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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Die verschiedenen physiologischen Entwicklungsvorgänge des Körpers, welche einen gewissen Sturm im ganzen Nervensystem hervorrufen, gehen auch mit größerer Reizbarkeit der Herznerven einher und geben sich in den Nervenbahnen, welche die Bewegung des Herzens beeinflussen, durch Beschleunigung oder Verlangsamung der Herzthätigkeit kund. So ist Herzklopfen eine häufige Erscheinung bei dem Jünglinge, wenn der erste Flaum auf seiner Oberlippe sprießt, ebenso bei dem zur Jungfrau heranreifenden Mädchen, wie auch bei der alternden Frau, welche in die Matronenjahre tritt.

Zu den veranlassenden Momenten, welche das Herz „nervös“ zu machen geeignet sind, gehören ferner lange andauernde, das Nervensystem ungünstig beeinflussende Affekte: Aerger, Kummer, Sorgen. Infolge dessen ist Herzklopfen ein häufiges Leiden jener Stände, Berufsgenossen und Personen, welche sich geistig überanstrengen, deren Thätigkeit viel Nachdenken erfordert, überhaupt die mit dem Kopfe viel arbeiten. Der Student, welcher vor der Prüfung steht und das Gehirn in außergewöhnlicher Weise anstrengt, der Börsenmann, dem aufregende Spekulationen bei Tag und Nacht im Kopfe herumschwirren, der Dichter und Künstler, dessen lebhafte Phantasie das ganze Nervensystem in steter Spannung hält, sie alle leiden häufig an Herzklopfen, nicht minder wie das arme Mädchen, das bis in die Nächte hinein über der Nähmaschine gebückt sitzt, oder die gefeierte Ballschönheit, der ihre Triumphe im Tanzsaale nicht gestatten, die Nacht der Ruhe zu widmen.

Auch der übermäßige Gebrauch reizender Genußmittel, wie Trinken vieler schwerer Weine, starken Kaffees und Thees, sowie starkes Tabakrauchen sind Veranlassungen, um verschiedenartige Zustände von Erregbarkeit der Herznerven, darunter Herzklopfen, zu Wege zu bringen. Eine starke Cigarre ist in dieser Richtung ebenso ein Herzgift wie ein starker Mokka.

Sache des Arztes ist es, in jedem Einzelfalle nach genauer sorgfältiger Untersuchung feststellen, ob das Herzklopfen in einer organischen Veränderung des Herzmuskels, in Klappenfehlern, Veränderungen der Blutgefäße des Herzens begründet oder ob es nervöser Natur ist. Im letzteren Falle kommt der Arzt in die erfreuliche Lage, Personen, welche durch die so lange belästigende Empfindung des Herzklopfens in ihrer Gemüthsstimmung verdüstert sind, von der Furcht, ein unheilbares Herzleiden zu besitzen, gemartert werden und denen das Gespenst unrettbaren Siechthums jede Lebensfreude benimmt – mit aller Bestimmtheit Trost zu spenden und mit voller Gewißheit jede ernstliche Besorgniß bannen zu können. Der Arzt muß dann durch sein persönliches Ansehen das ganze Vertrauen des angeblichen Herzkranken gewinnen, um diesen von seiner falschen Meinung abzubringen und so zur Gesundung des betreffenden Individuums beizutragen. Denn das sei hier hervorgehoben, die stete Beobachtung der vom Herzen ausgehenden Erscheinungen, die dem Pulse und seinen Veränderungen zugewendete besondere Aufmerksamkeit ist gerade geeignet, die Herzerregbarkeit zu steigern und die quälenden Symptome zu vermehren. Ist es doch ein gewöhnliches Ereigniß, daß Studenten der Medizin, welche die Vorlesungen über Herzkrankheiten hören und dadurch Veranlassung finden, ihrem eigenen Herzen erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken, durch diese Selbstbeobachtung Herzklopfen bekommen und sich die „schönsten Fälle“ der seltensten Herzleiden einreden.

Also erstes Erforderniß, um einen Kranken vom nervösen Herzklopfen zu befreien, ist, ihm die Ueberzeugung beizubringen, daß sein Leiden kein schweres, daß es ein heilbares ist. Dann


Ein kleiner Musikschwärmer.
Nach dem Oelgemälde von E. Herger.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_017.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)