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verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Im „Café Josty“. 

Die wachsenden Fremdenscharen bedingten für Berlin eine neue Pflicht: für ihre genügende und bequeme Unterkunft zu sorgen. Freilich gab es genug ausgezeichnete Hôtels, die an Komfort das Möglichste leisteten, aber ihre Räumlichkeiten reichten bald nicht mehr aus und eine Ueberfüllung war oft unausbleiblich. Da trat nun für Berlin eine neue Phase ein; es entstanden die Riesenhôtels, welche mehrere hundert Personen zugleich beherbergen können, nicht von einzelnen begründet, sondern von kapitalsfähigen Aktiengesellschaften. Der „Kaiserhof“ machte 1875 den Anfang; in bester Lage, unmittelbar am Wilhelmsplatz, entstand das kolossale, quadratische Gebäude, bald nach seiner Vollendung theilweis von den Flammen verzehrt, um allerdings bald darauf wieder den Gästen zugänglich zu werden, und sich bis heutigen Tags seines vornehmen Rufes erfreuend. Fünf Jahre später, nach Fertigstellung der Stadtbahn und direkt an deren Centralbahnhof gelegen, folgte das gewaltige, einen kleinen Stadttheil einnehmende „Central-Hôtel“, und in schnelleren Zeitspannen schlossen sich das „Grand Hôtel“ am Alexanderplatz, sowie das „Hôtel Continental“, zwischen Stadtbahn und „Linden“, an, womit die Reihe nicht erschöpft bleiben wird, da man bereits von neuen, ähnlichen großartigen Plänen vernimmt.

Es ist eine umfangreiche, hundertfältig gegliederte Maschinerie, welche den regelmäßigen Gang in diesen Riesen-Gasthäusern aufrecht erhält und ihn aufs genaueste bis in die geringste Kleinigkeit hinein bestimmt, ohne daß begründete Klagen laut werden dürfen. Von Interesse ist es, einen Einblick in den Betrieb eines derartigen riesenhaften Instituts zu gewinnen; greifen wir einmal auf gut Glück das „Central-Hôtel“ heraus, ohne damit andeuten zu wollen, daß die anderen ähnlich großen Hôtels minder betrachtenswerth sind: sie werden sich sämmtlich wenig von einander unterscheiden. Die Erbauung des angeführten Hôtels, welches, vier Stockwerke hoch, neuntausend Quadratmeter bedeckt, kostete rund zwölf Millionen Mark; neben einem eigenen Post-, Telegraphen und Reisebureau befinden sich Fernsprechkabinets nicht nur für Berlin darin, sondern auch für die mit letzterem verbundenen Städte Hannover, Hamburg, Breslau, Leipzig, Stettin, Dresden etc. Sechshundert Zimmer und Salons, welche sämmtlich elektrische Beleuchtung aufweisen, können siebenhundert Gäste beherbergen; in den Lesesälen sorgen mehrere hundert Zeitschriften für Unterhaltung und an zweihundert Adreßbücher der wichtigsten Städte aus der ganzen Erde für Auskunft. Der Wintergarten ist ein mächtiger Raum für sich, der mit seinen Nebensälen bequem weit über dreitausend Personen Aufenthalt gewährt; in ihm finden während der lebhafteren Saison täglich Aufführungen herumziehender Künstler, ferner die großen, ganz Berlin versammelnden Bälle statt, unter denen wiederum die vom „Künstler“- und „Presse-Verein“ veranstalteten den ersten Platz einnehmen. Für die Bedienung der im vergangenen Jahre eingekehrten etwa 185 000 Fremden sorgten an zweihundert thätige Hausgeister.

Zugleich mit den großen Hôtels kamen auch die glänzenden Wiener Cafés auf, die vor allen anderen Lokalen so recht den Sammelpunkt der Fremden bilden. Café Bauer machte hier den Anfang und ist, obwohl es in jedem, selbst dem entferntesten Stadttheile Nachahmungen gefunden hat, trotz aller Konkurrenz doch das erste und besuchteste geblieben. Seine überaus günstige Lage an einem der Hauptverkehrspunkte, seine kostbare Ausstattung, zu der die meisterhaften A. v. Wernerschen und Chr. Wilbergschen Wandgemälde gehören, der wohlbegründete Ruf sind freilich nicht so leicht zu übertreffen. Ein unterhaltsames Stück Berliner Leben spielt sich hier Tag für Tag ab, stets giebt es etwas Neues, etwas Eigenartiges zu sehen, sei es im Sommer, wenn draußen unter den „Linden“ die Menschenwogen in abwechslungsvollem Gewühl vorüberfluthen, sei es im Winter, wenn aus den Krystallkronen die Glühlichtflämmchen strahlen und in später Nacht- oder früher Morgenstunde dichtgedrängte Besucherscharen hereinströmen, hier an der Seite ihrer eleganten Herren mit tadellosem Frack und schneeweißer Kravatte Damen in rauschender Gesellschaftstoilette, dort ein Trupp phantastischer Masken in buntem Durcheinander, von einem lustigen Künstlerfest kommend, da, in dichtem Knäuel,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1888, Seite 849. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_849.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)