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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

bis zu. Lerche hinab. Er frißt das geschlagene Thier oft schon an, ehe er sich die Mühe gegeben hat, es vollends zu tödten; wie berauscht von dem dampfenden Blut des Schlachtopfers steht er mit gesträubtem Gefieder auf ihm und kröpft sich oft so voll, daß er nur schwer auffliegen kann. Seine Stimme ist der des Bussards ähnlich, aber natürlich viel durchdringender und schärfer, und mit Entsetzen sucht das Wild schleunigst seine Schlupfwinkel auf, wenn er sie auf seinen Streifzügen ertönen läßt. Aengstlich schüchtern rennt das Rudel durcheinander, da! noch ein gellender Pfiff, und mit angelegten Flügeln herabbrausend, stößt er unter die verwirrte Schar und schleppt das Opfer in den Klauen mit Gedankenschnelle fort. Wenngleich der Steinadler nicht vermag, einen schnell fliegenden Vogel zu schlagen, so versucht er doch häufig mit Glück, ihn zu ermüden, bis er sich drückt und ihm verfällt. Dagegen entgeht ihm kein noch so schnell laufendes Thier. – Enten stößt er mit großer Vorliebe, indem er sie von der Wasserfläche aufhebt, wenn sie nicht schnell genug untertauchen. Vögeln rupft er vor dem Kröpfen die Federn aus. Auch Füchse schlägt er. Nicht allein mit den furchtbaren Krallen würgt er seine Opfer ab, sondern auch seine gewaltigen Flügelschläge betäuben und tödten dieselben.“

Der Mensch, als Beherrscher der Erde, hat schon seit langer Zeit gegen diesen Schrecken der Vögelschar und der kleinen und mittelgroßen Säugetiere den Vernichtungskrieg gerichtet, und der Herrscher der Lüfte muß allmählich in diesem Kriege erliegen.




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Die Alpenfee.
Roman von E. Werner.
(Fortsetzung.)

In der allgemeinen Hast und Aufregung wurde das Erscheinen des Präsidenten und seiner Begleiter kaum bemerkt, nur einige der Ingenieure traten heran und bestätigten achselzuckend die letzten Meldungen. Es wurde trotz des Unwetters mit fieberhafter Anstrengung gearbeitet, ganze Scharen von Arbeitern waren in der Nähe der Brücken beschäftigt, auch bei dem Stationsgebäude schien irgend etwas vorzugehen und dazwischen strömte der Regen und brauste der Sturm, so daß es oft nicht möglich war, die Zurufe und Befehle der Ingenieure zu verstehen.

Nordheim war vom Pferde gestiegen und näherte sich seinem ehemaligen Schwiegersohn, der gleichfalls seinen Posten verließ und ihm entgegenkam. Sie hatten beide geglaubt, jene Unterredung, in der sie sich endgültig trennten, werde ihre letzte sein, jetzt sahen und sprachen sie sich täglich und fühlten im Drange der Ereignisse kaum das Peinliche dieser erneuten Begegnungen. Sie wußten ja am besten, was hier zu verlieren, was theilweise schon verloren war, und die Gefahr des Unternehmens, an dem sie beide gleich beteiligt waren, kettete ihre Interessen wieder so unlöslich zusammen wie zu der Zeit ihrer engsten Verbindung.

„Du bist hier auf der oberen Strecke?“ fragte der Präsident mit angstvoller Unruhe. „Und die untere –?“

„Haben wir preisgeben müssen!“ ergänzte Wolfgang. „Es war nicht möglich, sie länger zu halten. Die Dämme sind durchbrochen, die Brücken fortgerissen. Ich habe nur die nothwendigsten Leute zum Schutze der Stationen gelassen und alle verfügbaren Kräfte hier zusammengezogen. Wir müssen die Wildbäche bändigen, um jeden Preis.“

Der unstete Blick Nordheims flog über die Brücke und nach dem Stationsgebäude hinüber, wo gleichfalls eine Anzahl von Arbeitern beschäftigt war.

„Und was geschieht dort? Du läßt das Haus räumen?“

„Ich lasse wenigstens das technische Bureau mit den Plänen und Zeichnungen in Sicherheit bringen, denn es droht Lawinengefahr vom Wolkenstein; er hat uns schon einige Warnungszeichen herabgesandt.“

„Auch das noch!“ murmelte der Präsident verzweiflungsvoll, und plötzlich fuhr er wie von einem Gedanken ergriffen auf.

