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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Bergkammes gesprochen, welches von Fahrzeugen nicht geringer als die spanischen Karavelen befahren werde, die wie diese auch Segel und Ruder führten. Ueber diese Berge, zu jenem Meer sollten die Spanier ziehen, wollten sie ihren Heißhunger nach Schätzen befriedigen. Balboa hatte sich früher zu schwach gefühlt, jetzt trieb die Notwendigkeit, er beschloß, das geheimnißvolle Meer zu erreichen, von dessen Gold- und Perlenschätzen er so berauschende Dinge erfahren hatte, obschon er sehr wohl wußte, daß ihm die Straße über unwegsame Gebirge von kriegerischen Fürsten streitig gemacht werden möchte, deren Muth und Kräfte man allmählich achten gelernt hatte.

Denn während jetzt eine fast menschenleere Wildniß die schmale centralamerikanische Landenge erfüllt, waren diese Thäler zu Balboas Zeit noch dicht bevölkert. Können wir den spanischen Geschichtschreibern nicht unbedingten Glauben schenken, wenn sie uns versichern, daß der Isthmus von zwei Millionen Menschen bewohnt gewesen sei, so wissen wir doch, daß im Thal des Chucunaque allein ein Dutzend Häuptlinge residirte, von denen jeder einige hundert Streiter ins Feld stellen konnte.

Die braunen, wohlgebauten Bewohner dieser Landschaften verdienten damals keineswegs den Namen von Wilden, mit denen der europäische Kulturmensch gern alle Naturvölker brandmarkt. Verschmähten es auch die Männer, ihre oft herkulischen Gestalten in die ihnen unbequeme Kleidung zu zwängen, so gefielen sich doch die Frauen aus berechnender Eitelkeit in Schnürbrüsten aus Gold- blech, oft kunstvoll mit getriebenen Thiergestalten verziert, und in baumwollenen Gewändern, die bis zu den Knöcheln herabfielen. Die Paläste der Fürsten zeugten von nicht gemeiner Kunstfertigkeit. Vier Flügel bildend von 150 Schritt Länge und 80 Schritt Breite, waren sie mit Steinmauern umgürtet und die Gemächer kunstreich mit einem Dachstuhl überbaut. Hier und da erhoben sich über die Wohnungen Thurmspitzen. Die Magazine fand man mit Brotfrüchten, Fischen und Wildbret gefüllt, die Keller mit Chicha, einem gegohrnen Getränk aus Mais und Früchten, das die Spanier für trefflicher erklärten als baskischen Apfelmost oder flandrisches Bier. In den Todtenkammern der Dynasten hingen in baumwollenen Schlingen, belastet mit Geschmeide und Talismanen, die Mumien der Ahnherren des Reichs, „gleichsam als Urkunden und Pergamente ihrer eigenen Königszeit, während geheiligte epische Gesänge, annalenartig das Gedächtniß des Vergangenen rettend, um die Grüfte schwebten.“

Balboa wählte zur Durchquerung die schmalste Stelle des Isthmus, an der sich die atlantischen und pacifischen Gewässer einander bis auf neun Meilen nähern. Man darf aber nicht die Schwierigkeit des Unternehmens nach der Meilenzahl abschätzen. Ist auch die Erhebung der Cordillera, welche den Isthmus durchzieht, eine so geringe, daß nirgends die Gipfel 1200 Meter erreichen, liegen auch die Joche kaum mehr als 300 Meter über dem Meeresspiegel, so bedeckte doch ein Urwald von mächtigen Stämmen, gefesselt und umwoben von Schlingpflanzen und Schmarotzerreben, das Land von einem Ocean zum andern. Wochenlang mochte sich der Wanderer durch diese Wälder bewegen, ohne daß sich ihm eine Lichtung öffnete, und selbst von den höchsten Baumwipfeln suchte das forschende Auge vergebens etwas anderes zu erblicken, als die ununterbrochene Oberfläche eines endlosen grünen Laubmeeres. Hier gab es keine anderen Wege, als die schmalen versteckten Kriegspfade, auf denen ein Kazike zum Ueberfall auf den anderen sich heranzuschleichen pflegte. Noch im Jahre 1853 hat der bekannte Reisende Karl von Scherzer vergeblich den Versuch gemacht, an einer anderen Stelle den Isthmus zu überschreiten. Nach mühevoller Arbeit von 16 Tagen mußte er, obwohl von 30 Trägern begleitet und von Ingenieuren unterstützt, sein Vorhaben aufgeben. „Der Wald war überall so dicht, daß nur ein fahler Schein, der durch die Blätternacht brach, die Tageszeit verkündete.“

Am 1. September 1513 segelte die aus 190 Spaniern und 600 eingeborenen Lastträgern bestehende Expedition den schmalen Meereseinschnitt hinauf bis zu dem Punkte, wo die Landenge ihre größte Verjüngung findet. Nachdem Balboa eine Abtheilung zurückgelassen, setzte er seinen Marsch am 6. September fort. Wohl stellten sich ihm die Kaziken an der Spitze ihrer Krieger entgegen, aber was vermochten ihre Keulen und Holzspeere gegen europäische Feuerwaffen, welche die Indianer mit dem unheimlichen Glauben erfüllten, daß die Fremdlinge Blitz und Verderben aus ihrem Munde zu schleudern vermöchten? Und nicht am wenigsten furchtbar als Mitkämpfer der Spanier waren jene mächtigen Bluthunde, welche diese in allen Kriegen gegen die Indianer mit sich führten, die auch nur zu oft das Henkeramt an den Unglücklichen verrichteten, welche spanische Habsucht oder Politik zum Tode verdammte.

