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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


bis ein Jüngling in braunem Sammetgewand vorüberkommt, der wie ein Palmbaum über alle andern emporragt. – Licht strahlt von seinen Augen und sein Gang ist Majestät – er gleicht dem heiligen Georg, der den Drachen schlug – Du müßtest ihn aus Tausenden erkennen, wenn Du ihn nie gesehen hast! – Schon von weitem späht er am Haus herauf – Du zeigst ihm den Brief, den Du mit einem Stein beschwert im Busen trägst, und wenn er Dich verstanden hat, läßt Du ihn verstohlen zu seinen Füßen fallen. Er wird ihn aufheben und das elende Papier mit seinen Küssen bedecken, denn so hab’ ich’s in den alten Historien gelesen –“

„Herrin, ich gehorche,“ unterbrach Laurella die Schwärmende; „aber vergeßt in Eurem Glück ein armes Mädchen nicht.“

„Meine Dankbarkeit soll keine Grenzen kennen, ich will Dich nie verlassen und meine schwesterliche Liebe soll Dich für alles entschädigen. – Aber halt, sagtest Du mir nicht einmal, daß ein Knecht der Agolanti Dich gerne sieht? Du Gute bist einem Werkzeug meiner Feinde zugethan und willst mir dennoch dienen! Sieh, Deinen Beppo kann ich Dir freilich nicht geben, wenn ich das Weib eines Rondinelli bin; aber was Du sonst fordern kannst, will ich für Dich thun, und Du sollst mit uns beiden das Brot des Exils theilen, das uns süßer schmecken wird als der Hochzeitskuchen, den Ricciardos Mutter bäckt.“

Das Mädchen, das wohl eine andere Belohnung erwartet haben mochte, verzog den Mund, als wolle sie sagen, daß ihrer Herrin Geschmack nicht der ihrige sei, und entfernte sich zögernd mit dem Brief.

Als sie nach Verfluß einiger Stunden wieder in dem Thurmzimmerchen erschien, nickte sie bedeutungsvoll mit dem Kopfe und sagte leise mit niedergeschlagenen Augen: „Es ist geschehen.“

Mit einem Jubelruf lag Ginevra an ihrem Hals, dann richtete sie sich auf und sagte:

„Und nun zu meinem Vater, jetzt fühle ich die Kraft, ihm mit einer Lüge unter die Augen zu treten – er hat es selbst gewollt!“

Die blasse schmale Mondsichel neigte sich schon zum Niedergang, als ein Jüngling, tief in den Mantel gewickelt, mit dessen Zipfel er auch das Gesicht verhüllte, durch die schon im Dunkel liegenden Straßen schlich, indem er sich an den Häusern hindrückte und den Laternenschein mied, den ihm da oder dort ein heimwärts wandelnder ehrsamer Bürger über den Weg warf, und mancher, der ihm so begegnete, blickte ihm nach und dachte im Stillen: „Ein Glücklicher, der zur Liebsten eilt.“

Der Jüngling ging mit schnellen Schritten und drückte von Zeit zu Zeit die Hand auf die Brust, wo ein Stück Papier knitterte, um sich zu versichern, daß er nicht im Traum wandle. Er kannte jede Zeile dieses Briefes auswendig und flüsterte sich selbst im Gehen mit verzücktem Lächeln die Liebesworte vor, die das arme Blättchen ihm zugetragen hatte.

Trotz des Fiebers, das ihm in den Adern brannte, hatte er seine Anstalten planvoll und umsichtig getroffen: außerhalb der Stadtmauer scharrten schon zwei gesattelte Renner den Boden, einige verwegene Freunde, die er seit vielen Tagen zu einem Gewaltstreich gerüstet hielt, waren auf der Landstraße aufgestellt, um im Nothfall die Fliehenden zu decken, ein verborgenes Gehöft in der Campagna, wo ein früherer Diener seines Hauses Pächter war, sollte ihnen zuerst Obdach gewähren. Dort wollte er in aller Stille ihren Bund von der Kirche segnen lassen und dann sein junges Weib dem Schutz der nahe wohnenden Frau Gianetta übergeben, denn er wußte, daß die edle Matrone trotz ihrer Furchtsamkeit der angetrauten Gattin ihres Neffen eine Zuflucht nicht versagen würde. Er selber hoffte, unterdeß in Florenz die beiden zürnenden Väter zu versöhnen; denn er zählte auf den alten Spruch, der da räth, zu geschehenen Dingen das Beste zu reden. Er dachte nicht daran, daß diese rasche That seiner Vaterstadt vielleicht neue Ströme Blutes kosten könnte; er dachte nur an ein Paar weicher rother Lippen, die er noch nie geküßt hatte und von denen er nun die Blumen des Paradieses pflücken sollte; er sah die einzelnen Züge des geliebten Gesichtes in greifbarer Deutlichkeit vor sich, aber er konnte sie nicht vereinigen und das ganze Bild schwankte in unbestimmten Umrissen vor ihm her, wie um seine erregte Phantasie zu necken und vor der lodernden Sehnsucht ins Wesenlose zu verschweben. Er beschleunigte den Gang, ohne zu bemerken, daß ihm rasche leise Schritte folgten. Eben fielen zwei dumpfe Schläge von der Domkirche und verkündeten die zweite Stunde nach Sonnenuntergang. Der Jüngling wollte die Strecke abkürzen, die ihn von seinem Glück trennte, und verließ die belebteren Stadttheile, um nach einer verödeten Piazzetta einzubiegen. Das Geräusch hinter ihm verstummte; aber kaum war er bis zu einer finsteren Ecke gelangt, als er aus nächster Nähe Waffengeklirr und Hilferuf vernahm, er sah im Dunkeln einen Knäuel Menschen zusammengeballt, eine Stimme rief: „Herr! Herr! zu Hilfe! Sie morden mich!“ und es schien, als seien zwei bewaffnete Uebelthäter über einen einzelnen wehrlosen Mann hergefallen. Dem Jüngling wallte das rasche Blut; ohne sich zu besinnen, flog er zur Stelle und deckte den zu Boden Gestürzten, auf den die andern mit Messern und Knütteln eindrangen, mit seinem Degen, indem er rief:

