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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

da die ersten kaum getrocknet; auf frischen Gram und Groll des kranken Vaters, der den alten noch lange nicht verwunden, und lähmten sie förmlich.

„Sag’s ihm heute nicht!“ preßte sie endlich hervor, „schweige bis nach seinem Geburtstage, Rudolf.“ Und als er eine ungeduldige Bewegung machte, setzte sie leise hinzu: „Helfen kann er Dir ja doch nicht mehr.“

„Den Kuckuck auch!“ murmelte der Lieutenant, „wer soll es sonst? Mein Herr Bruder läßt mich abfallen, der Onkel schützt Müdigkeit vor –“

„Du hast an Viktor geschrieben?“ fuhr das junge Mädchen auf, und eine flammende Röthe goß sich über ihr Gesicht. „Rudolf, wie konntest Du das thun, wie ist es Dir möglich gewesen?“

„Ich habe nicht geschrieben, ich war persönlich bei ihm,“ erwiderte er gelassen und strich die Asche seiner Cigarre vorsichtig an der Stuhllehne ab. „Ich bin in D. vorgefahren gestern und wurde sehr liebenswürdig empfangen. Sie hatten just große Mittagsgesellschaft und luden mich ein, da zu bleiben; es waren verschiedene höhere Offiziere nebst Familie anwesend und einige von Frau Klothildens Verwandtschaft, vor jedem Gedeck standen sechs verschiedene Gläser, die Sache fing an mit Austern und zum Schluß floß der Sekt in Strömen. Aber Viktor, den ich nach Tische sprach in der bewußten Angelegenheit, erklärte mir sehr freundlich und verbindlich, daß er leider nicht in der Lage sei, meinen Wünschen zu entsprechen. Er habe den Grundsatz, aus den Mitteln seiner Frau Gemahlin nicht einen Dreier herauszuziehen, um ihn in seinem oder seiner Familie Interesse zu verwenden; er selbst aber verfüge über gar nichts weiter, als sein bescheidenes Rittmeistergehalt, das wisse ich jawohl auch, es thue ihm so leid – so leid –. Wir drückten uns zärtlich die Hände, ich saß noch ein Stündchen in Frau Klothildens Salon und ließ mich dann von ihr zu allerhand Ritterdiensten kommandiren, empfahl mich noch vor den übrigen Gästen und gab dem in lila Sammetlivree gesteckten Diener meinen letzten Thaler als Trinkgeld. Das Eisenbahnbillet bis Wellenberg hatte ich, Gott sei Dank, in der Tasche und durch die Liebenswürdigkeit meiner Schwägerin so außerordentlich dinirt, daß ich die fünf Stunden Coupefahrt von Berlin bis hier aushielt, ohne hungrig zu werden, – und soweit wären wir ja denn glücklich, meine liebste Lore.“

„Gott sei Dank – Du hast wenigstens sie nicht – angesprochen!“ kam es über des Mädchens blasse Lippen.

„Genire Dich doch nicht, sag’s nur heraus – ‚angebettelt‘,“ fiel er ein. „Nein, ich habe nicht mündlich gebettelt, aber vielleicht schreibe ich noch an sie.“

„Rudolf! Die Frau, die uns alle so kränkend behandelt, die unserer Schwester in ihrem Hause eine Stellung zuweisen wollte, welche noch unter dem Niveau einer ‚Bonne‘ war – an die wolltest Du Dich wenden, damit sie weiter erzählen kann, die ganze Familie ihres Mannes liege ihr zur Last?“

„Ah, bah! Helene hat das übertrieben; sie ist zimperlich und nervös geworden durch ihren ewigen Brautstand und hat die Manieren einer alten Jungfer angenommen. Es wird Zeit, daß ihr geliebter Franz sie unter die Haube bringt,“ erwiderte er. „Klothilde hat nicht allein über sie geklagt,“ fuhr er fort, „der Onkel auch. Der alte Geck kann übrigens meinetwegen nach Borneo gehen; ich werde ihn nicht mehr inkommodiren. Schreibt mir auf meinen sehr höflichen Brief, er sei im Begriff, eine größere Reise zu machen und habe dazu seine paar Kröten selbst nöthig; ich solle dach endlich ernstlich daran denken, mit meinen Mitteln auszukommen. Ein jeder müsse sich nach seiner Decke strecken. Es ist zu angenehm, wenn die Leute so ein bißchen armselig thun können, sie kommen damit so hübsch weit. Der hat sein Schäfchen im Trocknen auf der Reichsbank, aber – nur nichts hergeben!“

„Verzeihe, Rudi, der Onkel hat kein Vermögen; er besitzt weiter nichts, wie seine Pension als Generallieutenant, und davon giebt er redlich ab,“ versicherte Lore. „Er bezahlt ja doch das Schulgeld für Käthe und giebt mir und Helene ein kleines Taschengeld. Und an Papa schickt er Wein und Tabak, und –“

„Ja, an Euch Mädchen hat er einen Narren gefressen; unsereiner aber –“

„Er hat, weiß Gott, das Mögliche gethan, sollte ich denken,“ sagte leise das junge Mädchen.

