die vorgestreckten Speere der Pikenträger; doch die Neugierigen sind auf Gerüste aller Art und auf Wagen geklettert, um „die Göttin“ und den Zug mitanzusehen. Freche Dirnen im Vordergrunde freuen sich der neuen „Religion“ und glauben, daß ihre Stunde jetzt geschlagen hat; vielleicht fällt auch ihnen das Los zu, einmal die Göttin zu spielen und vor dem ganzen Volk von Paris mit ihren Reizen zu glänzen; aber auch an Mißvergnügten fehlt es nicht, die mit düsteren Mienen und geballter Faust auf diese Entweihung des Heiligen, auf diese Wiedergeburt eines die Sinne berauschenden Heidenthums blicken.  

Ein gefährlicher Feind der Pflanzenwelt. Wie die Entwickelung kleinster mikroskopischer Lebewesen im thierischen Körper zu epidemisch auftretenden, wahrhaft verheerenden Krankheiten die Veranlassung werden kann, so finden wir auch im Reich der Insekten ganze Reihen von Arten, die durch ihr massenhaftes Auftreten in der Pflanzenwelt die kolossalsten Verwüstungen angerichtet haben. Viele von unseren Lesern haben schon gewiß von dem furchtbaren Eingriff gehört, welchen in der Mitte der fünfziger Jahre die Raupe der Nonne (Liparis monacha L.) in die ausgedehnten ostpreußischen Forsten machte und in ein paar Jahren, trotz des Einsammelns von etwa 300 Pfund, ungefähr 150 000 000 Eiern und der Unschädlichmachung von 1 500 000 weiblichen Schmetterlingen, eine Gesammtfläche von 32 931 Morgen in eine mit Baumleichen bedeckte Wüste verwandelte. Oder von der Larve des Getreidelaufkäfers (Zabrus gibbus F.), die in Mähren, Böhmen, im Mansfelder Kreise etc. während weniger Nächte große Flächen Weizen- und Roggensaat verschwinden ließ.

Das bandfüßige Grünauge.
a natürl. Größe. b vergrößert. c „Gicht“ des Gerstenhalmes.

Oder von dem kleinen, kaum 1 Linie langen Fichtenborkenkäfer (Bostrychus typographus L.), der in den siebziger Jahren die schönsten Fichtenbestände des Böhmerwaldes schonungslos dem Tode weihte. Oder soll ich etwa hinweisen auf die Kalamität, welcher die schönsten Weinkulturen Frankreichs, Ungarns und bereits auch schon unseres deutschen Vaterlands durch die Reblaus (Phylloxera vastatrix Pl.) bis auf den heutigen Tag noch ausgesetzt sind?

Vor kurzem vernahmen wir laute Klagen über die in einzelnen Theilen Schwedens von Insekten angerichteten Verwüstungen, namentlich auf Gersten- und Roggenfeldern. Auf der Insel Gottland war, nach dem Bericht des schwedischen Staatsentomologen Herrn Holmgren, durch die Larve einer Fliegenart, der Kornfliege oder des bandfüßigen Grünauges (Chlorops taeniopus Mg.) die Gerste zur Hälfte zerstört worden im Werthe von etwa anderthalb Millionen Kronen oder gegen zwei Millionen Mark, und nach den Angaben des Herrn von Post ist in der Provinz Upland wenigstens ein Drittel der Roggenernte durch das übermäßige Auftreten derselben Fliege zu Grunde gegangen.

