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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Karoline von Linsingen.

Aus dem Leben einer schwergeprüften Frau. Nach ihren Briefen und Aufzeichnungen.[1]

Von Schmidt-Weißenfels.


Im Frühjahr 1791 schickte der König Georg III. von England seinen dritten Sohn, William Heinrich, Herzog von Clarence, nach seinem hannöverschen Kurfürstenthum, damit er dort, fern den Verführungen des Londoner Hoflebens, eine Zeit lang seinen Aufenthalt nehme. Die besorgte königliche Mutter, eine geborene Prinzessin von Mecklenburg, hatte ihrem jungen, heißblütigen Liebling dafür einen besonderen Hofstaat theils hannöverscher, theils englischer Edelleute ausgewählt, deren Ergebenheit wie Trefflichkeit des Charakters sie geeignet erscheinen ließen, die Umgebung und Gesellschaft des Königssohnes zu bilden. Unter diesen Ehrenkavalieren genoß namentlich der Generallieutenant von Linsingen, Chef eines hannöverschen Infanterieregiments, ein oft und gern gesehener Gast des englischen Hofes, das Vertrauen der Königin, während der junge Lord Dutton durch innige Freundschaft mit Prinz William verbunden war. Der eine sollte bei diesem die Stellung eines Mentors, der andere die eines treuen Kameraden einnehmen.

In der Stadt Hannover wurde der Sohn des Landesherrn mit allen ihm gebührenden Ehren von seiten des dort lebenden Adels aufgenommen. Feste über Feste fanden ihm zu Ehren statt und auf denselben wurde ihm alles vorgestellt, was zur vornehmen Welt des Landes gehörte. Vom Anfang seines Aufenthaltes in Hannover gewann sich auch der Herzog durch die Schönheit seiner Jünglingserscheinung, durch seine feurige Lebenslust und die edle Art seines Benehmens die lebhafte Verehrung dieser Gesellschaft und zumal der jungen Damen, die in der gefühlvollen Ueberschwänglichkeit ihrer Zeit für ihn schwärmten.

General von Linsingen hatte seine sehr zahlreiche Familie, die sonst in Lüneburg wohnte, während seines außerordentlichen Dienstes beim Prinzen William nach Hannover kommen lassen. Gleich nach seiner Ankunft ließ sich der letztere bei derselben einführen, zumal er von seiten seiner Mutter einen Brief und eine brilliantengeschmückte Tuchnadel an die zweite Tochter des Hauses zu übergeben hatte.

Die Ursache dieser Auszeichnung für Fräulein Karoline von Linsingen war zunächst in der Freundschaft der Königin für den Vater zu suchen und dann auch in der Theilnahme, die sie seit Jahren gerade für diese seine Tochter hegte, ohne sie jemals gesehen zu haben. Aber er hatte ihr früher von ihren kindlichen Reizen und auffälligen Eigenthümlichkeiten ihres Wesens, poetischen Zügen und seltsam frühreifen Kundgebungen ihres Geistes so viel erzählt, daß die Königin begierig wurde, dies Mädchen zu sehen und sie ihm das Versprechen abnahm, es einmal mit nach London zu bringen. Sie drang auch beharrlich auf Erfüllung desselben, seitdem Karoline älter geworden war; doch der General wurde davon immer wieder durch seine Frau und deren Mutter abgehalten, welche nicht nur die Erziehung Karolinens im adeligen Fräuleinstift erst vollendet wissen wollten, sondern deren Natur auch für zu zart hielten, um den Aufregungen eines großen Hoflebens ohne Besorgniß ausgesetzt werden zu können. Die Königin mußte sich daher mit den dankerfüllten Briefen begnügen, welche das Stiftsfräulein an sie richtete, und sie sandte ihm darauf ihre geistreichen und gütigen Antworten, in denen sie dasselbe immer wieder in ihre unmittelbare Nähe zu locken versuchte.

Karoline war inzwischen zweiundzwanzig Jahre alt geworden und hatte das Stift verlassen. Sie war hochgewachsen und von eigenartiger Schönheit, elfenartig zart im Gliederbau und doch eine imponirende Erscheinung von weichen Linien und schwellenden Formen. Aschblondes Haar umrahmte ihr feines, weißes und matt leuchtendes Gesicht, dessen rosig angehauchte Wangen noch die sammetweiche Rundung der Kindheit bewahrt hatten, Stirn, Nase und der Mund mit begehrenden, frischrothen Lippen waren von vollendeter Regelmäßigkeit; aus ihren blauen, mit langen Wimpern besetzten Augen blitzte es wie elektrisches Funkenspiel.

