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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Die Landenge von Panama.

1. Die Ueberschreitung des Isthmus.
Von Dr. Emil Jung.

Nicht Meeresräume, und seien sie auch noch so weit und stürmisch, sind es, welche hemmend sich zwischen den Verkehr der Menschen miteinander legen, viel größere, schwerer zu bewältigende Hindernisse bietet das feste Land, das doch unsere eigentliche Heimath ist. Wenigstens gilt dies, wenn einmal die ersten Kulturstufen überwunden sind. Den Phöniciern wurde es leichter, von den fernen Gestaden Britanniens Zinn zu holen, als in das Innere ihres asiatischen Kontinents zu dringen. Sie brachten dem weisen König der Juden die Kostbarkeiten Indiens, sie umsegelten Afrika, aber weite Landexpeditionen waren ebenso unerhört, wie sie für unmöglich galten.

Nirgends scheint bei Gestaltung unserer Erdkruste die Natur launischer verfahren zu sein, als bei Verknüpfung der beiden Hälften Amerikas durch den schmalen Isthmus von Panama. Er zwingt die von Europa zur Ostküste Amerikas, zum Stillen Ocean, nach Australien und Ostasien fahrenden Schiffe zur Reise durch Mittelmeer, Rothes Meer und Indischen Ocean, verbietet dieselbe Seglern wohl ganz oder nöthigt sie, den Weg um die Südspitze Amerikas durch sturmgepeitschte, nebelreiche Meeresengen zu tasten.

Es war natürlich, daß man das Hinderniß zu beseitigen suchte. Der Besitz „der Pforte zu den Oceanen, des Schlüssels des Universums“ war freilich an sich schon wichtig genug, aber er mußte sich nach Beseitigung der hemmenden Schranken ins Unendliche steigern.

Dies Bestreben ist so alt wie die Entdeckung des Hindernisses selber. Aber obwohl bereits von den ersten spanischen Eroberern geplant und wiederholt zum Gegenstand vielseitiger Diskussion gemacht, ist die Inangriffnahme eines der vielen befürworteten Projekte erst in unserer neuesten Zeit erfolgt. Und auch seine Vollendung ist noch nicht sichergestellt. Die früheren unruhigen Zeiten waren solchen Unternehmungen nicht günstig. Als man endlich es gelernt hatte, die mächtige Kraft des Dampfes in den Dienst des Menschen zu bannen, da begnügte man sich mit einer leichter zu schaffenden Landstraße.

Der Versuch, die trennende Schranke zwischen dem Atlantischen und dem Stillen Ocean mittels eines Kanals zu durchbrechen, fällt erst in die allerjüngsten Jahre. Wann und wie derselbe mit Erfolg gemacht sein wird, dies entzieht sich freilich auch heute noch der Berechnung, nun das großartige Unternehmen des Franzosen Lesseps, des berühmten Urhebers des Suezkanals, dem Scheitern nahe ist.

Angesichts dieser alle Welt bewegenden und in ihren Folgen noch unabsehbaren Thatsache scheint es angezeigt, jenem Isthmus unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden, dessen Fahrbarkeit für die Schifffahrt dem Weltverkehr und Welthandel ganz neue Bahnen zu weisen bestimmt ist. -

„An Kastilien und an Leon gab eine neue Welt Colon“, so lautet die Inschrift, mit welcher König Ferdinand den Sarg des großen Entdeckers ehrte, den wir gemeiniglich Columbus nennen.

Und doch war der große Mann aus der Welt geschieden ohne eine Ahnung, daß er einen neuen Welttheil gefunden habe. Hartnäckig hielt Columbus bis zu seinem letzten Athemzuge an dem Wahne fest, daß Kuba ein vorgestrecktes Glied des asiatischen Festlandes, eine Provinz des chinesischen Reiches, und Hispaniola oder, wie wir heute sagen. Hayti, Marco Polos Zipangu oder Japan sei, daß zwischen dem karibischen und bengalischen Golfe keine wasserbedeckte Halbkugel liege. Und als ob seine Ansicht dadurch festeren Boden gewinnen könnte, ließ er sie sogar von seinem gesammten Schiffsvolk feierlich beschwören. Selbst als er die Ostküste des Isthmus van Darien betrat und Kunde erhielt von dem nicht fernab liegenden westlichen Meere, wurde sein Vertrauen auf die asiatische Zugehörigkeit der von ihm entdeckten Länder nicht erschüttert. Er glaubte sich dem goldenen Chersonnes nahe und meinte, daß nur wenige Tagereisen ihn von der Mündung des Ganges trennten. In diesem glorreichen Wahne befangen, stieg er ins Grab, und wohl für ihn, daß es so sich fügte, denn tief erniedrigt wäre ihm seine That erschienen, hätte er jenseit des amerikanischen Festlandes ein neues Weltmeer gewahren müssen.