Dieses kleine, anderthalb bis höchstens zwei Linien messende grünäugige Insekt ist großentheils glänzendgelb. Die am queren, gelben Kopfe sitzenden Fühler mit den kreisrunden Endgliedern sind durchaus schwarz wie auch das kleine Scheiteldreieck, dessen Spitze vorn etwa bis zur Mitte der Stirn reicht und dessen hinterer Rand sich mit den schwärzlichen Striemen des Hinterkopfes vereinigt. Das gelbe Brustschild trägt auf seinem Rücken drei breite, glänzend schwarze Längsstreifen, deren mittelster, durchaus gleichbreiter bis zur Basis des gelben Schildchens reicht, während die beiden seitlichen sich nach hinten zu etwas verschmälern und nach vorn hin abkürzen. Außerdem finden wir noch einige schwarze Punkte und Strichelchen über den Flügelwurzeln und an den Brustseiten sowie auf dem kurzen Hinterleibe vier schwarzbraune Querbinden. Die Beine sind durchaus gelb, nur die vordersten an den Füßen schwarz, beim Männchen mit einem gelben Mittelringe gebändert.

Zur Zeit, wo die Aehre noch tief unten im Halme verborgen sitzt, legt unser Grünauge seine Eier zwischen die Blätter. Die nach ungefähr 10 Tagen ausschlüpfenden Larven fressen gewöhnlich vom obersten Knoten aufwärts, weil dort noch der Halm am zartesten ist, unregelmäßige und bald braun werdende Furchen, wodurch knotige Anschwellungen und Verdickungen entstehen, die von den Engländern als „Gicht und Podagra“ bezeichnet werden. Natürlich kann unter solchen Umständen sich keine gesunde Aehre entwickeln; dieselbe bleibt vielmehr zwischen den Blättern sitzen und wenn sie ja zu Tage sich quält, so trägt sie doch keine oder höchstens nur wenige unvollkommen entwickelte Früchte.

Oberes Halmstück von Weizen mit der Fraßstelle, welche durch Wegnahme der Scheide bloßgelegt ist.

„Die erwachsene, etwa 2 Linien lange Larve verpuppt sich in der Regel am Halme oder in der Aehre. Curtis fand die Tonnenpüppchen am 7. August an Weizenhalmen und erhielt daraus am 16. die Fliege. Am 2. Juli fand er dieselben an geil gewachsenen Gerstenpflanzen, die äußerlich ganz gesund aussahen; aber beim Entfalten der Blätter ergab sich eins der Herzblätter als gelb, todt und angefressen und der Halm zerstört. Einen Zoll etwa vom Knoten entfernt saß die braune Tonnenpuppe zwischen den Blättern; bei einer andern Pflanze befand sich dieselbe etwas höher, die junge Aehre war zerstört und an der Spitze gebräunt.“ Nach 17 bis 21 Tagen Puppenzustand kommt die Fliege zum Vorschein.

Es giebt sehr viele und ähnliche Chlorops-Arten, die auch in der Lebensweise übereinstimmen, bisweilen in ungeheuren Schwärmen vorkommen und dann natürlich der Landwirthschaft großen Schaden verursachen. Die Berliner entomologische Zeitschrift veröffentlichte 1857 Folgendes: „Im Spätsommer stiegen von dem Dache eines Hauses in Zittau dichte Wolken auf und glichen so täuschend einem aufwirbelnden Rauche, daß man mit Spritzen und Wasser herbeieilte, um das vermeintliche Feuer zu löschen. Die genauere Untersuchung ergab, daß Millionen einer kleinen Fliegenart, des großnasigen Grünauges (Chlorops nasuta M.) aus einer durch einen abgebrochenen Dachziegel entstandenen Lücke im Dache hervorschwärmten und so zu der Täuschung Veranlassung gaben. Gleichzeitig fand sich dieselbe Fliege in und an einigen anderen Häusern der Stadt in ungeheuren Mengen.“ Ob etwa Stroh oder Heu auf den Böden der in Rede stehenden Häuser aufbewahrt gewesen, wurde leider nicht gesagt. Die größte Vorsicht ist diesem verwüstenden Insekt gegenüber geboten, und genaue Beobachtungen desselben werden hoffentlich die Mittel zu seiner rechtzeitigen Vernichtung erkennen lassen.

