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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

ein gehorsamer Sohn ist; meine Mutter redete so lange um die Mitnahme dieses vorweltlichen Institutes, bis ich ihr, halb ärgerlich, halb lachend, den Gefallen that. Aber, was ist denn? Haben Sie Unannehmlichkeiten gehabt, Fräulein Lore?“

Während er sprach, hatten sich ihre Augen mit Thränen gefüllt, und indem sie dem schlanken jungen Manne im dunklen Ueberrock, der scherzend einen riesigen altmodigen Regenschirm aufgespannt hatte, einen Augenblick ihre Hand reichte, brachte sie mühsam und mit erstickter Stimme die Worte hervor: „Fragen Sie mich nicht!“

„Doch! Doch! Natürlich frage ich Sie,“ erwiderte er besorgt und schloß den Schirm, indem er zu ihr in den Pavillon trat. „Ich habe zwar eigentlich kein Recht, es zu thun, Fräulein Lore, ich weiß es, aber,“ fuhr er fort, „wenn einem so ein lieber freundlicher Morgengruß zufliegt, wie mir heute, dann ist man glücklich für den ganzen Tag, und Glück macht Muth. – Sagen Sie mir, Lore, was Sie verstimmt, ich bitte Sie – ich kann Sie so traurig nicht sehen.“

Sie hatten sich wieder die Hände gereicht; beide Hände diesmal, der Schirm lag neben ihm am Boden und in Lore von Tollens schönen Augen lenchtete es durch die Thränen wie heller Sonnenglanz.

„Wenn ich es aber nicht sagen kann, Herr Doktor –“

Er sah sie groß und bittend an.

„Herr Doktor?“ wiederholte er, „wann werde ich das nicht mehr hören, Lore?“

Sie ward noch röther. „Ernst!“ sagte sie leise. Und im nächsten Augenblick hatte er sie an sich gezogen, ihr Kopf ruhte an seiner Schulter und ein heftiges Schluchzen schüttelte sie.

Er sah zu ihr hinunter und streichelte das blonde Haar, aber er sprach kein Wort. Er ließ sie weinen; hatte er doch Mühe, die eignen Thränen zurückzudrängen, die ihm in die Augen traten, ihm war schwindlig vor Glück. „Endlich! Endlich!“ flüsterte er kaum hörbar. – Ringsum kein Laut, als das leise Rieseln des Regens und um sie her die tiefe Dämmerung des Herbstabends.

„Lore! Lore!“ sagte er innig und drückte sie an sich.

Sie fuhr erschreckt empor und drängte ihn zurück. „Ich muß heim!“

„Lore!“ bat er und wollte sie wieder an sich ziehen.

„Nein! Nein!“ wehrte sie. „Mein Gott – ich –“

„Aber ich lasse Dich nicht so, jetzt nicht – ich will Gewißheit, Lore, ich will die Erlaubniß, mit Deinen Eltern sprechen zu dürfen –“

Ihre Augen sahen plötzlich todeserschreckt aus dem farblosen Gesicht. „Es geht nicht,“ sagte sie heftig, „es geht bei Gott nicht, jetzt nicht, warten Sie noch, warten Sie –“

„Warum?“ fragte er traurig.

„Ich kann es nicht sagen, Herr Doktor –“

„‚Ernst‘,“ verbesserte er.

„Ernst,“ wiederholte sie leise und duldete seinen Kuß, es war der erste, den sie sich gaben. „Kommen Sie!“ bat sie dann erglühend.

Er spannte wieder den Schirm auf, und unter diesem alten ehrwürdigen Familieninventar schritten sie durch die dunkeln einsamen Gänge, er fühlte das heftige Zittern ihrer Hand und drückte ihren Arm leise an sich. „Wann spreche ich Dich wieder, Lore?“ fragte er.

„Ich weiß es nicht,“ erwiderte sie.

„Du weißt es nicht, Lore? Du sollst es aber wissen. Ich habe es bis jetzt ertragen, Dich nur selten und flüchtig zu sehen, aber nach dieser Stunde ertrage ich es nicht mehr. Sieh’, ich bin nun ’mal kein Freund von Heimlichthuerei, es ist unser beider unwürdig, wir lieben uns, und warum soll das nicht alle Welt wissen? Ich bitte Dich nochmal, Lore, laß mich morgen mit Deinem Vater sprechen!“

„Nein, nein!“ bat sie dringend, „es ist unmöglich.“

„Wie lange soll ich warten damit?“

„Bis – ich werde es Ihnen – Dir – mittheilen.“

„Lore,“ begann er, „wenn Du wüßtest – – Ich hatte beim Spaziergange gerade so lebhaft an Dich gedacht, ich denke ja überhaupt nichts anderes mehr, als an Dich. Heute war ich in der Erinnerung in der Kirche, wo ich Dich zuerst sah bei der Trauung Deiner Schulfreundin, Du standest so deutlich vor meinen Augen in dem weißen Kleide, den Veilchenkranz im blonden Haar – Lore, es giebt nichts auf der Welt, was Dir gleicht!“

