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verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

No. 3.   1889.
      Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.


 

Lore von Tollen.

Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.
(Fortsetzung.) Roman von W. Heimburg.


Die Majorin hörte nicht, was Lore sprach; sie war wie abwesend. „So gar kein Glück, so gar kein Glück!“ flüsterte sie; „o mein Gott, was habe ich für ein Leben gehabt! Nichts wie Sorge, nichts wie Arbeit und Kampf um das bißchen traurige Dasein! Wie schwer seid Ihr mir geworden, und was ist der Dank dafür?“

„Mama!“ schrie Lore auf. Sie hatte die geduldige Frau nie so sprechen gehört, es schnitt ihr ins tiefste Herz. „Mama, rede nicht so, ich will ja alles thun für Dich – Du sollst nicht so etwas sagen, ich habe Dich so lieb –“

„Ja Du, Du! Aber was soll denn aus Euch werden? Keine Nacht schlafe ich vor Kummer bei dem Gedanken, was werden soll, wenn Euer Vater stirbt. Ach Gott, der Vater, er überlebt es nicht, Lore; er darf es nicht wissen.“

In diesem Augenblick gellte die Klingel der Hausthür von unten herauf und ein lustiges Pfeifen erscholl, dann Käthes Stimme:

„Nun, Rudi, wie war’s denn im Sommertheater?“

„Lauf’ hinunter,“ sagte Frau von Tollen, „er soll zu mir heraufkommen, ehe er zu Papa geht.“

Das junge Mädchen that, wie ihr geheißen. Der Bruder neckte sich in der Eßstube mit seiner kleinen Schwester; er hatte ihre beiden schlanken Hände in die seinen genommen. „Kniee nieder,“ befahl er scherzend.

„Ich will aber nicht!“ schrie Käthe; „Du sollst mich loslassen, Rudi! – Du hast mit Adalbert Becker Freundschaft geschlossen und deshalb kann ich Dich nicht mehr leiden –“

„Du bist ein Gänschen,“ sagte er; „Adalbert Becker ist so übel nicht.“

„Rudolf, Mama will Dich sprechen, ehe Du zu Vater gehst,“ fiel Lore ein mit klangloser Stimme. Sie stand wie ein Wachsbild in dem Zimmer.

„Nanu?“ fragte er gedehnt und runzelte die Stirn.

„Helenens Bräutigam hat alles geschrieben,“ sagte sie.

Er pfiff leise vor sich hin. „Aha! Weiß etwa Papa schon?“

„O nein!“ erwiderte Lore bitter.

„Wo ist denn Mama?“

„In meiner Stube.“

„Also vorwärts mit frischem Muth!“ sagte er ironisch und ging aus der Thür. –

„Was giebt’s denn?“ fragte Käthe.

„Nichts!“ erwiderte Lore.

„Doktor Schönberg hat heute in der Litteratur von Deinem Lieblingsdichter geschwärmt, Lore; Du weißt, Mörike. Er hat etwas von ihm vorgelesen. Er liest doch wundervoll, Du hättest ihn hören sollen, wie das aus seinem Munde klang:

‚Ein Schifflein auf der Donau schwamm,
Drin saßen Braut und Bräutigam.‘“

Der Vorläufer. Nach dem Oelgemälde von H. Bever.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1889, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_037.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2020)