Schluß der Gemeinderathssitzung. (Mit Illustration S. 49.) Trotz der Schwüle des heißen Sommertages ist die Berathung des Gemeindevorstandes eine sehr lebhafte und eingehende gewesen. Das ist, namentlich nach einer üppigen Mahlzeit, eine anstrengende Thätigkeit, da sie einen bedeutenden Aufwand geistiger Spannkraft erfordert. So ist denn auch die anregende Debatte unter Mitwirkung der schwerlastenden Verantwortlichkeit des zu verwaltenden Amtes auf eines der imponirendsten Mitglieder des hohen Rathes nicht ohne merklich erfolgreichen Einfluß geblieben. Von der Sorge um das Gemeindewohl getrieben, ist der wohlbeleibte Gemeinderath, über die beste Lösung der heiklen Fragen und Probleme nachgrübelnd, in tiefandächtige Betrachtung versunken. In seinem anerkennenswerthen Ringen nach Klarheit zum Heile seiner Mitbürger scheint er sich auf dem besten Wege zu befinden oder gar bereits das rechte Universalmittel entdeckt zu haben, wie sich wohl aus einem wiederholten energischen Nicken des runden rothen Hauptes sowie aus dem diese Bewegungen begleitenden wohlgefälligen Grunzen schließen läßt. Seine neben ihm sitzenden Kollegen aber sind boshaft genug, die Gestikulationen und schnarrenden Baßlaute als Symptome eines gesunden Mittagsschläfchens zu deuten. Und schließlich scheinen sie mit ihrer Voraussetzung in der That nicht so unrecht zu haben. Bleibt doch der Wackere, als die Sitzung geschlossen worden und die edlen Rathsherren einer nach dem anderen ganz sachte auf den Zehen davonschleichen, um den in süßem Schlummer Befangenen nicht aufzuwecken, allein auf seinem Platz in unverändert gemächlicher Lage zurück. An der Thür aber fassen die Schelme Posto, um von hier aus den Effekt des gelungenen Streiches zu beobachten, gespannt auf das verdutzte Gesicht des durch einen Ruck des Zufalls plötzlich Aufwachenden, der sich auf einmal ganz allein hier auf der Bank findet und nun die erst noch langsam zurückkommenden Geisteskräfte vergeblich anstrengt, zu ergründen, wo er ist und wie er hierhergekommen. Darüber wird ihn dann allerdings das kaum noch zu unterdrückende Kichern der jubelnden Schalksnarren, die es übermäßig amüsirt, den stolzen Hofbauern so hänselnd auf den Leim geführt zu haben, nicht lange im Zweifel lassen.

Diese komische Situation hat Hans Bachmann, der durch seine lebensvollen Bilder „Weihnachtssingen in Luzern“ (Nr. 50, 1887) und „Der Arzt“ (Nr. 48, 1888) unsern Lesern bereits bekannt ist, in seinem Bilde „Schluß der Gemeinderathssitzung“ mit köstlichem Humor, und mit voller Naturwahrheit geschildert. Auch hier bewährt sich der Künstler wieder als der scharfe Beobachter, der das Landvolk wirklich daheim in seinem ernsten oder harmlos ungezwungenen Thun und Treiben zu belauschen und ebenso natürlich darzustellen weiß. D. 


Inhalt: Lore von Tollen. Roman von W. Heimburg (Fortsetzung). S. 37. – Der Vorläufer. Illustration. S. 37. – Die Landenge von Panama. 1. Die Ueberschreitung des Isthmus. Von Dr. Emil Jung. S. 43. – Riesen und Zwerge in der Thierwelt. Von Heinrich Leutemann. S. 46. Mit Illustration. S. 45. – Die Vermählung der Todten. Von Isolde Kurz (Fortsetzung). S. 47. – Blätter und Blüthen: Die neue Biographie Schillers. S. 51. – Die Göttin der Vernunft. S. 51. Mit Illustration S. 40 und 41. – Ein gefährlicher Feind der Pflanzenwelt. Mit Abbildungen. S. 52. – Schluß der Gemeinderathssitzung. S. 52. Mit Illustration S. 49.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s' Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1889, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_052.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)