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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

vom 15. Juni 1881 die vom Senate vorgelegte Zollanschlußvereinbarung mit dem Reiche sofort angenommen wurde: die Mehrheit betrug 106 gegen 46 Stimmen.

So schritt man denn frischen Muthes an die ungeheure Umwälzung, für welche ein Zeitraum von sieben Jahren, aufs knappste berechnet, gewährt worden war und auch gerade ausreichte, obgleich sie sich noch weit umfassender gestaltete, als man je geahnt hatte. Hamburg verausgabte für die abzubrechenden Häuser, sowie für die Neuanlegung von Land- und Wasserstraßen, von Brücken, Krähnen, Zollgebäuden, Pontons, Quais etc. das runde Sümmchen von 120 Millionen Mark, so daß der Reichszuschuß voll und ganz in Anspruch genommen werden konnte. Darin sind die neuen Speicher noch gar nicht einbegriffen, denn diese, in großartigster Weise wahrhaft imposant angelegt, hat die „Freihafen-Lagerhaus-Gesellschaft“ für eigene Rechnung erbaut. Auch eine neue Elbbrücke für Wagen- und Pferdebahnverkehr ward neben der bestehenden, welche der Venloer Eisenbahnlinie dient, über den Strom geschlagen (vergl. Nr. 2 dieses Jahrg., welche auch eine Abbildung der Brücke enthält). Ein neuer Elbarm ward gegraben, der sog. „Zollkanal“, 45 bis 60 Meter breit, welcher als zollinländischer Wasserweg von der zollangeschlossenen Unterelbe um das Restchen Freihafenelbe herum nach der Oberelbe führt; er erhielt, wie das gesammte neue Freihafenviertel nördlich der Elbe, elektrische Beleuchtung. Durch diesen Zollkanal ist auch der frühere Hamburger Segelschiffhafen, dessen Mastenwald wohl jeder Besucher Hamburgs bewundert hat, völlig verdrängt worden; er hat am jenseitigen Elbufer in vergrößerter und verschönerter Art (sechs Reihen Seekolosse liegen neben einander) sein neues Heim erhalten. Daneben findet man noch eine ganze Reihe neuer Häfen für asiatische, amerikanische, afrikanische Dampfer, für Flußschiffe, für Petroleumfahrzeuge etc., sämmtlich umgeben von langgestreckten Quais mit Lagerschuppen und Zollabfertigungsgebäuden (Hamburg, welchem auch die eigene Zollverwaltung übertragen wurde, hat mehrere tausend Zollbeamte und Zollwächter angestellt, welche etwa 30 Zollstellen zugetheilt sind, bezw. die Zolldampfbarkassen auf dem Strom besetzen und die Landzollgrenze bewachen), ferner zahlreiche eiserne oder steinerne Brücken, erstere zum Theil mit Drehvorrichtung, um Seeschiffe durchzulassen, eine große kombinirte hydraulische und elektrische Centralstation (das Druckwasser der hydraulischen Anlagen wird nach fertiggebauter Speicheranlage 260 Winden, 50 Aufzüge und 36 Zollkanalkrähne treiben) – sodann Hochdruckhydranten zur Löschung etwaiger Feuersbrünste, wenn auch zum Schutze gegen Feuersgefahr alles Mögliche gethan ist; die Speicher sind sämmtlich von Eisen und Stein erbaut. Der neue große Dampfkrahn auf dem Asia-Quai (s. S. 889) ist der größte Hebekrahn der Welt. Seine Höhe beträgt 32 Meter und seine Tragkraft 150 Tons, also 3000 Centner. Der als Gegengewicht dienende Ballastkasten ist mit 5000 Centnern Sand gefüllt. Der Krahn dient dazu, besonders schwere Lasten wie Riesengeschütze, Lokomotiven etc. direkt aus den Eisenbahnwagen in die Schiffe und umgekehrt zu heben. Seine Aufstellung erfolgte 1887. – Doch genug der Aufzählung, welche nur einiges Hervorragende erwähnt, aus Vollständigkeit nicht entfernt Anspruch macht! Alles in allem genommen, hat sich Hamburg „an de Waterkant“, wie der plattdeutsche Ausdruck lautet, also an den Elbufern, seit 1881 derart verändert, daß es gar nicht wiederzuerkennen ist.

Die gemäß den obigen Ziffern verbleibende Belastung der hamburgischen Staatskasse mit 80 Millionen Mark bereitet freilich den Vätern der Stadt manchmal trübe Augenblicke. Sie haben das Geld auf dem Anleihewege beschafft, und zwar zu billigen Zinsen, trotzdem der kleine Staat bereits vorher eine Schuldenlast von 200 Millionen Mark auf dem Rücken hatte, zum Theil noch aus der Franzosenzeit stammend und vom großen Brande 1842 herrührend; der Kredit der alten Hansestadt ist, wie man sieht, ein guter.