„Haltet Frieden, Freunde!“ Aber eh’ er es dachte, empfing er einen schweren Hieb auf den Kopf und zugleich traf ihn von unten gezielt ein Stich in den Leib, daß er taumelte und über den Liegenden hin zu Boden stürzte, wo sein Blut dunkel auf das Pflaster rann. Nebel umhüllte sein Bewußtsein, aber es kam ihm vor, als beuge ein Kopf sich zu ihm nieder und als flüstere eine höhnische Stimme:

„Merkt Euch, Herr Leonardo, wer zur Hochzeit geht, muß sich nicht in fremde Händel mischen!“ Und zugleich fuhr ihm ein zweites Messer in die Brust.

(Fortsetzung folgt.)




Lebensgefahr im eigenen Hause.

Von C. Falkenhorst.

Vor einiger Zeit war ich Zeuge eines Hausstreites, der zwischen den Miethsparteien bedrohlich den lieben Hausfrieden störte. Die „Herrschaften“ im ersten und zweiten Stockwerk klagten über einen üblen Geruch, der die Wohnung verpeste und als dessen Quelle der Gußstein in der Küche erkannt wurde. Die „Leute“ im dritten Stock merkten zwar auch den Uebelstand, aber sie ertrugen ihn mit Geduld und schwiegen. Das gab nun Veranlassung, sie als die Schuldigen zu brandmarken. Der braven stillen Hausfrau des dritten Stockwerkes, in deren Wohnung Musterwirthschaft herrschte, wurde einstimmig der Vorwurf gemacht, sie lasse unreine Flüssigkeiten in den Gußstein gießen und verpeste dadurch das Haus. Es liefen Beschwerden und Abwehr Trepp’ auf Trepp’ ab, und der Hauswirth schüttelte sein Haupt, ihm war der pestilenzialische Geruch ein Räthsel; sein Haus sei gut gebaut, rein und gesund, sagte er.

Zufällig klagte mir die Hausfrau des zweiten Stockwerks über diese Kalamität, klagte über die „neue Wohnung“, in welcher sie so viel Unglück mit den Kindern habe, die fortwährend an Halsleiden etc. kränkelten, klagte auch über die Rücksichtslosigkeit der Leute im dritten Stockwerk.

Ich lächelte und bat, den verdächtigen Gußstein sehen zu dürfen. Bereitwilligst wurde mir der „Stein des Anstoßes“ gezeigt. Er roch; man brauchte nicht erst, wie dies die Hausfrau that, den hölzernen Deckel zu heben, um diese Thatsache festzustellen. Ich besah diese wichtige Hauseinrichtung, die noch aus älterer Zeit stammte, und entfernte mich mit dem Versprechen, daß ich am nächsten Tage kommen und ein Mittel zur Abhilfe angeben werde; denn die Leute im dritten Stockwerk waren unschuldig, das wußte ich.

Wohl hätte ich der Hausfrau sofort den Sachverhalt mittheilen können, aber ich dachte an den Horazischen Vers:

„Viel rascher dringt zu unserm Geiste
Die Außenwelt durchs Auge als durchs Ohr“

und ging, um ein hübsches illustrirtes Werk zu holen, welches die Prinzessin Christian von Schleswig-Holstein aus dem Englischen ins Deutsche übertragen hat, ein treffliches Werk, in dem auch der hier vorliegende Fall eines bösen Gußsteins behandelt wird. Wenn ich die Bilder zeige, dachte ich mir, werde ich leichter verstanden werden.

Am andern Morgen erschien ich mit dem Werke „Lebensgefahr im eigenen Hause“ von T. Pridgin Teale (Kiel, Lipsius

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_032.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)