Sie waren wieder stehen geblieben, und den großen Regenschirm mit einer Hand haltend, hatte er den Arm um sie gelegt und seine Augen schauten in die ihren. „Und so treu ist mein Schatz und so ehrlich in seinem Lieben,“ fuhr er fort, während sie mit gesenktem Haupte lauschte, „nicht einmal hast Du Versteckens mit mir gespielt, wie es sonst Mädchenart ist; – ich war Deiner Neigung so sicher, obgleich wir uns kaum ein Wort darüber gesagt. Ich brauchte immer nur in Deine Augen zu sehen, dann wußte ich es. Sie liebt Dich, die schöne stolze Lore von Tollen liebt Dich.“

„Ja,“ sagte sie laut, „ich liebe Dich!“

Er küßte sie noch einmal und sie gingen stumm weiter.

„Aber wann werden wir uns sehen?“ wiederholte er nach einer Weile.

„Wenn Du mit den Eltern gesprochen hast,“ erwiderte sie, „und – vom Fenster aus, wie immer.“

„Ach, Lore!“ sagte er vorwurfsvoll.

„Wenn Du willst, schon früher – auf dem Beckerschen Ball. Ach, komm, bitte, komm! Es wäre so schön.“

„Nein!“ sagte er kurz und ohne sich zu besinnen. „Und ich bitte Dich, bleib’ auch davon!“

„Es geht nicht, Mama hat schon zugesagt.“

„So sage ab; – bleib’ daheim und – denke an mich!“

„Ich müßte einen Grund erfinden, und lügen mag ich nicht um so etwas Gleichgültiges wie dieser Ball ist. Komm hin, Ernst, es wäre so schön für mich.“

„Nein,“ wiederholte er ebenso bestimmt wie vorhin, „ich gehe nicht in das Beckersche Haus –. Und Du solltest es auch nicht thun infolge dessen.“

„Ich muß doch vorläufig noch den Eltern gehorchen,“ erwiderte sie kurz, „aber ich will an Dich denken dort.“

Er schien einen Augenblick verstimmt, dann sagte er scherzend: „So geh’, Liebling, es ist wahr, Du bist jetzt noch die Tochter des Hauses, ich weiß ja, daß Du ganz mein sein wirst eines Tages, daß dann eines ohne das andere keinen Schritt mehr thun wird. Lore, ist es nicht wundervoll, das zu wissen?“

Sie schritten jetzt eilig an dem Flüßchen entlang, passirten den dunklen Bogen des uralten Backsteinthores, und Lore von Tollen schlug einen Weg ein, der hinter den Häusern zu dem elterlichen Garten führte. Die Lampe aus des Vaters Krankenstube blinkte über die alte Stadtmauer hinweg durch das Gezweig der Linde.

„Gute Nacht!“ sagte das schöne Mädchen an der kleinen Pforte in der Mauer, während sie den Schlüssel aus dem Arbeitsbeutelchen nahm und aufschloß. Und jetzt bot sie ihm den Mund zum Kuß. „Mir ist so angst !“ flüsterte sie.

„Um Dich und mich? Was könnte uns geschehen? Meinst Du, ich sei Deinen Eltern nicht willkommen?“ fragte er stolz.

„Nein, o nein! Du bist ja mein Halt in all dem Trostlosen. Leb’ wohl, Ernst, bis – – Du weißt schon, ich schreibe Dir, wann Du kommen sollst, aber habe Geduld.“

Sie war plötzlich durch die Gärtenthür verschwunden. Er stand noch ein Weilchen wie im Traume, als wollte er versuchen, durch die Mauer zu schauen, dann wandte er sich zögernd zum Gehen. Aber da that sich noch einmal das Pförtchen knarrend auf und sie stand vor ihm und hielt seine beiden Hände in den ihren. „Ich muß es Dir sagen, Ernst, ich muß es Dir sagen,“ sprach sie innig, „daß Du mein Glück bist, mein heimliches, süßes Glück,“ flüsterte sie. „Als ich eben so allein in dem Gartenwege stand, da kam es über mich mit aller Gewalt –. Sprich, ist es wahr? habe ich es nicht geträumt, Ernst, daß Du mich liebst?“

Heftig zog er sie an sich und küßte sie wieder und wieder. „Lore, meine Lore!“ flüsterte er.

Sie trat wenige Minuten später in das Eßzimmer, wo die Eltern und die Schwester beim Abendbrot saßen, mit einem solchen Ausdruck von Glück in ihrem schönen Gesicht, daß der alte Herr seine verdrießlichen Worte über ihr und des Bruders Ausbleiben zurückhielt und sie staunend ansah.

„Ihr bliebt so lange aus, Lore,“ sagte die Mutter mit müder Stimme, „Rudi ist wohl nach oben gegangen?“

Sie kam erst jetzt wieder zur Besinnung. „Rudi?“ fragte

sie, während sie den Hut abnahm. „Er kam nicht mit, er ist – ach ja, er ist mit Herrn Becker irgend wohin geritten.“ Sie blickte dabei mit flehenden Augen ihre Mutter an und beugte sich

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