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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


hinunter zu ihr. „Sei nicht böse, ich war sehr lange fort – aber ich will Dir nachher erzählen.“

„Da hat man sich nun gequält mit dem Essen für den Jungen,“ sagte Frau von Tollen, sich zum Scherz zwingend; „iß Du wenigstens, Lore.“

„Ich danke, Mama; aber helfen will ich Dir nun gleich.“

„Wo zum Kuckuck ist denn der Bengel hin?“ fuhr der alte Herr jetzt auf; „den ersten Abend gleich fort? Er wird immer rücksichtsloser!“

„Ich weiß es nicht, Papa.“

Käthe, die stumm ihren Thee getrunken, rief jetzt: „Aber ich weiß es! Sie sind im Sommertheater, Adalbertchen Becker läßt sich die Rolle des Kurmärkers von der alten Direktorin einstudiren – Na, Lore, Du kannst Dich freuen, wenn Du die Pikarde spielst.“

„O, ich habe schon abgelehnt,“ war die gelassene Antwort.

Der Major brummte irgend etwas in den Bart; man wüßte nicht, war es Beifall oder Unzufriedenheit. Die Mutter blickte Lore erstaunt an.

„Ich ziehe mich rasch um, Mama,“ flüsterte das junge Mädchen, „bitte, komm herauf, wenn Du einen Augenblick Zeit hast.“

Sie ging die Treppe hinauf in ihr Stübchen und setzte sich in den feuchten Kleidern auf den Stuhl vor dem Bette. Sie wußte nicht, wohin vor Glück und vor Kummer; nur aussprechen, nur herunter mit der Last, die sie zu überwältigen drohte! – Wenn doch die Mutter käme! –

Sie zündete Licht an und holte den Brief der Schwester aus der Tasche, und wie sie die ersten Zeilen wieder überlas, da war es, als ob der helle Schein, der eben in ihr Leben gestrahlt, bleicher und bleicher werde, als ob das, was da auf der Schwelle des Hauses stand, so erbarmungslos und schrecklich sei, daß es ihr junges Glück vernichten müsse –. Sie hörte jetzt den Schritt der Mutter auf der Treppe, der klang so müde; sie wollte der alten Frau entgegen gehen und blieb doch wie festgewurzelt in der Mitte des Zimmers stehen. Forschend betrachtete sie das Antlitz der Eintretenden, und sie sah abgespannte Züge und den Ausdruck getäuschter Erwartung in ihren Augen.

„Du bist noch in den nassen Kleidern, Lore? Eile Dich doch, ich möchte mich so gern etwas früher legen; ich bin so angegriffen heute.“

Das junge Mädchen rückte einen Stuhl herzu und hing ein Tuch um die Schultern der Mutter.

„Was wolltest Du denn, Lore?“ klang es gütig.

„Ich – ach, eigentlich nichts, Mama; ich wollte – ich wollte Dich nur sehen“ – das Mädchen stand, der alten Dame den Rücken wendend, vor der Kommode und legte Hut und Schleier hinein.

„Und Tante Melitta?’ Weshalb hat sie Dich den ganzen Nachmittag da behalten?“

Jetzt wandte sich das Mädchen um; sie sah ein, sie mußte sprechen, sie allein konnte ja nicht helfen.

Frau von Tollen wartete auf Antwort und derweil strich sie die Falten des weißen Bettvorhanges zurecht, die sich ein wenig verschoben hatten. Aber als Lore noch immer schwieg, sah sie auf. „Lore!“ rief sie dann, „Lore, es ist etwas passirt, um Gotteswillen – Helene ist doch nicht krank?“

„Nein, Mamachen, nein!“ Das junge Mädchen knieete nieder vor der Mutter und ihre Hand glitt zärtlich über das Gesicht. „Niemand ist krank, nein, das nicht, es ist nur eine kleine Verlegenheit, eine kleine Unannehmlichkeit, in der Rudi sich befindet, weißt Du –. Helene schrieb es mir, sie erfuhr es durch ihren Bräutigam. – Aber, Mama!“ rief sie laut – das Gesicht der Frau hatte sich furchtbar verändert, sie saß da mit starren Augen.

„Schulden!“ murmelte sie, „neue Schulden!“

„Aber Mama, das ist ja noch nicht so arg!“ flehte Lore angstvoll, „fasse Dich doch, er ist ja nicht gestorben –.“

„Zeig’ her den Brief!“ forderte die Majorin.

„Nein, Mama; hätte ich Dir doch nichts gesagt!“

„Ich will alles wissen, Lore – gieb!“ – Sie riß den Brief aus der Hand des Mädchens und las bei dem Schein der dünnen Stearinkerze. Ein paarmal stöhnte sie schmerzlich auf, dann setzte sie sich stumm in den Stuhl zurück und faltete die Hände in ihrem Schoß.