„Um Gotteswillen, Du glaubst doch nicht, daß die Brücke –?“

„Nein!“ sagte Wolfgang mit einem tiefen Atemzuge. „Der Bannwald schützt die Schlucht und mit ihr die Brücke, den bricht keine Lawine nieder. Ich habe diese Möglichkeit schon bei der Anlage vorausgesehen und ihr vorgebeugt.“

„Es wäre auch furchtbar!“ stöhnte Nordheim. „Der Schaden ist schon jetzt unabsehbar. Wenn die Brücke fällt, ist alles vorbei!“

Die finstere Stirn des Chefingenieurs furchte sich noch tiefer bei diesem verzweifelten Ausbruch.

„Fasse Dich!“ mahnte er leise, aber mit vollem Nachdruck. „Wir werden beobachtet, alles sieht auf uns; wir müssen das Beispiel des Muthes und der Hoffnung geben, sonst halten die Leute nirgends mehr Stand.“

„Hoffnung!“ wiederholte der Präsident, der sich an das Wort wie an einen letzten Rettungsanker klammerte. „Hoffst Du denn wirklich noch?“

„Nein – aber ich kämpfe bis zum letzten Atemzuge!“

Nordheim blickte in das Gesicht des Sprechenden. Die bleichen, finsteren Züge waren eisern und unbewegt, sie verriethen nichts von dem Sturme, der in seinem Innern wühlte, und doch stand auch für ihn alles auf dem Spiele. Seit die stolzen Träume von Macht und Reichthum zerronnen waren, blieb ihm nur noch sein Werk, auf das er eine neue Zukunft gründen konnte, wenn er am Leben blieb; das wenigstens eine unverwischbare Spur seines Daseins hinterließ, wenn er von Waltenbergs Kugel fiel – jetzt ging auch das zu Grunde! Und doch stand er aufrecht und kämpfte, während der Präsident nur ein Bild haltloser Verzweiflung bot. Was fragte er danach, daß man seine Fassungslosigkeit bemerkte, daß man von einem Manne seiner Stellung das Beispiel des Muthes erwartete, er dachte nur an die ungeheuren Verluste, welche die Katastrophe ihm brachte, Verluste, die ihn stürzen konnten, wenn dem Verderben nicht schleunigst Einhalt geschah.

„Ich muß auf meinen Posten zurück!“ sagte Elmhorst abbrechend. „Wenn Du bleiben willst, so wähle Deinen Standpunkt mit Vorsicht, die Muhren und Erdstürze gehen überall nieder, wir haben schon Unfälle genug dabei gehabt.“

Er wandte sich wieder den Dämmen zu und bemerkte erst jetzt, daß Nordheim nicht allein gekommen war. Eine Minute lang schien sein Fuß am Boden zu wurzeln und sein Blick flog zu Erna hinüber. Er ahnte, was sie herführte; er wußte es ja jetzt, daß sie um ihn zitterte und bangte, aber er versuchte nicht, sich ihr zu nähern; denn neben ihr hielt der Mann, dem sie angehören sollte, der sie schon jetzt als sein unentreißbares Eigenthum betrachtete, stumm und unerbittlich, wie das Verhängniß selbst. Waltenberg sah den angstvollen Blick, der Wolfgang folgte, als dieser wieder zu den Arbeitern zurückkehrte und sich mitten auf den bedrohten Damm stellte, und wie zufällig faßte er den Zügel des andern Pferdes und hielt es mit eiserner Hand fest.

Da tauchte hinter den beiden die lange Gestalt Gronaus auf, der über und über durchnäßt und kotbespritzt, aber mit vollster Gemütsruhe herantrat.

„Da sind wir!“ sagte er grüßend. „Wir kommen direkt von Oberstein, sind aber allerdings mehr geschwommen als gegangen.“

„Wir?“ fragte Ernst. „Ist Doktor Reinsfeld mit Ihnen?“

„Jawohl, wir haben mit Mühe und Noth die Obersteiner wieder zu Verstand gebracht und sie überzeugt, daß ihr Nest diesmal nicht in Gefahr ist. Es war ein schweres Stück Arbeit, aber sie sahen es endlich ein, und kaum waren wir fertig damit, da kam ein Bote von dem Chefingenieur, um den Doktor herzurufen, es seien bei den Rettungsarbeiten ein paar Unglücksfälle vorgekommen. Der gute Doktor lief natürlich, als ob ihm der Kopf brenne, von einem Jammer in den andern, und ich lief mit, denn ich dachte mir, ein Paar kräftige Arme sind überall zu brauchen, und das war ein gescheiter Gedanke. Vorläufig habe ich mich dort drüben in dem Wärterhäuschen als Lazarethgehilfe etablirt und komme nur auf einen Augenblick, um mich zu melden, denn wir haben leider alle Hände voll zu thun.“

„Es sind also schon Unglücksfälle vorgekommen – doch keine schweren?“ fragte Erna hastig.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 819. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_819.jpg&oldid=- (Version vom 6.5.2019)