Und weshalb hat das Reich den Zuschuß von 40 Millionen Mark zu den Hamburger Zollanschlußbauten bewilligt? Wir wollen hier nicht von den nationalen Gesichtspunkten reden; der Artikel der deutschen Reichsverfassung: „Deutschland bildet ein Zoll- und Handelsgebiet, umgeben von gemeinschaftlicher Zollgrenze“, ist jetzt erst zur Wahrheit geworden. Andererseits mußte aber auch im wohlverstandenen materiellen Interesse den beiden Hansestädten durch das Fortbestehen geräumiger Freihäfen die Grundlage ihrer Existenz erhalten bleiben. Auch Alldeutschlands Vortheil ist es, daß Hamburg jetzt einen Hafen besitzt, der es mit den ersten der Welt aufnehmen kann und hinsichtlich der Größe und der praktischen Einrichtung seiner kaufmännischen Anlage nicht vor Antwerpen und andern fremden Wettbewerbern zurückzutreten braucht. Die Hansestädte können nunmehr in noch erheblicherem Umfange als bisher die Vermittler für die gesammte deutsche Ausfuhr nach den Absatzplätzen jenseit des Oceans werden. Die Hamburger Kaufleute haben einsehen gelernt, was der deutsche Gewerbefleiß leisten kann, und andererseits entdecken die deutschen Fabrikanten nachgerade den Nutzen, welchen die Verbindung zwischen deutscher Industrie und deutschem Ausfuhrhandel ihnen zu gewähren im Stande ist. – –

Die großen Veränderungen im Aeußeren und in den Einrichtungen der Stadt werden sich bald auch in dem täglichen Leben und Treiben bemerkbar machen, und wie ganze Straßen verschwunden und nur noch auf den alten Stadtplänen zu finden sind, so wird in nicht zu ferner Zeit wohl auch manche eigenartige Erscheinung aus dem Verkehrs- und Straßenleben den ungeheuren Umwälzungen der Neuzeit zum Opfer gefallen sein und fortleben nur in der Erinnerung derer, welche über dem neuen Hamburg doch des alten nicht vergessen können. Und in der That bot das Leben im bisherigen Hamburg des Anziehenden so unendlich viel, gestaltete es sich so eigenartig, daß es lohnend erscheint, dabei zu verweilen und noch einmal das ganze interessante Bild festzuhalten, ehe es von einer neuen Generation verwischt oder doch bis zur Unkenntlichkeit umgestaltet wird.

Mit Pindars Wort, daß Wasser das Beste sei, befindet sich die große Mehrzahl der Hamburger in unbewußter Uebereinstimmung, freilich nicht soweit das Trinken der aus der Elbe geschöpften schmutzig lehmgelben Flüssigkeit, welche die städtische „Wasserkunst“ liefert, in Frage kommt; selbe kann nach der festen Ueberzeugung zahlreicher ihrer Konsumenten überhaupt nicht genossen werden, ehe sie nicht durch Zusatz von Rum und Zucker die liebliche Form „Grog“ angenommen hat. Nein, das sogenannte feuchte Element hat eine andere Bestimmung, und diese dem Hamburger klar werden zu lassen, bedarf es keiner Handelsschulen, welche Institute es auch, nebenbei gesagt, sehr bezeichnenderweise in Hamburg gar nicht giebt, woselbst die Unterweisung im Merkursdienste auf so mannigfache Art praktisch vor sich geht, daß die Theorie fast gänzlich verschmäht zu werden pflegt. „Der Wasserweg dient der Waarenbeförderung auf billigere Weise als der Landweg.“ Die Folgerung hieraus weiß nicht nur der kluge Großkaufmann zu ziehen, auch die einfachste Frau aus dem Volke in der bescheidenen Arbeiterwohnung der Hansestadt horcht hoch auf, wenn früh morgens vor ihrem Fenster eine gewaltige Stimme erschallt, welche die Ankunft eines Kartoffelewers im Fleet ankündigt. Wir wollen einen derartigen Ruf wörtlich hersetzen, um zugleich unseren Lesern ein Pröbchen des hamburgischen Plattdeutsch zu geben. „Heurt, Lüüd! – Bi de Slamatjen-Brügg – liggt en Schipper – hett goode Kantüffeln – fiew Liter twintig Penn – ook witten Kohl, Zippeln, geele Wotteln – frische Waar!“ Hochdeutsch: „Hört, Leute, bei der Slamatjenbrücke liegt ein Schiffer, hat gute Kartoffeln, fünf Liter 20 Pfennig, auch weißen Kohl, Zwiebeln, gelbe Wurzeln (Mohrrüben), frische Waare!“

Dieser billige Schiffer ist der gefürchtete Konkurrent des „Hökers“ (Kleinhändlers), der seine Gemüsevorräthe per Achse beziehen muß; die Transportvertheuerung prägt sich im Preise aus, und die Arbeitersfrau legt mit Vergnügen den etwas weiteren Weg bis zur Landungsstelle zurück, wenn dadurch etliche Nickel gespart werden können. Freilich ist der Steg zum Ewer, den aus unserem Bildchen (1) soeben eine dralle „Lüttmaid“ (Kleinmädchen, Jungemagd) überschreitet, so schmal wie der Weg zur Tugend, und das zur Seite gespannte dünne Tau gewährt nur eine der moralischen Beruhigung dienende Schranke. Indessen ein Hamburger Kind fällt nicht so leicht ins Fleet, würde sich auch wenig daraus machen; eine schnelle Rettung dürfte in diesem Falle der daneben auf den Kaffeesäcken sitzende, sein Pfeifchen anzündende Jüngling mittelst seines Schifferhakens bewerkstelligen.

Es ist ein „Ewerführer“; so wird er genannt, obgleich er keine „Ewer“ führt, wie der mit Kartoffeln handelnde Schiffer, sondern eine „Schute“, ein breites Fahrzeug mit flachem Boden, welches im Hafen die Waare aus dem Seeschiffe aufnimmt und sie alsdann nach den an den Fleeten liegenden Speichern bringt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 888. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_888.jpg&oldid=- (Version vom 25.4.2019)