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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

anzustoßen. Denn die Toaste wurden immer ausgesuchter, und wer, außer einem, welcher noch dazu ein Fremder war, hatte eine Ahnung, wie viel an Poesie und dunkler Sehnsucht hinter dieser reinen Mädchenstirn verkümmerte? Waldemar lag freilich der Vergleich mit seinem eigenen Jugendlose auch am nächsten. Aber welcher Unterschied zwischen dem, wie er es einst ertragen oder vielmehr nicht ertragen hatte, und der Art, wie dieses Kind nur stets an seine nächsten Pflichten dachte!

Als man vom Tisch aufstand, hatte sich Waldemar die völlige Zufriedenheit der Hausfrau, das vergnügte Wohlwollen des Bürgermeisters und die dankbare Freundschaft von Karl Dittmann gewonnen. Wie hatte der junge, wohlsituirte Inhaber des Goldenen Engels sich diesen leichten, frohgemuthen Künstler überhaupt als ernsthaften Rivalen denken können? Noch niemals hatte Elsbeth seine Händedrücke inniger erwidert, noch niemals hatten ihre blauen Augen solche Flammen in

„Hilde, leuchten!“

sein Herz geworfen, die weder Wein, noch der zuletzt aufgetragene Champagner löschen wollten. Da mußte etwas anderes geschehen, etwas großes, etwas, zu welchem er bei seiner angeborenen Bedächtigkeit noch nicht gekommen war – –

Draußen neigte sich der trübe Regentag zum Ende, drinnen wurden Lampen und Lichter angezündet – es ward Abend. Verlobungsabend! sagte sich Waldemar und wunderte sich selbst, wie zufrieden er das sagte. Nur dabei sein mochte er nicht grade. Hatte er schon vorher die wirklich herzliche Einladung abgeschlagen, im Bürgermeisterhause zu logiren, so widerstand er jetzt den Bitten um längeres Bleiben und empfahl sich, indem er Müdigkeit nicht bloß vorschützte. In gewissem Sinne war er wirklich müde.

„Hilde, leuchten!“ befahl der Bürgermeister, als Waldemar, nochmals nach allen Seiten grüßend, auf die Thür zutrat. Da – war es nicht, als ob Elsbeth an Stelle der Gerufenen das Licht ergreifen und den Jugendfreund geleiten wolle? Im nächsten Augenblicke lag die Hand – ob sie zurückgezogen worden war? ob sie sich selbst zurückgezogen hatte? – wieder rosig zart und lilienweiß, wie sie vorher gelegen, auf dem dunklen Polsterarm ihres Sessels, Karl Dittmann flüsterte ihr etwas in das Ohr und beide riefen ihm ein freundliches „Auf Wiedersehen!“ nach.

„Darf ich wiederkommen, Fräulein Hildegard?“ fragte Waldemar, als beide draußen in dem langen, dunklen, nur von der schwachen Lichtflamme erhellten Hausflur standen.

Verwundert sah sie zu ihm auf: „Ich soll es Ihnen sagen, ich?“

„Ja: Sie – allein!“ Er mußte wohl sehr deutlich, mehr mit dem Ton und seinem ganzen Wesen, als mit dem bloßen Wort gesprochen haben, denn da hatte er, was er vorhin gewollt, zum dritten Mal: den vollen Augenaufschlag Hildes. Aber wie verstanden diese sanften braunen Sterne auch das Lodern und Blitzen! Die Hand, mitsammt dem Leuchter und der ganzen weichen, biegsamen Gestalt des Mädchens zitterte vor innerer Erregung: „Herr – Herr“ – sie kam in Eile nicht auf seinen Namen – „wie können Sie so rasch vergessen – und verleugnen – was –“

„Was mich hergeführt? Ein Bild – ein Trugbild!“ unterbrach er sie tiefernst. „Aber Gott sei Dank! es giebt noch Echtes.“ Und ehe sie noch daran denken konnte, es zu hindern, hatte er schon ihrer freien Linken sich bemächtigt und küßte sie so zart und ehrfurchtsvoll, als ob die schlanken, festen Arbeitsfinger dem Händchen einer Königin gehörten. In diesem Augenblick erlosch die Kerze. Dafür floß heller Lichtschein aus der hastig aufgerissenen Stubenthür. „Hilde!“, rief es ungeduldig: „Leinwand! Wasser!“ Drinnen im Zimmer war etwas geschehen, Elsbeth hatte nicht allein ihr Glas zerbrochen, sondern sich auch noch die zarten Fingerchen daran verletzt. Waldemar schritt unbekümmert um das „Unglück“ mitten durch die Ueberschwemmung auf dem Marktplatz nach dem „Weißen Hirschen“.


