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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

No. 1.   1889.
      Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.


 

Lore von Tollen.

Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.
Roman von W. Heimburg.

Die Herbstsonne warf ihren fröhlichen Schein in die kleine Logirstube der Frau Majorin von Tollen, blitzte aus dem einfachen Spiegel an der sonst kahlen Wand zurück und ließ die Spitze eines Infanteriehelmes funkeln, der, aus dem geöffneten Futterale hervorsehend, neben allerhand Toilettengegenständen auf dem einzigen, etwas altmodischen Tische des Stübchens lag. Der vorschriftsmäßige Offizierskoffer stand am Boden, theilweise der Uniformstücke entleert, die auf dem Bette und den Stühlen umherlagen und hingen. Auf einem der birkenen Holzstühle saß ein junger schlanker Mann, unschwer als der Eigenthümer dieser Siebensachen zu erkennen. Er hatte ein hübsches intelligentes Gesicht, braunes dichtes Haar und über der Oberlippe ein keckes Schnurrbärtchen. In diesem Augenblick besah er mit verdrießlicher Miene einen Stiefel von höchst eleganter Façon.

„Verfluchte Wirthschaft!“ murmelte er, „mein einziges Paar Lackstiefel – Rechnung noch längst nicht bezahlt – und das Kamel von Dienstmädchen hat sie mit ordinärer Wichse – – unglaublich!“

Aergerlich warf er den Stiefel zu Boden, stellte sich, die Hände in den Taschen seiner Beinkleider vergrabend, an das einzige Fenster des schmalen weißgetünchten Raumes und betrachtete das kleine längliche Stückchen Erde dort unten, welches den stolzen Namen „Garten“ führte und in dessen engen Wegen der laue Herbstwind jetzt die ersten gelben Blättchen der alten Linde, seiner einzigen Zierde, umhertrieb. Um den dicken Stamm der Linde schlang eben ein junges Mädchen eine Waschleine; sie trat zu diesem Zweck auf die Bank, die den Baum umkreiste, und reckte sich auf den Zehen empor, um das Ende des Taues über einen Ast zu werfen. Es war eine wunderschöne schlanke Gestalt in einem sehr einfachen grauwollenen Morgenkleide. Die zurückgestreiften Aermel ließen ein Paar fein modellirter Arme sehen; das Haar lag in dichten schweren Flechten am Hinterkopfe und schimmerte wie mattes Gold unter dem einfachen Strohhut hervor. Ihr Thun hatte nichts Rasches an sich; es war eine ausgesprochen vornehme Art, mit der sie sich bewegte.

Ueber den Rasenplatz kam eine ältere Frau; sie trug, mühsam schleppend, mit dem Dienstmädchen, einem kleinen rothhaarigen schwächlichen Geschöpfe, einen Korb voll nasser Wäsche; ihre blaue leinene Schürze zeigte die feuchten Spuren des Waschfasses. Sie setzte den Korb hin und nickte dem jungen Mädchen zu, das von der Bank herabgesprungen war und eifrig begann, die Zeugstücke auf die Leine zu hängen.

Die ältere Dame blieb, tief athemholend, ein Weilchen stehen und wischte die Stirn; dann folgte sie dem Dienstmädchen wieder in das Haus zurück.

Das Gesicht des jungen Offiziers färbte plötzlich eine dunkle Röthe, während er

Es schläft. Nach dem Oelgemälde von W. Roegge.
Photographie im Verlage von Fr. Hanfstängl in München.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_001.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2021)