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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Mutter aus dem Haus, dann im Flur, dann immer näher und näher – jetzt auf dem Hof.

Es half nichts; sie mußte antworten.

„Komme sogleich herunter!“ rief die Mutter mit gedämpfter Stimme hinauf. „Junker Utz freit um Dich.“

Da hub ein großes Jammern im Taubenschlag an. „Ach, Frau Mutter, laßt mich in Ruhe; ich mag ihn nicht.“

Die Mütter versuchte nachzuklettern; aber die dünnen Sprossen knickten ein; sie mußte davon abstehen. „Wirst Du herunter steigen?“ stieß sie leise hervor.

„Nein!“ kam es dennoch kläglich herab.

Ein paar Mägde liefen herzu. Da ging die Mutter mit feuerrothem Gesicht wieder in das Haus. Bald darauf sah Käthe von ihrem Versteck aus den Junker Utz aus der Thür treten.

Ihr Vater begleitete ihn und sprach eifrig auf ihn ein. „Lieber Nachbar und Freund! Bei der Bitte um Bedenkzeit muß es sein Verbleiben haben. Dieselbe ist einer fürsichtigen Jungfrau wohlanständig und noch von keinem Freier bemäkelt worden.“

Der Utz ging mit einem betroffenen Gesicht davon.

Unter Käthchens Versteck fanden sich die Eltern zusammen.

Die Mutter hob die Hände auf. „O weh über diesen Taubenschlag! Das ist nun die fürtreffliche Einrichtung, auf die mein Eheherr so große Stücke hält.“

Der Schloßhauptmann aber sagte gemächlich: „Nu, nu!“ hielt seinem Töchterlein die Leiter und führte dann beide in die Wohnstube. Dort begann alsbald Frau von Tautenburg den dräuenden Spruch aufzusagen: „Wer verachtet der Mutter zu gehorchen, dem werden die Raben die Augen am Bache aushacken und es werden ihn die jungen Adler fressen.“

Glücklicherweise raschelten horchende Mägde vor dem Schlüsselloch herum. Die Hausfrau mußte ihre Strafreden nach dem Vorplatz verlegen. Der Schloßhauptmann aber nahm seine Tochter zu sich auf die Fensterbank, wo all das Unheil angerichtet worden war, das die Familie jetzt aufessen mußte.

„Nun sag’ einmal, Kleine,“ fragte er vertraulich, „was ist Dir denn eigentlich nicht recht an dem Utz?“

Käthchen nestelte sich in ihres Vaters Arm wie ein halbflügger Vogel unter den Flügel des Alten und vertraute ihm klagend und schluchzend an: „Ach, Herr Vater, ich liebe ihn nicht.“

„Was verstehst Du kleiner Nestling davon?“ flüsterte er.

„O, das verstehe ich wohl,“ versicherte Käthchen; „wenn Junker Utz mich ansieht, geht es mir nicht durch und durch, und wenn er seufzt, denke ich: gewiß ist ihm der Leibgurt zu eng. Ach, und ich weist doch, wie hübsch es aussehen kann, wenn ein edler Herr schmachtende Augen macht, und wie wohl und weh uns ums Herz wird, wenn er zitternde Seufzer ausstößt.“ Sie schluchzte laut auf.

Aber der Herr Vater sah nicht eine von schwerem Herzeleid heimgesuchte Jungfrau in ihr; er streichelte sie wie ein auf die Nase gefallenes Kind.

„Solche überirdische Fürstellungen hat nur der Umgang mit Deinem leichtfertigen Vetter in Dir erweckt, welcher ein ausgefeimter Frauenknecht ist. Siehst Du denn nicht ein, daß ein treues Herz mehr Werth ist als heuchlerische Augenverdrehungen, daß ein wahres Wort eine honigsüße galante Redensart aufwiegt?“

Sie schwieg ein Weilchen. Dann brach sie in Thränen aus. „O je! Daß aber auch gar nichts im Leben sich recht zusammenfindet! Warum hat der Vetter Achatius nicht das treue Herz vom Junker Utz? Warum sieht der Junker Utz nicht aus wie der Vetter Achatius? Ach, der alte Schloßvogt da drüben unter der Burglinde hat recht: Es ist eine unvollkommene Welt hienieden.“

Und sie vergoß heiße Thränen über die mißrathene Schöpfung.

Ihr Väter zog sich seufzend auf die Ofenbank zurück und zerbrach sich den Kopf darüber, wie das Werk zu verbessern: der Utz dem Achatius ähnlich zu machen sei.

Auch im Residenzhaus hob das Leben wieder seinen, gewohnten Gang an, als sei niemals die Herrschaft fröhlich zu einer Lustreise, ja zu einer Brautfahrt ausgezogen und in großer Verdrießlichkeit heimgekehrt.