Prinz William stand ihr bei der ersten Begegnung im Hause und in Gegenwart ihres Vaters und ihrer Geschwister mit einer Befangenheit gegenüber, die sonst ganz und gar nicht in seinem Wesen lag. Er war blöde wie ein ungeschickter junger Mann, der zum ersten Mal einer eleganten Dame in einem Salon allein gegenüber steht, er, der doch gewohnt war, sich in großen Hofgesellschaften zu bewegen. Wenn er seine hellen seelenvollen Augen auf sie richtete, fühlte er sich wie unter einem magischen Bann, und während sie, ihre erste Schüchternheit vor dem hohen Herrn bemeisternd, in anmuthvoller Bescheidenheit zu ihm sprach, brachte er kaum einen zusammenhängenden Satz hervor. Er war froh, als er wieder von ihr sich entfernen konnte und mit seinem Freunde Dutton das Haus des Generals verließ.

Draußen faßte ihn freilich ein heftiger Aerger, eine so klägliche Rolle vor einem Mädchen gespielt zu haben, dem er doch, als es vor ihm erschien, die lebhafteste Huldigung hätte erweisen mögen. Und schließlich beschäftigte ihn kein Gedanke mehr, als sobald wie möglich eine Gelegenheit zu suchen, mit Karoline wieder zusammenzutreffen und nachzuholen, was er bei ihr versäumt.

Es wurde ihm leicht, solche Gelegenheit zu finden. Auf den Festen, die ihm gegeben wurden, sah er auch Karoline wieder. Er sprach mit ihr, befangen aber doch in der selbstbewußter Art, die ihm seine Stellung gestattete. Er tanzte mit ihr, wie entrückt dem Boden, berauscht von dem Duft, den er um sie spürte. Er hätte, als der Tanz zu Ende, ihre kleine, seine Hand nicht loslassen mögen und er hielt sie in der That, als sei er daran mit der seinigen gefesselt. Erschöpft wie nach einer schweren Anstrengung fühlte er sich, als er sich endlich aus Schicklichkeit von ihr getrennt. Aber eine unwiderstehliche Macht trieb ihn bald wieder in ihre Nähe und sie zu neuem Tanze aufzufordern, um noch einmal die ungekannte Seligkeit zu durchleben, die er genossen, während sie im Tanz von seinen Armen umfangen war und ihr schönes Haupt sich dicht an seine Schalter geneigt hatte. Einen Zauber übte sie auf ihn aus, den er sich nur mit einer leidenschaftlichen Liebe zu ihr erklären konnte.

„Richard! Richard!“ sagte er in stürmischem Ungestüm zu dem jungen Lord Dutton, indem er ihm vertraulich gestand, wovon nach dem ersten Ball sein Herz und sein Kopf voll waren. „Das muß wohl eine wahre Liebe sein wie sie die Dichter verherrlichen, wie sie ein Petrarca für seine Laura fühlte, und von der ich noch keine Ahnung gehabt, trotzdem ich schon manches schöne Mädchen zu lieben geglaubt. Aber das war ja nichts Aehnliches; es waren leichte Brisen gegen diesen Sturm. Es ist eine Raserei, Freund, und ich weiß nicht, wie dies enden soll. Fliehen wäre das Beste. Doch warum fliehen vor dem Glück? Denn es ist trotz allem ungeheuren Aufruhr in mir ein unaussprechliches Glück.“

„Beruhige Dich, William!“ antwortete ihm Dutton. „Es sind erste Eindrücke einer allerdings merkwürdig lieblichen und berückenden Erscheinung. Wenn Du sie öfter siehst, wird der Zauber seine Macht verlieren. Eine Hexe ist sie ja doch nicht.“

„Aber ich bin von ihr wie behext.“

Er brauchte sie nicht zu sehen, um dies insofern an sich zu spüren, als es ihm unmöglich war, ohne den Gedanken an sie und die heftigste Sehnsucht nach ihrem Anblick einen Tag zu verleben, floh er auch selbst mit der heitersten Gesellschaft in die Wälder zu wilden Jagden. Immer sie, deren Bild ihn umschwebte, deren Athem er, wo er auch war, zu fühlen vermeinte! Und wenn er es vermochte, suchte er die Begegnung von neuem mit ihr. Es war auch, als komme sie ihm entgegen, ohne doch im geringsten die sittige Zurückhaltung eines wohlerzogenen Mädchens zu verleugnen. Aber ein Blick, den sie beide tauschten, und es entstand eine Anziehungskraft des einen auf den andern, der sie nicht zu widerstehet vermochten. Sie flogen gleichsam zu einander, und es konnte in der Gesellschaft bald nicht mehr übersehen werden, daß der Prinz in den Banden der Leidenschaft für Fräulein von Linsingen sei und diese Leidenschaft ihm erwidert werde. Trotzdem war zwischen beiden noch kein Wort von Liebe gesprochen worden. Mit einer Willenskraft, zu der er die höchsten Anstrengungen aufbot, hielt der Prinz mit der Aeußerung dessen gegen Karoline zurück, was er für sie empfand. Aber was bedurfte es auch der

Worte? Wenn sie sich sahen, so lasen sie gegenseitig in ihrer

  1. Herausgegeben und mit einer Einleitung versehen von *** (Leipzig, Duncker u. Humblot 1880).
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 796. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_796.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)