Am 25. September morgens erreichte die Expedition den waldentblößten Kamm, von welchem das andere Meer erblickt werden konnte. Die indianischen Führer hatten Balboa schon früh dessen Nähe angezeigt; in kurzer Entfernung vom Gipfel gebot er seinen Leuten Halt und schritt allein vorwärts, um der Erste zu sein, welcher das östliche Weltmeer begrüßte. Und wie nun in den Strahlen der Sonne ein gliederreicher Golf vor seinen entzückten Blicken sich ausbreitete, da warf sich der Entdecker auf die Kniee und mit erhobenen Armen jauchzte er den australischen Gewässern zu, indem er in unbegrenzten Dank für die göttliche Gnade ausbrach, die ihn, „einen so gering begabten Mann unadeliger Abkunft“, eine solche That vollbringen ließ. Dann rief er seine Leute herzu, mit ihm in ein diesmal aus innerstem Herzen kommendes Tedeum einzustimmen und auf dem höchsten Punkte des Uebergangs das Symbol des christlichen Glaubens aufzurichten.

Nun ging es abwärts, und als man am vierten Tage an den Ufern des Savanasflusses lagerte und das Meer fluthend in das durch die Ebbe geleerte Bett heraufstieg, da erfaßte Balboa eine Fahne mit dem Bilde der Jungfrau und des Jesusknaben, zu dessen Füßen das Wappen von Kastilien und Leon prangte, sprang hinunter in das Wasser und nahm im Namen der Krone Spanien feierlich Besitz von „diesen australischen Meeren, Ländern, Gestaden, Häfen und Inseln“ und forderte laut jeden zum Kampfe heraus, der dieses gute Recht bestreiten wolle. Die einsame Wildniß blieb die Antwort schuldig, und so war das spanische Königreich um eine große Provinz reicher.

Noch zog Balboa an den Golf hinunter, dessen Gestade er in indianischen Barken umschiffte, wobei er sich von dem ungeheuren Reichthum des neuen Meeres an Perlen überzeugte, dann trat er seinen Rückmarsch an und erreichte nach einer Abwesenheit von mehr als 100 Tagen am 19. Januar 1514 glücklich wieder Santa Maria, mit kostbarer Beute beladen und ohne den Verlust eines einzigen Spaniers zu betrauern.

Wohl war die durchzogene Strecke eine geringe, aber groß waren die Hindernisse, welche der furchtlose Entdecker glücklich zu überwinden wußte, und noch größer die Resultate des Unternehmens, welches mit einem Schlage die neue Welt von der ihr irrigerweise aufgezwungenen Verbindung mit der alten loslöste. War Columbus der Entdecker des westlichen Welttheils, so war es Balboa, der seine Selbständigkeit feststellte. Aber noch bitterer als jenen sollte Balboa das Los treffen, welches zu dieser Zeit so manchen verdienstvollen Mann als Lohn seiner Mühe erreichte. Hartnäckig wurde er von dem argwöhnischen Gouverneur verfolgt, und aus nie bewiesene Anklage fiel sein Haupt im Jahre 1517 auf dem Marktplatz von Santa Maria del Antigua, dem langjährigen Schauplatz seiner bewährten Thätigkeit.

Die Handel treibenden Seefahrer überzeugten sich aber bald, daß die mit Urwald bedeckte Landenge für ihre Unternehmungen ein unüberwindliches Hinderniß bildete. Jahrzehnte lang wurde im Norden und Süden von Panama ein Wasserweg nach dem Stillen Ocean gesucht. Wohl löste später Magalhàes das „Geheimniß der Durchfahrt“, indem er die Südspitze von Amerika umschiffte, aber diese Lösung entsprach nicht den gehegten Erwartungen. Was das große Zeitalter der Entdeckungen hoffte, das sollte erst das noch gewaltigere Zeitalter des Dampfes vollbringen. Es ward dazu berufen, die Schranken niederzuwerfen, welche die Natur dem Verkehr entgegensetzte, es legte den sicheren Schienenweg über den unzugänglichen Landstreifen, und es reiht eben an die Großthat Balboas jenes große Unternehmen des Panamakanales, mit dessen Vollendung das „Geheimniß der Durchfahrt“ durch den Spaten der Arbeiter und die Schaufeln der Maschinen ebenso kraftbewußt gelöst sein würde, wie einst der Gordische Knoten zerhauen wurde durch das Schwert des großen Alexander.



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