Dorothea rang mit der ganzen Kraft ihrer stolzen Seele gegen den Eindruck, den die erlebte Enttäuschung auf sie und andere hervorgebracht hatte. Wie sonst saß sie an ihrem Putztisch, das Spieglein in der Hand. Aber das Leibgeräth des Frauenzimmers warf ein Bild zurück, das ihr nicht gefiel. Sie suchte dem Mangel abzuhelfen, indem sie immer neuen Schmuck anlegte. Doch kein Juwel gab ihr das frühere heiter strahlende Aussehen zurück, keine Spitze vermochte die heiße Scharlachgluth zu dämpfen, in welche das feine Korallenroth ihrer Wangen hinüberspielte, kein noch so sorgfältig gebranntes Lockengekräusel die kleine trotzige Falte zu verhüllt, die zwischen ihren Augenbrauen lag.

Die Kammermägdlein thaten stumm und betreten ihren Dienst. Als dem unerfahrenen Aennchen einmal das Wort „Weimar“ entfuhr, sah Bärbchen die Gefährten an, als habe sie den Gottseibeiuns genannt.

Auch die holde Musika pflegte Dorothea wie früher. Sie ließ sich vom kurfürstlichen Kapellmeister in Torgau das Präambulum kommen über Melodien des neuen Singspiels „Daphne“. Doch einmal sprang unter ihren unstäten Fingern eine Saite, ein andermal zerknickten die Rabenkiele, mit denen diese gerissen wurden.

Dann wieder befahl sie ihre Damen unter das Dächlein, um aus der „Astrea“ vorlesen zu lassen. Und der Schäferroman hatte ebenfalls seine Zauberkraft verloren. Er entrückte sie nicht mehr nach den blumigen Auen am Ufer der Loire; ihre Augen gingen nicht mehr in die Weite hinaus. Sie blieben drunten an den Weinbergen haften, wo emsig geschneitelt wurde, auf daß alle Sonnenstrahlen den Trauben zu gute kamen. In den grüngoldigen Duft, der auf den Rebstöcken lag, versank ihr Blick, und ohne daß sie es wußte, flüsterten ihre Lippen den Wahlspruch des Unansehnlichen: „Es soll noch werden!“

Die Hofjungfrau hielt im Lesen inne und sah die junge Herzogin fragend an, ob sie etwas zu befehlen habe.

Dorothea erhob sich. „Es ist schwül heute,“ sprach sie. „Wir wollen ein andermal fortfahren.“

An ihrer Mutter fand sie keinen tröstlichen Beistand. Die Frau Witwe verbarg ihre Bekümmerniß nicht, daß sie zu vielen unerfüllten Wünschen abermals einen solchen gelegt hatte.

Dorothea versuchte anfänglich, Gespräche in alter Weise anzuknüpfen. Aber Anna Maria blieb ernst und einsilbig, wenn ihre Tochter von den Fackeltänzen bei fürstlichen Hochzeiten erzählte, die sie früher mitgemacht hatte.

Dagegen hielt sie mit dem Hofprediger, der zur Tafel geladen worden war, eine lange Zwiesprache über „die Hochzeit des Lammes“, in welche recht bald einzugehen sie ersehnte.

Dorothea meinte, solche Reden nicht anhören zu können. Sollte denn wirklich das ganze Leben abgeschlossen sein? Kam denn nicht wenigstens ein Trompeter, der Nachrichten von der früher so schreibseligen Freundin Eleonore brachte? Jetzt hat dieselbe nur einmal ein Brieflein gesendet; in demselben aber Albrechts Namen sorgfältig vermieden.

Sie trat an das Fenster, von dem aus man den Weg nach Weimar überschauen konnte. Aber kein schwarz-gelber Dienstrock leuchtete in der sinkenden Sonne; nur Landleute zogen mit Karren und Herden heimwärts. Dorotheas Augen folgten der Landstraße durch die Kornfelder, die schon silbern schimmerten, wenn der Wind über sie hinstrich. Wo der Weg am Horizont den Augen entschwand, glühte das Abendroth, als sei da der Eingang zu Licht und Leben.

Ein leiser Seufzer weckte sie aus ihrer Versunkenheit. Als sie sich zurück wandte, begegnete sie den müden Augen ihrer Mutter, in deren Blick geschrieben stand: Du hoffst umsonst.

Und ihr Herz zog sich krampfhaft zusammen. Es wurde allgemach so still in den fürstlichen Gemächern, daß an einem heißen Tag die rundliche Hofmeisterin einnickte und im Traume von Achatius von Krombsdorff sprach, ein glückliches Ereigniß für die regungslos auf ihren Schemeln sitzenden Hofjungfrauen, die einmal kichern konnten. –

Das waren trübselige Tage alleweile auf dem grauen Bergschloß. Einförmig ging die Zeit hin und geräuschlos wie der Schatten auf der Sonnenuhr am Thurm.

Was war aus den Hoffnungen und Wünschen geworden, welche in den beiden jungen Mädchenherzen gekeimt hatten, als die grünen Halme auf der Saalwiese sproßten? Sie waren geknickt, wie drunten im Wiesengrund das hohe saftige Gras, die von Schmetterlingen umflatterten rothen Kleehäupterchen, die Sankt Johannissterne vor der Sense zu Boden sanken.

Die Heuernte war da. Würziger Geruch erfüllte das Thal. Bis zur Dornburg und dem neuen Herrenhaus des Stadtgutes herauf tönte der fröhliche Sang der Mähder, welche die langen Schwaden wendeten und endlich zu hohen Schobern thürmten.

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