Seite:Die Gartenlaube (1888) 878.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.
Die Frau Majorin.
Von A. Oltroff.


Während Doktor Belden beruhigend auf die immer heftiger weinende Kranke einsprach, öffnete sich die Thür, und mit dem Ausrufe: „Meine Helene, meine arme Helene!“ eilte eine schlanke Gestalt dem Ruhebette zu, kniete neben demselben nieder und umfaßte die Weinende.

„Emma, meine Emma, o, nun wird alles gut!“ mit diesen Worten schlang Helene den Arm um den Hals ihrer Freundin, als wolle sie sie nie mehr von sich lassen.

„Arme Helene!“ rief diese mittlerweile, ihr die blassen Wangen streichelnd, „wer hätte gedacht, daß diese Vergnügensfahrt so tragisch enden würde! Ich erfahr das Unglück durch meinen Onkel, den Polizeipräsidenten, dem das Geschehene telegraphisch gemeldet wurde und welcher uns das Telegramm sogleich zuschickte, da er Dich in diesem Zuge wußte. Mit dem zunächst abgehenden fuhr ich hierher, hörte an der Bahn, Du seist nur ohnmächtig geworden und bei Doktor Belden in bester Pflege. Und nun finde ich Dich in solcher Erschütterung! Um Gotteswillen, was ist Dir? Bist Du doch schwerer verletzt, leidest Du Schmerzen?“ Sie sah nach dem Arzt empor: „Ich heiße Emma Wahren, bin Helenens vertrauteste Freundin und ersuche Sie, mir sofort die ganze Wahrheit zu sagen.“

„Die ist sehr einfach, mein Fräulein,“ erwiderte der Doktor, „das Befinden der gnädigen Frau läßt nichts zu wünschen übrig, und nun, da die Freundin eingetroffen ist, legt sich hoffentlich die furchtbare, unerklärliche Aufregung, in welche die Frau Majorin bei dem Anblicke ihres Mannes gerieth, den wir selbstverständlich sofort von Leipzig kommen ließen.“

Jetzt war die Reihe des Entsetzens an Emma, sie glaubte, nicht recht gehört zu haben, und hastig, in höchster Ueberraschung stieß sie die Worte heraus:

„Was sagen Sie da? Frau Majorin? – Der Mann meiner Freundin – und Sie behaupten, er wäre hier?“

„Freilich behaupte ich’s; aber jetzt wird mir’s zu bunt.“ polterte Doktor Belden heraus, dem endlich die Geduld riß. „Finden Sie es denn unnatürlich, wenn man dem Manne einer verunglückten Frau telegraphirt und wenn dieser dem Rufe Folge leistet? Professor Roditz übernahm es, den Herrn Major von Schnitzel in Leipzig zu benachrichtigen; derselbe eilte, wie wir es nicht anders erwarteten, sogleich herbei; weshalb versetzt Sie diese natürliche Thatsache in solch merkwürdiges Erstaunen, mein Fräulein?“

Ohne auf diese Bemerkung einzugehen, frug Emma lebhaft: „Woher wußten Sie diesen Namen? hat meine Freundin sich selbst so genannt?“

„Natürlich, dem Herrn Professor, der mit ihr reiste,“ erwiderte Doktor Belden ungeduldig. „Uebrigens muß ich Ihnen sagen, mein gnädiges Fräulein, daß mir dieser ganze Handel mehr als seltsam vorkommt. Ein solches Wiedersehen von Ehegatten, wenn eins davon knapp dem Tode vorbeikam, dieses beiderseitige Entsetzen beim Erwähnen ihrer Kinder – das geht nicht mit rechten Dingen zu! Uebrigens geht es mich nichts an, natürlich,“ setzte er ärgerlich hinzu und machte eine halbe Wendung zum Hinausgehen.

Emma und Helene sahen sich an paar Augenblicke unverwandt in die Augen, dann verneigte sich die erstere, schon wieder mit einem kleinen Schalk um die Mundwinkel vor dem Arzt und sagte: „Darf ich Sie bitten, mich mit meiner Freundin nur kurze Zeit allein zu lassen? Alle Achtung vor Ihrer Kunst, Herr Doktor, jedoch in diesem Falle glaube ich ihr bester Arzt sein zu können, Sie werden Wunder erleben.“ Sie sah ihn, während sie das sagte, so schelmisch an, daß er ihr schmunzelnd die Hand reichtet „Nun gut, einer so hübschen Kollegin räume ich gern das Feld, also machen Sie Ihre Sache brav!“

„Noch eines, Herr Doktor, gehen Sie draußen ja nicht zu strenge ins Gericht mit dem armen Herrn Major, Sie dürften es später bereuen und möglicherweise große Abbitte leisten müssen,“ drohte Emma lächelnd mit aufgehobenem Finger; „ich komme bald nach, bis dahin ersuche ich Sie nur, von meinem Hiersein nichts zu erwähnen.“

Kaum hatte sich die Thür hinter Doktor Belden geschlossen, so fielen sich die Freundinnen in die Arme, und unter Lachen und Weinen berichtete Helene alles, was sich seit heute morgen zugetragen, die Fahrt, die herrliche Unterhaltung, ach – und die schmachvolle Lüge mit ihren schrecklichen Folgen.