„Mama!“ bat Lore, „liebe Mama!“

„Ich weiß keinen Rath, keinen –“ sagte die alte Frau.

„Viktor muß helfen, Mama!“

„Mein Gott – Viktor!“

„Haben wir denn gar nichts mehr, Mama, gar nichts? Wir müssen helfen, wir müssen, Mama!“

„Nichts außer der Kleinigkeit, die Papa für Euch gespart hat – zweitausend Thaler – und – was ist das?“

„Nimm sie doch, Mama, es handelt sich ja nicht allein um Rudolf –.“

„Und was soll aus Dir und Käthe werden?“

Ueber Lores blasses Gesicht flog ein seliger Glanz. „Nimm sie, Mama,“ flüsterte sie; sie wollte hinzusetzen: „Ich bin versorgt, Mama, ängstige Dich nicht –.“ Die Gewißheit, daß ein starker Arm, ein treues Herz ihr eigen sei, kam aufs neue mit berauschender Gewalt über sie; aber sie brachte das Bekenntniß nicht über die Lippen, sie wollte in diesem Augenblick nicht von ihrem Glück sprechen. „Ich werde sorgen für Käthe,“ setzte sie stockend hinzu.


(Fortsetzung folgt.)




Die schwarze Kunst des 19. Jahrhunderts.

Von Maximilian Harden.

Das Jahrhundert der Naturwissenschaften hat wenig Hang zum Wunderglauben – so behaupten zum mindesten weise Leute, die den Pulsschlag der Zeit besonders deutlich zu hören glauben und sich auf ihre Zugehörigkeit zum Zeitalter der „Realitäten“ nicht wenig zugute thun. Nun muß man ja freilich ohne weiteres zugeben, daß die Zeiten der Hexen, der Nekromanten, Magier, Goldmacher und zahlreicher anderer Spekulanten auf die – Unklugheit der Menge glücklich vorüber sind. Die umständlichen Experimente des Goldkochens würden bei einem Kinde der modernen Zeit kaum mehr als ironische Heiterkeit wecken und vollends der unselige Hexenglaube ist vor den Strahlen sonnenheller Wissenschaft verschwunden, allerdings nicht ohne einen weniger gefährlichen Erben in der platten, geschmacklosen Schwiegermutter-Antipathie zu hinterlassen. Dennoch kann man das selbstgefällige Lächeln, mit dem der moderne Kulturmensch auf die Leichtgläubigkeit harmloserer Zeiten zurückblickt, nicht ohne einigen mitleidigen Spott betrachten, denn, wenn sich auch die Objekte unseres Glaubens vielfach verändert haben, an so manches blaue Wunder glauben wir stolzen „Modernen“ doch auch noch.

Selbstverständlich scheiden hier von vornherein die wissenschaftlichen Wunder aus, die unseren Glauben eben durch ihre Natur erzwingen. Die Dienstbarmachung der Elektricität zu allen erdenklichen Zwecken, die Möglichkeit, auf meilenweite Entfernungen intime Gespräche zu führen, Töne und Worte auf lange Zeit hinaus zu bannen und zu bewahren, das sind sicherlich Wunder, die in den Verstand auch des skeptischsten Beobachters eingehen müssen, weil sie sich selbst beweisen. Von solchen Wundern ist unser modernes Leben rings umgeben, im Frieden wie im Krieg haben wir uns so an ihr Dasein gewöhnt, daß eben diese Gewöhnung uns dagegen abgestumpft hat. Wir wundern uns nicht mehr über diese Wunder.

Aber so tief im Leben der Völker wurzelnde Triebe wie der Wunderglaube verlieren sich nicht leicht, ohne sichtbare Spuren zu hinterlassen, man glaubt sie oft überwunden, während sie nur in veränderter Gestalt fortleben. Die Leichtgläubigkeit der Massen verlangt ihre Nahrung, und da sich die grobsinnlichen, oft einfach betrügerischen Wunder früherer Zeiten nicht mehr wirksam erweisen, ist an ihre Stelle eben eine andere Macht getreten, die bestimmt scheint, noch auf recht, recht lange Zeit den Bedarf zu decken, und die sich schlau und pfiffig selbst ihre Feinde, Vernunft und Wissenschaft, dienstbar gemacht hat: die Reklame.

Die prächtig gekleidete Dame Reklame ist nicht mehr jung, sie hat es nur verstanden, sich durch mancherlei geschickte Toilettenkünste ein frisches, jugendliches Ansehen zu geben; jedenfalls aber

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_026.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2020)