„Das hat hart gehalten. Hilde, liebe Hilde! wie hast Du Dich so lang besinnen können?“

„Lang? – o Du Spötter! Aber – mußte ich nicht denken, daß – daß Du mich nur gewollt – aus –“

„Aus Rache?“ lachte Waldemar hellauf: „Und zum Racheengel wolltest Du nicht genommen sein, während ich es schon zufrieden war, wenn Du mich überhaupt nur nahmst. Denn gesteh’ es nur, es war allein das Mitleid mit dem armen Maler und ditto abgeblitzten Freier, aus dem das bißchen Liebe zu mir aufwuchs?“

„Das bißchen – o! Und wenn Du alles wüßtest –“

„Was alles?“

„Nichts.“

„Und die Alten! Hab’ ich kämpfen müssen! Am Ende hätte ich die eigne Tochter leichter noch bekommen –“

Hilde lachte, wurde wieder ernst: „Die Armen! sie würden sie in einer Art auch weniger vermissen. Elsbeth ist so verwöhnt.“

„Durch Dich. Nun, Dittmann junior wird auch dies Geschäft fortsetzen.“

Hilde schüttelte den Kopf: „Er ist nicht mehr so arglos, wie er war. Du, Waldemar! ich glaube, daß sie mich beneidet – trotz –“

„Trotz des ,unsich’ren Künstlerbrotes’, das mir Dein gewissenhafter Vormund so lange vorhielt –“

„Bis Du mir Dein väterliches Kapital verschriebst! Ich weiß es,“ sagte Hilde, nachträglich noch vor Scham und Unwillen erröthend.

„Er hatte recht. Du hast Dein Ja doch schließlich noch recht leichtsinnig verhandelt – Liebling!“

„Nun sieh’, da lachst Du mich schon wieder aus, Du Böser, Lieber, Guter, Allerbester!“ Hilde verbarg ihr glühendes Gesicht an seiner Brust, riß sich aber augenblicklich wieder los und blickte scheu umher, denn der Ort, an dem sie sich befanden, war ein Wartesaal und ringsum saßen oder standen einzeln und in Gruppen eine Menge Menschen, Reisende, gleich ihnen und die meisten mit dem Ausdruck ungeduldigster Erwartung. Einige hatten es sich auf Stühlen oder Sofas, bequem gemacht und ihre Sachen um sich her gebreitet, als ob sie hier zu übernachten dächten. Es waren die Resignirten der Gesellschaft, die hier eingeschneit dem Weihnachtsabend auf der einsamen Station entgegensah, statt ihn daheim oder im Kreise lieber Freunde zu erwarten.

Um so freudiger war der Tumult, als der Bahnhofsinspektor in den Saal trat und verkündete, die Bahn sei frei und wenn nicht neue Schneewehungen einträten, könne der Zug heute noch bis D. gelangen. „So telegraphir’ ich doch noch, daß wir kommen,“ rief Waldemar erfreut und wollte rasch nach dem betreffenden Bureau abbiegen, als ihn Hilde noch am Arm zurückhielt. „Wozu die alte Frau – es ist doch eine alte,“ frug sie schelmisch, „die Dein kleines Hauswesen besorgt? – so spät und am Ende doch umsonst bemühen! Ein Feuerchen ist bald geschürt und hier“ – sie wies auf die gebauschte Reisetasche – „ist für das erste Nöthige gesorgt. Wart nur, ich will Dir’s bald gemüthlich machen in Deinem – unserem Daheim,“ verbesserte sie rasch. „Sagtest Du etwas?“

Er hatte etwas sagen wollen, that es aber nicht, sondern wandte nur sein zuckendes Gesicht zur Seite, in welchem ein fast knabenhafter Uebermuth mit einer niegekannten Weichheit kämpfte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 884. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_884.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)