Erst sieben Jahre nach dem Tode des großen Genuesen wurde es dem Spanier Balboa vergönnt, den Großen Ocean zu erreichen und den Irrthum des Columbus nachzuweisen. Doch war es nicht der Drang, durch Erschließung neuer unbekannter Gebiete unsterblichen Entdeckerruhm zu erwerben, sondern der längst alle edleren Regungen zurückdrängende Hunger nach Gold, welcher zu solcher That trieb. Denn überall auf den Inseln und an den Küsten Amerikas fand man in verschwenderischer Fülle in den Palästen der Häuptlinge wie in den Hütten ihrer Unterthanen das edle Metall, das die Eingeborenen leicht an die Spanier hingaben, deren Goldgier ihnen völlig unverständlich erschien. Immer und immer wieder drängt sich uns bei der Betrachtung jener Zeiten die Wahrnehmung auf, daß nur niedrige Habsucht es war, welche das Vorrücken abendländischer Gesittung bewirkte.

Vasco Nunez Balboa gehörte zu jener zahlreichen Klasse von Abenteurern, welche die Kunde von den Schätzen des westlichen Wunderlandes aus der Dürftigkeit der Heimath übers Meer führte. Und wie so viele andere wurde er bitter enttäuscht. Auf Domingo hatte er viele Jahre Feldbau getrieben, gerieth hier aber in drückende Schulden denen er sich gern durch Flucht entziehen wollte. Aber er mochte nicht nach Spanien zurückkehren um in Gesellschaft von Leidensgefährten seine Armuth auf öffentlichen Plätzen, an den Thüren der Kirchen, insbesondere vor dem Herrscherpaar Ferdinand und Isabella vorwurfsvoll zur Schau zu tragen, er wünschte die Neue Welt nicht zu verlassen, die ihm noch verheißungsvoll genug erschien er wollte nur ein neues Feld seiner Thätigkeit aufsuchen und damit seinen immer dringender werdenden Gläubigern entgehen. In gleicher Lage befand sich noch mancher andere Pflanzer auf Domingo, aber ihre Absicht, das lästige Schuldbuch in dieser einfachsten Weise gründlich zu tilgen, wurde durch die Wachsamkeit des Admirals Diego Colon vereitelt: denn es bestand in der spanischen Kolonie, dem Sitz zahlloser Abenteuerer, ein weises Gesetz, nach dem kein Schuldner ohne Wissen seiner Gläubiger die Insel verlassen durfte. Nur Balboa gelang es, in einer Tonne versteckt, sich als Passagier eines nach Darien absegelnden Schiffes durchzuschwärzen, freilich nicht, ohne sich der Beschimpfung seitens des Kommandanten auszusetzen.

Bolboa war von guter, wenn auch nicht vornehmer Abkunft, hoch und kräftig gewachsen, stand er damals in der Blüthe seiner Jahre, im Ertragen von Entbehrungen und Beschwerden kam ihm keiner gleich. Mit durchdringendem Verstande begabt, dabei furchtlos jeder Gefahr ins Auge schauend, wußte er geschickt seine Gefühle zu verbergen und die Vergeltung für empfangene Kränkungen hinauszuschieben, geduldig wartend auf die Zeit, die ihm die Mittel zur Heimzahlung in die Hand gab. Wenigstens fügte er sich dem bestehenden Regimente, bis seine Stunde schlug. Es wurde dem ehrgeizigen Manne nicht allzu schwer gemacht, sich zum Haupte der Ansiedelung in Darien empor zu schwingen, waren doch die spanischen Auswanderer immer eher geneigt, sich den Führer aus ihrer Mitte zu wählen, und hingen sie doch stets weit treuer an den Offizieren, die sie zum Aufruhr verführt hatten, als an den Obrigkeiten, die mit Pergament und königlichem Brief unter sie traten. Freilich ruhte auf der Umsicht und Tapferkeit Balboas bald die ganze Wohlfahrt der neuen Kolonie, ihn allein fürchteten die Indianer mehr als hundert Degenspitzen.

Der königliche Statthalter zögerte nicht, den erfolgreichen Usurpator obrigkeitlicher Gewalt mit der Ernennung zum Generalkapitän des eroberten Gebiets zu belohnen, aber in Madrid war man weniger geneigt, zu verzeihen. Und als die Kunde von der Absendung eines neuen Statthalters als Richters des Geschehenen nach Santa Maria del Antigua, der kleinen Hauptstadt von Darien drang, da reifte in Bolboa der Entschluß, alle seine Ankläger durch eine ungewöhnliche That zum Schweigen zu bringen.

Auf Seinen Streifzügen hatte ihm ein freundlicher Häuptling

von einem Meere jenseit des vor seinen Blicken sich erhebenden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_043.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)