„Rette mich, Emma!“ schloß sie endlich die lange Beichte. „Du hast das ganze Unheil angestiftet nun sieh, wie Du den Major wieder fortbringst, und vor allen Dingen, erkläre Herrn Professor Roditz …“ sie wandte sich verwirrt zur Seite, „erkläre ihm alles, denn, offen gestanden – es wäre mir unerträglich, von diesem Manne verkannt zu werden.“

„Du, Du!“ drohte Emma, „das letztere scheint Dir ja ganz ungeheuer am Herzen zu liegen! Sei getrost, ich werde diesem Manne den Sachverhalt aufklären und mich zum Sühnopfer anbieten, denn das scheint mir doch ausgemacht, daß Du jetzt den braven Major zum Lohn für sein ritterliches Schweigen auch thatsächlich mit Deiner Hand zu beglücken hast!“

Jetzt lachte Helene zum ersten Male wieder laut und herzhaft auf: „Warum nicht gar! Von mir wird er vollständig genug haben; aber wie wäre es, wenn Du dieses Amt übernähmst, weise Emma, was meinst Du?“ Sie sah der Freundin muthwillig in die Augen, diese gab ihr einen Schlag auf die Hand:

„Ich meine, daß Du nun wieder meine alte Helene bist, Gott so Dank dafür! Aber ums Himmelswillen,“ fuhr sie auf, „ich vergesse über unserer Plauderei völlig, in welch schrecklicher Lage ich den armen Major lasse; wie wird dem der Professor mitspielen und schließlich noch der Doktor, und ich gewissenloses Geschöpf versprach, gleich zu kommen!“

Noch einen Kuß und draußen war sie; Helene athmete tief auf und legte sich in das Sofa zurück; ihre Blicke versenkten sich träumerisch in das grüne Blättergewirr vor dem Fenster, während ein seliges Lächeln ihren Mund umspielte.




Während der Unterredung der beiden Freundinnen hatte sich ein erbitterter Wortwechsel zwischen Professor Roditz und Major von Schnitzel entsponnen, der eben nahe daran war, in einer Forderung zu gipfeln.

In den heftigsten Ausdrücken hatte der Professor den vermeintlichen Ehemann zur Rede gestellt wegen seiner Lieblosigkeit, seiner herzlosen Gleichgültigkeit gegen seine Frau.

Das ging dem Major, wenn schon er den Irrthum des Herrn bedachte, denn doch allmählich zu weit. Auch er begann heftig zu werden, indem er sich sagte, daß ja ebenso gut alles wahr sein könnte, was jener annahm, und wieso dann ein wildfremder Professor sich um seine, des Majors, eheliche Differenzen zu kümmern habe?

Seine ziemlich grobe Entgegnung. „Das geht Sie alles gar nichts an!“ versetzte den Gelehrten aber nur in größere Aufregung, die Reden flogen immer gereizter zwischen ihnen her und hin, und der Major stand eben im Begriff, sehr unangenehm zu werden, als die Thür sich öffnete und der Doktor mit Emma eintrat.

Roditz stürzte auf sie zu und ergriff ihre rechte Hand. „Gott sei Dank, daß Sie da sind, nun reden Sie dem Gatten Ihrer armen Freundin ins Gewissen.“

„Freundin?“ rief der Major und erhaschte ihre Linke. „Jetzt Aufklärung um jeden Preis, oder ich werde verrückt bei dem fürchterlichen Unsinn.“

Emma brach in an fröhliches Lachen aus und sah voll Schelmerei von einem zum andern.

„Herr Professor, Herr Major,“ begann sie dann mit zwei zierlichen Verbeugungen, „erlauben Sie vor allen Dingen dem Rettungsengel, sich vorzustellen als Emma Wahren, intimste Freundin der schönen Unglücklichen, um welche hier, wie es scheint, sehr anzügliche Reden getauscht werden.“

„Verzeihen Sie!“ unterbrach sie hastig der Professor, – „in der furchtbaren Aufregung“ – „vergaßen wir uns vorzustellen,“ vollendete der Major.

„Ist nicht nöthig, da ich soeben von Helene komme; die Namen der Herren sind mir demnach bekannt. Der Ihrige,“ wendete sie sich mit schalkhafter Gravität an den Professor, „natürlich schon längst; selbst ein so ungelehrtes, prosaisches Naturkind

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 878. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_878.jpg&oldid=- (Version vom 7.5.2019)