„Ja, außerordentlich opulenter Weise,“ spottete der junge Mann und griff nach einer frischen Cigarre, „aber, was hilft alles Gekolke, ich muß das Geld schaffen, das ist ein Faktum.“

„Nein, nein, sage es nicht zu Vater!“ rief Lore und sprang auf, „heute nicht, und die nächsten Tage nicht. Ich will mit der Mutter reden, vielleicht weiß Franz Rath.“

„Helenes Bräutigam, der seit fünf Jahren auf Königszulage wartet, um heirathen zu können? Gutes Kind!“ Er sah sie bedauernd an und fuhr sich mit den schlanken weißen Fingern über die Stirn, warf die eben angezündete Cigarre fort und erhob sich. „Meinetwegen warten wir,“ gab er zu, „drei Wochen hat’s ja noch Zeit. – Was in aller Welt soll man nun den ganzen Tag anfangen?“ fuhr er fort und sah hinaus in den kleinen stillen Garten, wo die Wäsche lustig im Winde flatterte. „In diesem Krähwinkel giebt’s ja nicht einmal eine anständige Kneipe. Ist hier immer noch das alte Vergnügungsprogramm?“ fragte er dann, „der nachmittägliche Spaziergang? Mamas Whistpartie? Dein englisches Kränzchen und, wenn der Mond zuweilen scheint, um den auswärtigen Herrschaften die Landstraße zu erhellen, ein Klubabend mit Kälberbraten und Tanz?“

Das junge Mädchen hatte die Arbeit vollendet und räumte die gebrauchten Tassen auf dem Tische zusammen. Sie nickte leise auf des Bruders ironische Fragen.

„Nächsten Montag sind wir, auch Du, von Beckers zu einem Ball geladen.“

„Was?“ rief der Lieutenant, „mit denen verkehrt Ihr jetzt? Wie ist denn das gekommen? Papa schwur doch Stein und Bein, daß er mit diesen Geldsäcken nichts zu thun haben wollte?“

„Sie machten hier Visite,“ erklärte Lore, „erst der Sohn –“

„Adalbertchen Becker? Ei sieh, sieh!“

„Und dann die Mutter,“ fuhr Lore fort. „Der Kreis ist hier so klein, und Mama meinte, man könne sich nicht ausschließen, die andern verkehren alle mit ihnen, sie sind auch in den Klub aufgenommen.“

„Also Adalbertchen als Löwe der Westenberger Gesellschaft?“

„Ja!“ rief jetzt eine frische Stimme, „und unserer Lore macht er den Hof!“

Ein junges Mädchen zwischen sechzehn und siebzehn Jahren war hereingekommen, hing sich an des Bruders Hals und, ihn ansehend, bog sie den Kopf zurück, daß die langen dunkeln Zöpfe bis auf den Boden herunter hingen.

„Hast Du mir die Photographien vom Kaiser und von den Prinzen Wilhelm und Heinrich mitgebracht? Und –“

„Ratzibus vergessen, Backfisch!“ betheuerte der Bruder, „aber wenn ich wiederkomme –“

„Das sagst Du schon zum siebenten Mal. Wenn Du nicht willst, so laß es!“ war die Antwort. Sie setzte sich schmollend an den Kaffeetisch und schenkte ihre Tasse voll.

Sie war ein schlankes biegsames Geschöpf mit einem blassen Gesicht, das etwas ganz Fremdartiges hatte. Mitunter konnte man meinen, es sei geradezu unschön. Der Mund, obgleich klein, schien zu üppig, das kurze Stumpfnäschen allzu keck, der bräunliche Teint beinah fahl, aber dann brauchte sie nur die Augen aufzuschlagen, und alles war vergessen. Geradezu wunderbar waren diese großen, dunkeln, von langen Wimpern umschatteten Augen, aus welchen bald ein schwermüthiges Sehnen, bald übermüthige Lebenslust schaute; es wechselte beständig. Und diese Augen bestimmten den Ausdruck des ganzen Gesichtes, das einen Moment dem einer heimathskranken Spanierin, im nächsten wieder dem eines schelmischen Kobolds glich. Und natürlich war auch ihr ganzes Wesen diesem Augenwechsel entsprechend. Sie war mitunter der Sonnenschein des Hauses, ihr hellklingendes Lachen erfüllte es förmlich mit Lebenslust, aber sie konnte es auch finster machen, denn für Gelegenheit zum Aerger sorgte sie reichlich. Sie war die personifizierte Opposition gegen alle Hausordnung, wollte niemals helfen und verstand es meisterlich, sich von jeder Arbeit zu drücken, um sich mit einem Romane in irgend welchen unauffindbaren Winkel zurückzuziehen. In diesem Nesthäkchen schien sich der Feudalismus des ganzen Geschlechtes derer von Tollen konzentriert zu haben; sie hätte am liebsten einen Zelter bestiegen, den Falken auf den Handschuh gesetzt und wäre als Ritterfräulein in Wald und Heide auf die Beize geritten, so und soviel ihr huldigende Ritter im Gefolge. Wie die Sachen aber leider standen, mußte sie sich begnügen, anstatt einer stolzen Ritterburg ein sehr bescheidenes Miethshäuschen am Ende einer stillen Gasse der guten Stadt Westenberg zu bewohnen und in der Clematislaube des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_003.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)